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Canaris-Patriot und Weltburger

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Am 9. April 1945 wurde in Flossenbürg nach einem -Standgericht Admiral Wilhelm Canaris, der einstige Chef des deutschen Nachrichtendienstes, hingerichtet. Aus den vielen Veröffentlichungen über den Widerstand gegen Hitler vermag der Historiker zu erkennen, daß Canaris im letzten Augenblick des Krieges bewußt ermordet werden mußte — weil sein Wissen für die historische Klärung der Vergangenheit jede zweite Dolchstoßlegende hätte zerstören können. Abshagen hat aus eigener Kenntnis und mit Hilfe zahlreicher ehemaliger Mitarbeiter des Admirals — darunter auch der jüngst verstorbene General Lahousen, der als Oesterreicher Canaris so nahestand — sein Buch geschrieben. Die Quellen sind naturgemäß gering, weil das dienstliche Tagebuch des Abwehrchefs, welches nach dem 20. Juli 1944 der SS in die Trlände fiel, auf ausdrücklichen Befehl Kaltenbrunners vernichtet werden mußte.

Wilhelm Canaris kam aus der kaiserlichen Murine und entstammte einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, die auf italienische — nicht, wie man oft annahm, griechische — Vorfahren zurückblicken konnte Trotz seiner hervorragenden Bewährung als Offizier, sagte Dönitz noch in Nürnberg über Canaris, er sei im Marineoffizierskorps ein Fremdling gewesen. Dazu trug nicht zuletzt seine Laufbahn bei: schon während des ersten Weltkrieges wechselten Kreuzerkommandos mit gewagten Abwehraufträgen, namentlich in Spanien, und Canaris .konnte den „Krieg hinter den Kulissen“ studieren und selbst erleben, ohne zu ahnen, daß er selbst dereinst ein Handelnder auf diesem Feld werden sollte. Der Dienst bei der Marinebrigade in den Umsturzjahren — hier erfolgte seine Berührung mit den furchtbaren Auseinandersetzungen des Bürgerkriegs — wechselte mit Bordkommandos. Als Ende 1934 der Leiter der militärischen Abwehr in Ungnade fällt, bestimmt Raeder Canaris, diesen Posten anzunehmen, der traditionsmäßig von einem Seeoffizier besetzt werden mußte. Scheinbar ein Kommando wie andere — aber bald eine Schlüsselposition im Ringen um Krieg und Frieden. Noch konnte die Wehrmacht das Drängen von Himmler und vor allem des weit intelligenteren Heydrich nach den militärischen Nachrichtenquellen abwehren. Aber schon die Ereignisse des 4. Februar 1938 bewiesen Canaris, daß die Wehrmacht immer mehr zum Instrument der Kriegspolitik wurde. Dagegen hat er sich gesträubt und ein kunstvolles Spiel der Täuschung des Gegners begonnen, um durch sinnvolle Nachrichtenpolitik Hitler und seinen Kreis vor dem Schritt zum Krieg zurückzuhalten. Als trotz der Warnungen der Abwehr die Würfel fielen, bemühte er sich, auf dem Posten zu bleiben, wohl wissend, daß seine Gegenspieler eines Tages stärker sein könnten. Er hat durch seine geschickte Berichterstattung oft Arges verhütet, wie etwa den Kriegseintritt Spaniens, aber hilflos blieb er in den Bemühungen, den Frieden wiederherzustellen, obgleich, durch sein Amt gedeckt, die militärische und politische Fronde zahlreiche Gespräche mit dem Auslande führte. Seine kluge Konzilianz im Verkehr mit den Gegenspielern Heydrich, Kaltenbrunner, Müller und Schellenberg konnte das Verhängnis nicht aufhalten. Im Frühjahr 1944 stürzte er über die Unachtsamkeit eines Mitarbeiters und die Abwehr wurde zur Domäne der SS ausgebaut. Nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, verbrachte er qualvolle Monate. Sein letzter Zellennachbar, der Oberstleutnant des dänischen Generalstabes, Lunding, verkehrte mit dem Todgeweihten durch Klopfr-ignalc. Dem einstigen Gesner — Lundin? war der Leiter der dänischen Abwehr — offenbarte er seine letzten Gedanken über seine Haltung und sein vergebliches Opfer. Trotz einer Flut von entstellten Publikationen nach 1945 war es der französische General Rivet, der in der hochangesehenen „Revue de defense nationale“ den Patrioten und Europäer Canaris würdigte. Damit kam er wie Abshagen zu dem Schluß, daß Canaris, trotzdem seine Pläne scheiterten, seinen Namen und seine Ehre für ein besseres Deutschland einsetzte.

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