6596140-1953_08_03.jpg
Digital In Arbeit

„Hie Stauffenberg - Hie Remer l“

Werbung
Werbung
Werbung

Copyright by „Die Oesterreichische Furche“. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, verboten

III. Das Drama in der Bendlerstraße

„Die Männer vom 20. Juli haben nicht leichtfertig gehandelt. Sie waren überzeugte Patrioten, die einen Verzweiflungsschritt in letzter Minute getan haben, weil sie am Endsieg zweifelten.“

(Goebbels im Führerhauptquartier, 22. Juli 1944)

Will man das Drama, das sich nun in der Bendlerstraße abspielen sollte, richtig begreifen, so muß man sich vor allem des tiefen, charakterlichen Gegensatzes zwischen dem BdE (Befehlshaber des Ersatzheeres) Generaloberst Fromm und seinem Chef des Stabes, Stauffenberg — »Endlich ein Generalstabsoffizier mit Phantasie und Verstand“, soll Hitler von Stauffenberg gesagt haben —, bewußt werden.

Stauffenberg war, wie einer der führenden SS-Funktionäre der „Sonderkommission 20. Juli“ richtig festgehalten hat, „in seiner elementaren, seelischen, geistigen und physischen Konstitution ein echter Revolutionär“. Er war ein Mann der Bewegung und des gewaltigen Vorwärtsdrängens, das Zögern, Verharren, ja auch das Meditative eines Grafen Moltke — er stand diesem zweiten Großen der deutschen Resistance mit leiser Fremdheit, um nicht zu sagen Antipathie gegenüber — waren seiner Natur unbekannt. Bezeichnend ist, daß ihn, einen Mann von Tradition, anläßlich eines Besuches in dem England der Chamberlain, Halifax und Run-eiman die Patina der Ehrwürdigkeit nicht über die Stagnation und die kommerziell übertünchte Fäulnis, die auch einen T. S. Eliot so stark berührt hat, hinwegtäuschte. Zu diesem mächtigen Vorwärts-«treben, dem Leben im Strome, aber kam eine sein ganzes Wesen erfüllende Unbedingt-heit. Robert Boehringer, einer aus dem

Kreis um den Dichter Stefan George, erzählt, wie er, Boehringer, im Atelier des Achilleion vor einen neu modellierten Kopf geführt wurde, damit er angebe, was der Dargestellte sei. „Nachdem ich den Kopf lang angesehen und ein paarmal umgangen hatte, sagte ich schließlich: Mörder.“ Das ist eine höchst frappierende Aussage, denn die Züge des Dargestellten — es handelt sich um Claus Stauffenberg, den späteren Tyrannenmörder

— sind harmonisch und edel. Doch nach einer Weile begreift man die Essenz dieses Erkennens. Mit dem schweren, dunklen Wort ist wohl die furchtbare Unbedingtheit gemeint, die diese Züge erfüllt haben. Hier gibt es zwischen Gedanken und Taten keinen Saum von Zögern, Zweifeln und Bedenken. Wie in dem Jakob der biblischen Geschichte spürt man hier eine Bereitschaft, sich auch dem Entsetzlichen zu stellen.

Als Stauffenberg daher ob seines überragenden Organisationsvermögens dem Befehlshaber des Ersatzheeres als „Chef“ zugeteilt wurde, fand er es notwendig, seinen neuen Vorgesetzten darauf aufmerksam zu machen, daß der Krieg unter den gegebenen Voraussetzungen verloren sei, und machte auch kein Hehl daraus, daß Hitler dafür alleinverantwortlich sei. Fromm nickte nur und meinte, seine eigene Auffassung weiche von der Stauffenbergs nicht allzusehr ab. Stauffenberg nahm daher an, daß in dem BdE eine innere Bereitschaft zur rettenden Tat vorhanden sei. Auch General Olbricht, der Chef des Allgemeinen Heeresamtes, dem es oblag, das Frontheer dauernd aufzufüllen und der Fromm länger kannte und ständig auf ihn einwirkte, war dieser Meinung. In Wirklichkeit aber gab es bei Fromm ein überschweres Gehäuse aus Routine, das nach außen noch durch einen Panzer der Phantasielosigkeit umgeben war

— nur ganz zuinnerst arbeitete sporadisch ein winziger Motor der Resistance, den Olbricht in seiner weltmännischen Frische und Stauffenberg in seiner glutvollen Eindringlichkeit

Siehe die „Furche“ Nr. 6 und 7.

zeitweilig anzuwerfen verstanden. Fachlich gesehen war auch Fromm zweifelsohne ein genialer Organisator, aber ungleich Stauffenberg und Ulbricht besaß er keinerlei Fähigkeit, sich vorzustellen, was seine Arbeit, dieses ewig neue Auskämmen des Menschen-teservoirs einer schon erschöpften Heimat, die Aufstellung immer neuer, immer ungenügender ausgebildeter und bewaffneter Einheiten, die alsogleich in eine Folge von letztlich aussichtslosen Schlachten, Rückzügen und Einkesselungen verwickelt wurden, eigentlich bedeutete. Ein tiefes furchtbares Beben hatte Deutschland und den Kontinent erfaßt. Da aber Fromms Schreibtisch und sein Sessel davor — die beiden entscheidenden Punkte — diese Bewegung mitmachten, konnte der BdE an eine Art Statik glauben, die zu erhalten seine Lebensaufgabe geworden war. Hätte die unwiderstehliche Welle einer Revolte die beiden für ihn wichtigen Möbelstücke gleichzeitig kräftig und behutsam unterfaßt und aufgehoben, die Dinge hätten einen anderen Verlauf genommen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung