6897679-1980_17_05.jpg
Digital In Arbeit

Einsatz wider den Wahnsinn

Werbung
Werbung
Werbung

Am 16. März 1945 trat die 3. Ukrainische Front der Sowjetarmee zwischen Plattensee und Donau zur Offensive an, um die Voraussetzungen für das Vordringen in Süddeutschland zu schaffen.

Mit dem Schwerpunkt im Norden drangen gleichzeitig die Truppen der 2. Ukrainischen Front beiderseits der Donau nach Westen vor. Vorausabteilungen ihrer 46. Armee hatten südlich der Donau schon am 29. März die Raab überquert und bei Güns die österreichische Grenze überschritten. Starke Kräfte der 3. Ukrainischen Front drängten nach, und es zeichnete sich deutlich ab, daß der Raum Wien zu einem Mittelpunkt der Kämpfe werden würde.

Nun hatte die Stunde Wiens geschlagen:

Wien wurde zum Verteidigungsbereich, also zur Festung erklärt, zum Festungskommandanten ein General von Bünau bestimmt. Für Wien und seine Bevölkerung zeichnete sich das Schicksal Budapests ab.

Im bedeutungsvollen Raum Wien ging die 6. SS-Panzerarmee unter dem Kommando des SS-Oberstgruppenfüh-rers Sepp Dietrich zurück. Ihre Hauptkräfte standen an der ungarischen Pforte im Kampf mit Teilen der 46. Armee der 2. Ukrainischen Front. Südlich von Wien operierten die Truppenverbände der 3. Ukrainischen Front. Mit gesicherter Westflanke stießen sie in Richtung Wien vor.

Die strategischen Luftwaffenverbände der Alliierten mit den Absprungbasen in Italien und die taktische Luftwaffe der Russen operierten praktisch ungehindert im Kampfraum Wien.

Sepp Dietrich forderte über den Rundfunk die Wiener auf, ihre Stadt -das „Bollwerk gegen die Flut aus dem Osten” - bis zum Letzten zu verteidigen.

Zur selben Zeit begann der militärische Widerstand für Wien entscheidend zu handeln. Wiener Militärkreise waren schon an den Ereignissen des 20. Juli 1944 maßgeblich beteiligt gewesen. Als einzige Möglichkeit, dem Naziterror und dem Kriegsirrsinn ein Ende zu bereiten, verblieb für den Raum Wien nur die Hoffnung auf die Alliierten, zumal diese Österreich in der Moskauer Deklaration vom Oktober 1943 als erstes von Hitler vergewaltigtes Land anerkannt und dessen Befreiung zu einem ihrer Kriegsziele erklärt hatten.

Alle Vorbereitungen des militärischen Widerstandes in Wien und in Teilen der Wehrkreise XVII und XVIII zielten darauf ab, mit Hilfe der Alliierten - in unserem Falle mit der Roten Armee - der Wahnsinnsabsicht der abtretenden NS-Machthaber, Wien als Festung nachhaltig zu verteidigen, in den Arm zu fallen.

In der zweiten Märzhälfte 1945 war es endgültig klargeworden, daß Österreich Kriegsschauplatz werden würde. Der Zeitpunkt zur Verbindungsaufnahme zur Roten Armee war damit gekommen. Es lag auf der Hand, daß nur im Zusammenwirken mit den russischen Truppen das Kampfgeschehen um Wien und in den östlichen Teilen Österreichs abgekürzt werden.

Als idealer Erfolg wurde von uns die kampflose Ubergabe der Stadt in Betracht gezogen. Das Bestreben des militärischen Widerstandes war darauf gerichtet, das sinnlose Kriegsgeschehen abzukürzen, Wien vor der totalen Zerstörung zu bewahren und den Menschen dieser Stadt die Schrecken langwieriger Kämpfe mit ihrem ins Teuflische gesteigerten Haß zu ersparen.

Als Unterhändler des militärischen Widerstandes gelang es mir in den Vormittagsstunden des 2. April 1945, im Räume Payerbach, unter Beschuß von beiden Seiten, die Hauptkampflinie zu überschreiten und den Kontakt zur Roten Armee herzustellen.

Die Verhandlungen mit dem Stabe Marschall Tolbuchins in Hochwolkersdorf waren am späten Nachmittag des 3. April 1945 beendet. Es war zu folgenden Vereinbarungen gekommen:

1. Die schweren Bombenangriffe auf Wien werden noch während meiner Anwesenheit im russischen Hauptquartier am 3. April eingestellt.

2. Der Schutz der Wiener Wasserversorgungsanlagen im Kampfraum wird vom sowjetischen Armeeoberkommando angeordnet.

3. Mit einer Sonderregelung für österreichische Kriegsgefangene sind die Russen im Prinzip einverstanden. Die Einzelheiten sollen nach Beendigung der Kampfhandlungen um Wien festgelegt werden.

4. Die Truppen des Marschalls Tol-buchin werden Wien von Westen umfassen. Ihre Angriffsspitzen im Süden und Osten bleiben am ersten Verteidigungsring stehen und dringen erst nach gelungener Umfassung in die Stadt ein. Die Operationen südlich und westlich Wiens werden im Sinne des von mir unterbreiteten Vorschlages geführt.

5. Die 2. Ukrainische Front führt nördlich der Donau einen raschen Stoß nach Westen und unterbricht die Verbindung Wiens nach Norden.

6. Die Rote Armee wird einen in Wien ausbrechenden Aufstand der Widerstandskräfte mit allen Mitteln unterstützen; für diesen Fall sind bei meinen Besprechungen alle Einzelvereinbarungen getroffen worden.

7. Es wird mir aufgetragen, in Wien mitzuteilen, daß sich der Staatskanzler der Ersten Republik, Karl Renner, auf dem Weg ins Hauptquartier der 3. Ukrainischen Front nach Hochwolkersdorf befinde.

Mit meinem Kraftfahrer, dem Obergefreiten Reif, kehrte ich am 4. April 1945, wieder über die Hauptkampflinien weg, um die Mittagszeit nach Wien zurück und übergab die mit dem Oberkommando der 3. Ukrainischen Front getroffenen Vereinbarungen an Major Szokoll. Major Szokoll, ein österreichischer Offizier, war schon an den Geschehnissen des 20. Juli 1944 entscheidend beteiligt gewesen und hatte jetzt die Leitung des militärischen Widerstandes im Bereich des Wehrkreises XVII.

Ich nehme vorweg, daß das Unternehmen zur kampflosen Ubergabe Wiens nur teilweise gelang, da einem österreichischen Nationalsozialisten, der als Leutnant der deutschen Wehrmacht NS-Führungsoffizier bei der Heeresstreife Wien war, Hitlers Wahnsinnsbefehl mehr bedeutete als seine Vaterstadt und ihre Menschen. Dieser Mann lieferte in den Morgenstunden des 6. April 1945 die an der geplanten Aktion maßgebend beteiligten Offiziere - Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke-dem NS-Sicherheitsdienst ans Messer und machte damit die Zusammenarbeit mit der Roten Armee weitgehend zunichte.

Major Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke wurden am Nachmittag des 8. April 1945 von einem SS-Sonderkommando in Floridsdorf am Spitz auf die unmenschlichste Weise öffentlich gehenkt.

Dennoch standen die Kampfhandlungen in und um Wien in der Zeit vom 6. bis 13. April 1945 im Zeichen der

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung