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„Hie Stauffenberg - Hie Remer!“

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I. Der Tag vor dem 20. Juli

Es geht heute um den deutschen Soldaten. Alle strategischen und politischen Planungen hängen davon ab, ob in absehbarer Zeit ein Dutzend kampfkräftige deutsche Divisionen stehen werden. Ziffernmäßig: SHAPE hat ungefähr achtzehn Divisionen in Deutschland stehen, die Sowjets auf der anderen Seite der Elbe zweiundzwanzig. Es sieht also so aus, als hätten die Sowjets den Aufbau atlantischer Kräfte im deutschen Raum ohne Erregung hingenommen, denn rund zweiundzwanzig Divisionen standen bereits zur Zeit der Luftblockade im ostdeutschen Raum. Man wird nicht fehlgehen, in dieser Statik eine der Ursachen zu erblicken, die eine gewisse Kürzung im NATO-Rüstungsbudget ermöglicht hat. Käme es zur Aufstellung eines deutschen Kontingentes innerhalb der Europaarmee, so läge ein weiterer Spannungsabbau im Grenzraum durch eine vorsichtige, stufenweise Reduktion amerikanischer Streitkräfte im Bereich der Möglichkeit. Denn sicherlich ist es nicht günstig, daß die Speerspitzen der peripheren Mächte zu nah beieinander im Sonnenlicht aufglänzen, sicherlich wäre es für das angeschlagene Selbstbewußtsein Europas von entscheidender Bedeutung, vor allem auch durch autochthone Kräfte geschützt zu sein, sicherlich wäre es nur so möglich, die in der Tiefe des russischen Raumes gestaffelte überlegene mobilisierte Kraft durch das überlegene westliche Potential auszubalancieren.

Aber ist der deutsche Soldat von morgen nicht die große Unbekannte? Westdeutsche Bevölkerung von... Rekruticrungs-schlüsse!... Tauglichkeitsprozent ... einsatzfähig daher..so lauten die mathematischen, die seelenlosen, gefährlichen Rechnungen, gegen deren Kälte die Revolte des „Ohne mich!“ im Gange ist. Man soll sich nichts vormachen, es ist ein Aufstand aus der Tiefe.

Wie, ihr könnt uns so nüchterne Rechnungen stellen, als sei der Krieg von gestern schon verklungen und verweht, dieser Krieg, dessen erster Schrei wie eine Fanfare geklungen hatte und dessen letztes Röcheln in den Schächten der Berliner U-Bahn ersticken mußte? Habt ihr vergessen, daß schon in den Gefangenenlagern von Steppe und Wüste jener tiefe, verhängnisvolle Riß offenbar geworden ist? Ihr plappert von Armee ohne Pathos, als hättet ihr das Geheimnis gelernt, den Tod zu desinfizieren! Und wißt ihr nichts von dem Wunsch, sich fallen zu lassen, am Wegrand der Geschichte hocken zu bleiben, um das Ende des Sturmes abzuwarten?

War es euch nicht Warnung genug, daß selbst auf englischem und amerikanischem Boden Femegerichte der Soldaten tagen und Todesurteile vollstrecken konnten? Begreift ihr nicht, daß bei allen Soldatentreffen die kameradschaftliche Fröhlichkeit und das i,Wir waren auch dabei“ nur mit Mühe und Not harte Gegensätze überspannen kann?

Und schon eilen schemenhafte Gestalten durch die deutschen Unterkünfte von morgen. Gespenstisch öffnen sich Türen, und in das erste Aufschimmern des Lichtes gellen die Parolen von Eid und Gewissen, klingen die Losungsworte „Hie Stauffenberg“ — „Hie Remer“.

Was hat zu geschehen? Gibt es einen anderen Weg, als all das Schwere und Dunkle, das auf den Boden des Bewußtseins •gesunken ist, nochmals zu heben und im hellen Schein der Vernunft die falschen Alternativen und irreführenden Parolen aufzulösen? Hie Stauffenberg — hie Remer! Hat die Geschichte etwa zwei Männer aus gleichem. Erz geformt und sie standbildgleich einander gegenübergestellt?

Wir wissen heute recht genau, wer Remer ist, und wie behaglich er sich's im inneren Werwolf zurechtgemacht.

Wer aber war Stauffenberg? Bedarf es da der Worte? Der Tyrannenmörder, der Hochverräter, der Lichtbringer, der Mann des Dolchstoßes und der Verstellung, der Bertrand de Born der Resistance! Gewiß, von diesem und jenem Blickwinkel all das. Aber nicht auch ein Mensch, warmherzig, leidenschaftlich, hoffend, zagend, liebend... ein Mensch mit seinem Widerspruch?

Es gab keinen Mangel an tapferen Männern im deutschen Heer, die zugleich eingeschworene Gegner des Diktators waren und die Meinung vertraten, allein der Tod des Gewaltherrschers könne dem Geschichtsablauf ein neues Bett bahnen. Es gab Offiziere, die sich bereiterklärten, die Wolfsschanze an der Spitze ihres Regiments zu stürmen; andere, die sich erbötig machten, in einer vorzuführenden neuen Uniform Sprengstoff einzubauen, um im entscheidenden Augenblick den Diktator zu umklammern und nicht loszulassen, ehe die Explosion beider Leben beendet; wieder andere, die, als Gruppe handelnd, seinem Leben mit Pistolenschüssen ein Ende setzen wollten. Die beinahe übermenschliche Ruhe und Beherrschung, das Beratungszimmer mit einer Aktentasche zu betreten, zu grüßen, auf einem äußerst verwickelten Gebiet Rede und Antwort zu stehen, dann, im entscheidenden Augenblick, da es sich nur noch um Sekunden handeln kann, gelassen zur Türe zu schreiten — im Freien etwas zu zögern, die Explosion abzuwarten, sich durch den Absperrungsring zu bluffen, all dies hatte sich nur einer zugetraut: Stauffenberg.

Wie bereitet man sich auf eine solche Tat vor? Wie hatte Stauffenberg überhaupt Zeit finden können, eine so umfangreiche Verschwörung zu inszenieren und gleichzeitig seine Stellung als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres, die er erst Anfang Juni angetreten hatte, auszufüllen?

Wir wissen darüber nur wenig. Nach außen hin machte er in den Tagen vor der Tat einen ruhigen, sicheren Eindruck. In den Vormittagsstunden des 19. Juli — also am Vortag — fand in der Bendlerstraße eine Besprechung statt, die Stauffenberg leitete und bei der es sich darum handelte, einige Fragen zu klaren, welche die Zuständigkeit der Gaju-leiter und der Wehrkreisbefehlshaber für den Fall betrafen, daß russische Streitkräfte in die an der Ostgrenze des Reiches gelegenen Wehrkreise eindringen würden. Offiziere, die daran teilnahmen, schildern Stauftenberg, wie er, lässig abwartend, die Ansichten Revue passieren ließ, dann mit souveräner Sicherheit entscheidend eingriff .und zwischendurch manchmal ein Scherzwort, vor allem auf Kosten der Generalstäbler, einfallen ließ. All das erinnert verblüffend an das Bild Stauffenbergs, wie ihn seine Kameraden während des Polenfeldzuges und während des Vormarsches im Westen auch gekannt „ ... und nun gab er, die Linke in der Hosentasche, die Rechte am Weinglas, gedankenvoll durchs Zimmer gehend, bald hier, bald dort stehenbleibend, dann wieder zur Karte greifend, den Quartiermeisterbefehl in allen Einzelheiten“, erzählte einer seiner Kameraden aus jenen Tagen.

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