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Streiflicht aus Nürnberg

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Vor den Richtern des Strafgerichtes in Nürnberg stand in der vergangenen Woche ein Mann als Zeuge, dessen Enthüllungen ebenso nüchtern-sachlich im Tone, wie in ihrer Wirkung sensationell waren. Der Zeuge war ein Österreicher. Generalmajor Erwin von Lahousen - Vivremont, eine interessante Persönlichkeit, seiner Herkunft nach Abkömmling einer Offiziersfamilie, die, wie so viele dieser Art, Blutströme von ganz Europa in sich verband. Sein Werdegang unterschied sich für lange Zeit nicht von der normalen Laufbahn eines tüchtigen österreichischen Truppenoffiziers. Ausgemustert im August 1915 aus der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, machte er beim IR. Nr. 14 die letzten Jahre des ersten Weltkrieges mit und gelangte als Oberleutnant in das Bundesheer. Bis zürn Jahre 1935 diente er in verschiedener Verwendung beim Alpenjäger-Regiment Nr. 7. Erst als- Major wurde er 1936 zur Erprobung im Generalstab bestimmt. Noch im selben Jahre wurde er in den Generalstab mit gleichzeitiger Verscrtiung in das Landesverteidigungsministerium eingereiht. Seine eminente Begabung und sein außerordentliches Gedächtnis wurden hier erkannt und führten alsbald dazu, daß er dem Nachrichtendienst des Bundesheeres zugeteilt wurde, dessen Leitung er später erhielt. Auch die deutsche Armee übernahm ihn in den deutschen Geheimdienst, Schon bei Kriegsausbruch hatte er unter dem Befehl des Admiral Canaris die Führung dieses Dienstes und damit eine der wichtigsten Stellungen der Wehrmacht. Kameraden sagen von ihm, er habe dieser Armee ohne inneres Zugehörigkeitsgefühl angehört und nur darum,gweil er einer der Menschen sei, die ihren Weg nur als militärische Führer finden. Er war der Vertraute und nicht nur der Untergebene jenes Admiral Canaris, der als Chef des gesamten deutschen Geheimdienstes Europa kreuz und quer mit geheimnisvollen Fäden überspannte. Am 20. Juli, nach dem Attentat,, zerrissen diese Fäden und zeigten der Welt, daß im deutschen Kriegsapp^rat der Kopf sich gegen die Führung empörte. Geheimnisvoll und schweigend, zog im Schatten dieses Chefs Oberst Lahousen als Begleiter und Abgesandter des Weges. Er sprach in Afrika mit Feldmarschall Rommel, der von der Revolte wußte, er traf in Frankreich General Stülpnagcl, der sich nach dem Attentat auf Hitler selbst den Tod zu geben versuchte, er besuchte Feldmarschall Dietl in Finnland, der bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam. Seine große Gestalt mit den markanten Zügen war in jedem Quisling-Hauptquartier Europas bekannt, aber immer stellte sich nach seinem Fortgang ein Rückschlag, eine empfindliche Niederlage für Deutschland ein. In den Kreisen der Widerstandsbewegung war nur ein Ausspruch von ihm bekannt, doch dieser war gleichzeitig ein Urteil: „Hitler ist ein Mörder und Wahnsinniger, der beseitigt werden muß.“ Als Österreicher verdammte er alles, was mit dem Nationalsozialismus zu tun hatte und leistete dagegen aktiven Widerstand. Nur durch seine unerhörte Geschicklichkeit entzog er sich dem sonst sicheren Schicksal. Bis zum 20. Juli! Stauffenberg warf die Bombe, Canaris blieb verschwunden, von seinen drei großen Unterführern starben Oberst Bernardis und Oberst Freytag-Loring-hoven am Schafott und Lahousen — verschwand. Angeblich in ein Konzentrationslager. Göring aber sagte nach dessen Verhör in Nürnberg:' „Den Burschen haben wir am 20. Juli vergessen.“

Nur für ganz kurze Zeit wurde der Vorhang von dem Dunkel um Hitlers Gegner durch Lahausens Aussagen weggezogen. Wie weit an dem Sturz der nazistischen-;Diktit!ur diese Kräfte Anteil hatten, kann nicht berechnet werden, denn zu viele noch nicht gegebene Aufklärungen bleiben noch im Dunkeln verborgen.

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