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Ab heute sind SieBrgermeister!

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Am Samstag, den 14. April 1945, um 9 Uhr vormittags, wurde ich in den Räumen der ehemaligen englischen Botschaft in der Metternichgasse, wo später die Außenhandelskommission den österreichischen Außenhandel zu lenken bemüht war, vom Ortskommandanten der Roten Armee, damals noch Hauptmann Kapelkin, zum Bürgermeister für den 3. Bezirk in Wien ernannt. Wie ich zu dieser verantwortungsvollen Stellung kam, sei kurz geschildert: Oberst Steppan, ehemaliger Offizier der alten österreichischen Armee, der auch im zweiten Weltkrieg in der Deutschen Wehrmacht gedient hatte, war mit der Organisation der Widerstandskämpfer des Bezirkes befaßt, um aus diesen eine Art Hilfspolizei zu formieren, die die notwendigsten Aufräumungsarbeiten durchführen und die Ordnung aufrechterhalten sollte.

Tags zuvor war er mit einigen männlichen Bewohnern seines Wohnhauses beim russischen Ortskommandanten erschienen und hatte energisch um Hilfe gegen die Plünderungen seitens russischer Trainmannschaften gebeten. Dem Kommandanten gefiel sein energisches Auftreten — er sprach auch etwas russisch — und so bestellte er ihn zum Chef der Polizei des Bezirkes mit dem gleichzeitigen Auftrag, ihm am nächsten Morgen einen Bürgermeister zu nominieren. Mein alter Jugendfreund, Julius G., war eine Zeitlang Adjutant von Oberst Steppan gewesen, und so erschienen wir beide an jenem Samstag um 8 Uhr früh in der Wohnung Steppans, um unsere Dienste ihm anzubieten. Völlig überraschend fragte er mich, ob er mich dem Kommandanten als Bürgermeister vorschlagen dürfe. Ich überlegte nicht lange und stimmte zu, denn ich sagte mir, in diesen Zeiten sei es selbstverständliche Pflicht, alle seine Kräfte in den Dienst der wieder befreiten Heimat zu stellen und zu trachten, Ordnung In das Chaos zu bringen.“,

Wir begaben uns also ins Hauptquartier des Ortskommandanten. Unterwegs schloß sich uns ein Attache an, der 1917 bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk zugegen war, russisch sprach und sich auf die Bekanntschaft mit dem ersten sowjetischen Außenminister Litwinow berufen konnte. Es war nicht leicht, zum Kommandanten vorzukommen.

Schwerbewaffnete Rotarmisten hatten das ehemalige Botschafterpalais besetzt und erblickten in jedem Zivilisten, auch wenn er, wie wir, die rot-weiß-rote Armbinde trug,einen „Faschista“, den man ohne weiteres zu verhaften und zu Aufräumungsarbeiten und sonstigen Verwendungen zu verschleppen pflegte. Diese Armbinden, versehen mit einer russischen Stampiglie mit dem Sowjetstern, wurden am Sitze der provisorischen Regierung im Auersperg-Palats ausgegeben. Dort erhielten die Angehörigen der Widerstandsbewegung, kurz, der „05“, vorläufige Legitimationen in deutscher und russischer Sprache, sowie Zettel zur Befestigung an den Wohnungstüren, daß diese Wohnungen unter den Schutz der Roten Armee, gestellt wurden.

Endlich beim Kommandanten vorgekommen, nahm mich dieser in ein genaues Examen. Nebst genauen Schilderungen meines Lebenslaufes waren dnsbesondere drei Fragen für Ihn von größter Bedeutung: Erstens, ob ich gegen Rußland gekämpft habe, was ich verneinen konnte, da ich ja im ersten Weltkrieg nur an der serbischen und italienischen Front gestanden war. Die zweite Frage, ob ich der NSDAP angehörig, konnte ich auch verneinen, war ich doch sechs Monate in Haft der Gestapo gewesen. Schließlich fragte er mich hoch, ob ich Feinde im Bezirk hätte. Die mir feindlichgesinnten politischen Leiter der NSDAP, die in meinem Hause wohnten, hatten sich längst nach dem Westen abgesetzt, nicht ohne vorher zündende Ansprachen an die Mitbewohner gehalten zu haben.

So wurde ich also feierlich zum Bürgermeister bestellt und erhielt eine umfangreiche schriftliche Vollmacht, die mit zwei russischen Stempeln versehen wurde:

Am 23. April 1945.

Bestätigung!

Uberreicher dieses Doktor Fischer Ludwig Rudolfowitsch ist wirklicher

Bürgermeister für den dritten Bezirk der Stadt Wien. In seinem Wirkungskreis ist es ihm erlaubt, alle Unternehmen, Lager, Werkstätten und andere Objekte zu besuchen, die sich im dritten Bezirke befinden. Ausgenommen sind Objekte, die sich unter Bewachung von militärischen Einheiten der Roten Armee befinden.

Es wird gebeten, es mögen alle Einheiten und Militärangestellten der Roten Armee Dr. Fischer L. R. in allen durchzuführenden Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Disziplin weitgehende Unterstützung zu gewähren und zu allen Betrieben zuzulassen.

Doktor Fischer L. R. unterliegt

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