6596351-1953_09_03.jpg
Digital In Arbeit

„Hie Staufenberg - Hie Remer!“

Werbung
Werbung
Werbung

Copyright hy „Die Oesterreichische Furche“. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten

IV. „Wir müssen durchhalten . .. müssen durchhalten!“

„Staatsautorität als Selbstzweck kann es nicht geben, da in diesem Fall jede Tyrannei auf dieser Welt unangreifbar und geheiligt wäre.“

(Adolf Hitler, „Mein Kampf“)

Während Stauffenberg seinen Fahrer antrieb, die Strecke zwischen Rangsdorf und der Bendlerstraße so rasch wie möglich hinter sich zu bringen, saß Hitler mit seinen italienischen Gästen im „Teehaus“, auch Göring, Himmler und Ribbentrop waren erschienen, um dem Ereignis ein wenig Glanz zu verleihen. Aber die Konversation floß mühsam dahin, es war immer, als horche man auf Laute aus weiter Ferne.

Um 16.10 Uhr betrat Keitel den Raum, in dem noch vor einigen Stunden Stauffenberg mit Rittmeister von Möllendorf gefrühstückt hatte, und meldete, daß Fromm fernmündlich angefragt habe, ob Hitler tot sei. Himmler gab den Auftrag, Stauffenberg „unauffällig“ zu verhaften, falls er in der Bendlerstraße eintreffen sollte. Aber man glaubte nicht recht an diese Möglichkeit. Es war mehr eine Maßnahme der Routine, und die Art der Durchführung bewies, daß man keine Ahnung hatte, worum der Einsatz ging.

Indes liefen nach Fromms Anfrage zahlreiche weitere Ferngespräche aus den verschiedensten Teilen Europas ein, in denen die Frage Fromms monoton wiederholt wurde. In dieser bald da, bald dort aufzuckenden Wißbegierde begannen sich in Wirklichkeit bereits die Konturen des Militärputsches abzuzeichnen, aber die Spannung in der Gesellschaft im Teehaus führte keinesfalls zu einer koordinierten, kraftvollen Abwehr, man konzentrierte sich vielmehr aufs Gesellige, ohne die Nerven zu haben, die Heiterkeit durchzusetzen. Langverhaltene Antipathien brachen plötzlich durch, das Teegespräch artete in Zank aus. Göring und Ribbentrop gerieten so aneinander, daß der Reichsmarschall den Außenminister an seinen früheren Beruf erinnerte und ihm, sehr zum Staunen der Italiener,' zu sprechen verbot. Kaum, daß sich die Gäste davon erholt hatten, sprang Hitler unvermittelt auf und verhieß den Frauen und Kindern derer, die sich gegen ihn verschworen hatten, die Rache der Konzentrationslager. Noch einmal offenbarte sich in dieser Bemerkung die Fähigkeit, eine Lage intuitiv zu erfassen, aber wie bei früheren Anlässen versagte die intellektuelle Auswertung.

Während also die ersten drei Stunden beide Gruppen in rätselhafte Passivität versunken schienen, sah es nun so aus, als würde der Revolte die größere Entschlossenheit den entscheidenden Zeitvorsprung sichern. Bis 17 Uhr fand als „Gegenaktion“ nur der Besuch des SS-Offiziers Piffrader in der Bendlerstraße statt, der, begleitet von zwei Kriminalisten, den naiven Versuch machte, den Führer eines weltbewegenden Aufstandes „zum Mitkommen aufzufordern“. Erst um 17.30 Uhr rief Hitler Goebbels an und befahl ihm, im Rundfunk zu verkünden, daß das Attentat mißglückt sei.

Aber sobald es schien, daß der Aufstand endlich aus dem schmalen Brückenkopf der Bendlerstraße in die Weite Europas aus-brecheri könnte, stellten sich Mißgeschick, Irrtümer und Versagen ein, die, einzeln gesehen, den etwas kläglichen Eindruck der Zufälligkeit erwecken, in ihrer Gesamtheit aber große Schicksalszüge erkennen lassen.

Die Struktur der Verschwörung war dergestalt, daß es auf der einen Seite eine recht kompakte und gut besetzte Staatsstreichsspitze gab, auf der anderen Seite eine — allgemein zu gering bewertete — Untergrundbewegung, die in gewissen Gegenden — so etwa im Hessischen und Rheinischen — bereits aktionsfähig war, während man anderswo immerhin schon den Augenblick erreicht hatte, in dem „die Elite der Revolution mit dem Vortrupp der Masse Fühlung genommen hat“. Welche Bedeutung Stauffenberg aber dem Eingriff der Masse zubilligte, zeigte seine Bestürzung über die Verhaftung des Sozialistenführers Leber, den handstreichartig aus dem Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße zu befreien er erwogen zu haben scheint. Die Voraussetzung des Erfolges — die Verschwörer haben im allgemeinen die Chancen nicht überschätzt: Hof acker, einer der Hauptakteure in Paris, hatte von 10 Prozent gesprochen, es war also die Tat, die „trotzdem“ gewagt wurde! — war nun, daß diese beiden weit auseinanderliegenden Polfelder durch den Funken einer mächtigen Initialzündung überbrückt würden. Dazu wäre rasche revolutionäre Aktion nötig gewesen. Aber Beck wie Stauffenberg hatten sich darauf festgelegt, daß bereits die Uebernahme der vollziehenden Gewalt durch das Heer unter Feldmarschall von W i t z 1 e b e n klar die Hinwendung zum Rechtsstaat erkennen lassen müsse. Der Staatsstreich erhielt dadurch einen nachgerade asketischen Charakter der Sauberkeit und Noblesse, aber in den beteiligten Offizieren, die durch den Zwang der Ereignisse bei der Stange hätten gehalten werden müssen, mag oft ein Gefühl entstanden sein, als handle es sich nur um ein Staatsstreichspiel, als könne man sich noch mitten drin anders besinnen, zögern und umkehren, als habe man ja nichts anderes getan, als an der riesigen, blitzblanken Befehlsmaschinerie diesen oder jenen Hebel betätigt, den man ja ohnedies, recht wie ein zaghaft gewordenes Kind, wieder in die Ausgangsstellung bringen könne.

Ja, so kavaliersmäßig ist alles zugegangen, daß sich selbst der so robuste Major Remer betroffen zeigte, als er vernahm, daß in der Bendlerstraße „erschossen“ werde, und sich niemand eine Vorstellung zu machen schien, welch unbarmherzige und grausame Fratze der Vergeltung über den Wäldern von Rastenburg aufstieg.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung