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HEINRICH KODRE / ZWEI STUNDEN WELTGESCHICHTE

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Mit aller Kraft ist in den Amtsgebäuden der Bundeshauptstadt die Urlaubszeit angebrochen. Imitier wieder bedauert eine freundliche Stimme am Telephon, daß der Gesuchte derzeit leider auf Urlaub sei und ob man nicht in zwei Wochen Wiederum …?

Einer der Beamten, die im Wiener Innenministerium ihren Schreibtisch für einige Wochen verließen, wird im Herbst nicht mehr in die Herrengasse zurückkehren. Der Sachbearbeiter für den Zivilschutz, Heinrich Ko dr ė, hat sich bereits von seinen Mitarbeitern verabschiedet. Ungern spricht heute der bescheidene, schweigsame Beamte, dem man freilich den ehemaligen Offizier immer noch an-

sieht, über jene zwei Stunden, in denen er das Steuer der Weltgeschichte in Händen hielt…

Eine nicht sehr verheißungsvolle Karriere lag vor dem jungen Leutnant, der am 1. April 1924 in der Heeresschule Enns ausgemustert worden war. Die Bestimmungen des Staatsvertrags von St. Germain hielten Österreichs kleines Heer in bescheidenen Grenzen, ein Avancement war nicht leicht zu erreichen, gab es doch sogar Majore, also Stabsoffiziere, die als Kompaniekommandanten Dienst taten. Dąran jedoch dachte der als Sproß einer alten Hugenottenfamilie am 8. August 1899 in Linz geborene junge Offizier an jenem 1. April 1924 nicht. Auch die republikanische Schlichtheit der Ausmusterungsfeier — fern der Neustädter Akademie — erfüllte die Leutnants mit jenem Glücksgefühl wie schon Generationen österreichischer Offiziere vor ihnen.

Der dornenreiche Weg des österreichischen Bundesheeres in den zwanziger und dreißiger Jahren, der Weg eines „Heeres im Schatten der Parteien”, ist von dem Historiker und Leiter des Instituts für Zeitgeschichte, Doktor Ludwig Jedlicka, in einer umfassenden und gründlichen Untersuchung dargestellt worden. Auch der junge oberösterreichische Offizier Kodrė ging diesen Weg, der das Offizierskorps in sich uneins machte.

Heinrich Kodrė verrichtete ordentlich seinen Dienst, den Friedensdienst, „Gamaschendienst”, hatte man ihn ja wohl in der alten Armee genannt. Die Vorgesetzten wurden auf den tüchtigen jungen Offizier aufmerksam, er wird zu den „Höheren Offizierskursen”, zur Gene- ralstabsausbilclung, kommandiert. Als Oberleutnant und Frequentant der Kurse erlebt er die Märztage 1938 und lernt die — beim Einmarsch in Österreich zwar nicht ganz präzise laufende — deutsche Kriegsmaschine kennen. Die Generalstabsausbildung wird an der Berliner Kriegsakademie abgeschlossen.

Wenig später Mobilmachung: Krieg. Der junge Generalstäbler geht an die Front, leistet Kriegsdienst an den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Politische Gedanken macht er sich kaum. Der Dienst im Heer einer Großmacht bietet einem jungen Offizier die Erfüllung mancher Pläne und Träume. Schließlich erwirbt sich Kodrė auch das Ritterkreuz und spricht in der Heimat: in Schulen, in Lazaretten.

Und dann kommt jener 20. Juli 1944: Oberst Kodrė — damals Stabschef im Wiener Wehrkreiskommando XVII — erhält ein Fernschreiben. Zwei-, dreimal muß es der schlanke, blonde Generalstäbler mit dem Ritterkreuz lesen: Hitler ist tot, die vollziehende Gewalt geht auf die Wehrmacht über. Kodrė greift zum Telephon. Doch der kommandierende General ist zunächst nicht zu erreichen. Und so gibt der Oberst auf eigene Verantwortung Alarm: Stichwort „Walküre” ist auszulösen. Die Wehrmacht marschiert, die SS- und Parteiführer werden verhaftet. Und dann ist es ruhig, unheimlich ruhig. Schließlich ein Anruf. Berlin, Keitel: „Der Führer lebt.” Nochmals Berlin. Stauffenberg, müde, verzweifelt: „Ihr werdet doch nicht schlappmachen wollen?” Zwei Tage später wird Kodrė verhaftet. Ein Verhör folgt dem anderen. Doch der Oberst wußte wenig über die Vorbereitungen und Hintergründe. Er schwieg. Kodrė schwieg, obwohl ihm in den beiden Stunden der Durchführung von „Walküre” vieles klar geworden war.

Ein „Ehrenhof” der Wehrmacht sprach ihn frei. Nicht so die Gestapo: Zusammen mit Canaris, Heusinger und anderen wurde der Häftling Kodrė zunächst nach Berlin, schließlich nach Mauthausen gebracht. Erst die US-Truppen befreiten ihn.

Die Heimat freilich zeigte sich zunächst wenig generös. Die schmale Oberleutnantspension — Kodrės Rang am 12. März 1938 — reichte kaum für die fünfköpfige Familie. Erst vor nunmehr sechs Jahren fand sich ein Schreibtisch: Dos Innenministerium stellte den ehemaligen Offizier als Sachbearbeiter für den Zivilschutz ein.

Und nun tritt der Oberst a. D. in den Ruhestand. Zwei Jahrzehnte nach jenem Sommertag, da ein deutscher Offizier undt, Ritterkreuzträger während zweier ‘schicksalhafter Stunden zum österreichischen Patrioten wurde.

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