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Stalingrad - Signal einer Wende
Für die ältere Generation ist es fast so, als läge das alles erst ein paar Jahre zurück, nämlich jener 2. Februar 1943, an dem über Rundfunk und Zeitungen offiziell be- kanntgegeben wurde, was man damals, seit Wochen zumindest schon, unaufhaltsam hatte kommen sehen, nämlich das Ende der sechsten deutschen Armee im Kessel von Stalimgrad.
Freilich, von einer Armee konnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich keine Rede mehr sein. Es waren vielmehr die Reste einer abgesplitterten Gruppe, die sich im Norden der seit Monaten umkämpften und von Einschlägen umgepflügten Stadt, in der Nähe des legendären Traktorenwerkes, unter Führung des kommandierenden Generals des XI. Armeekorps als letzte den Siegern ergeben hatten.
Der sogenannte „Südkessel“ war von den Russen bereits am 31. Jänner liquidiert worden und damals hatte sich auch der Oberbefehlshaber der vernichteten Armee, Genera l- feldmarschall Paulus, auf seinem bisherigen Gefechtsstand im Keller des großen Kaufhauses am Roten Platz gefangen gegeben.
Über eine der größten deutschen Schlachtenniederlagen seit der von Jena und Auerstädt war der Vorhang gefallen. Was sich allerdings dann dahinter in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren in den russischen Kriegsgefangenenlageim noch abgespielt hat, das war nicht minder erschütternd, wenngleich sich auch das Leiden jener, die den Tod auf dem Schlachtfeld gegen das Sterben im Lager vertauscht hatten, weniger spektakulär vollzog und in seinem ganzen Umfang nie mehr voll zu überblicken sein wird.
Hitlers unseliger Befehl
Demgegenüber hat der operative und taktische Verlauf der Schlacht heute für den Nichtfachmann, für den Nichthistoriker an Bedeutung abgenommen. Die Fakten sind auf Grund einer Flut von Einzeldarstellungen, Menschen und Studien mehr oder minder bekannt.
Am 19. November 1942 hatte ein Großangriff dreier russischer Armeen aus Brückenköpfen am Don heraus zwei rumänische Armeekorps überrannt. Tags darauf bereiteten zwei weitere Sowjetarmeen der südlich Stalingrad stehenden 4. rumänischen Armee das gleiche Schicksal. Wieder zwei Tage später vereinigten sich beide Stoßgruppen in der Südwestflanke der 6. Armee.
Unrichtig beraten und von einem starren Prestigedenken gelenkt verschloß sich Hitler dem einzig richtigen und damals wohl auch noch ausführbaren Entschluß, nämlich der 6. Armee den Ausbruch aus der sich abzeichnenden Einschließung zu befehlen. Ein mit kümmerlichen Kräften angesetzter Entsatzversuch kam zwar bis auf 48 Kilometer an die Eingeschlossenen heran, doch der Gegner besaß genügend Kräfte, den Stoß abzubremsen, und die durch
Hitlers Befehl gebundene und durch die sich schnell zuspitzende Versor- gungslage auch bereits gelähmte Armee vermochte von sich aus den Befreiern nicht mehr entgegenzukommen. Am 25. Dezember war ihr Schicksal endgültig besiegelt, der Entsatzversuch mußte abgebrochen werden, da die Aussicht durchzudringen gleich Null war und die dafür eingesetzten Kräfte bereits an anderer Stelle noch dringlicher gebraucht wurden.
Fruchtlos: Was wäre, wenn...
Wie gesagt, diese dürren Daten haben heute an AHgemeininteresse verloren, denn die Frage „was wäre, wenn... ?" ist bekanntlich fruchtlos, und das, was vor 25 Jahren die Nerven aller Beteiligten — und wer war nicht beteiligt? — fast zum Zerreißen brachte, waren vielleicht nicht einmal so sehr die Fakten, als die Möglichkeiten, die sie in sich bargen: Erwartungen, Befürchtungen, Hoffnungen, Ängste.
Heute, nach einem Vderteäjahr- hundert, liegt alles klar vor uns. Die Entscheidungen sind gefallen, jedem ist sein Los zugemessen worden, nichts ist mehr rückgängig zu machen. Da ist nicht mehr so wichtig, zu wissen, wie es dazu kam, eher schon, was dieses Resultat damals bedeutete und noch heute bedeutet
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