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Einen Augenblick war es still...

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Ungeahnte Spannungen durchschwebten den Raum. Dann sprach Fromm mit tönender und fester Stimme:

„Meine Herren, so wie ich Ihnen heute frühgegenüberstand, so stehen Sie mir jetzt gegenüber.“ Er befahl, die Waffen abzugeben. Da die Offiziere aber keine bei sich hatten, geschah nichts.

Etwas laut und ohne zu stocken, beschuldigte Fromm die Offiziere des Verrats. Als Oberster Gerichtsherr des Ersatzheeres ordnete er nach einigen weiteren Sätzen die standrechtliche Erschießung an.

Nun war es eine ganze Weile still. Mir wurde klar, daß irgendein Putsch versucht worden war.

Dann hob Beck den Kopf, stand auf und sah den Gerichtsherrn an:

„Mein lieber Fromm ... Ihr Urteil mag gerecht ... und mag auch notwendig sein ... aber ... erschossen werden möchte ich nicht ... Denken Sie, bitte, an die Jahrzehnte unserer gemeinsamen Soldatenzeit ... unsere lange ... lange Kameradschaft. Ich bitte Sie ... Ja, ich bitte Sie, mir zu gestatten, daß ich dieses ... Ihr Urteil ... selbst an mir vollziehe.“

Fromm schwieg. Ich ging etwas näher an Fromm heran, um ihn von der Seite sehen zu können und betrachtete abwechselnd sein Profil und Becks traurig-ernstes Gesicht. Beck war in diesen Minuten kein Taktiker, wie ich den sicheren Eindruck hatte. Er war ganz erschüttert davon, nun einen Fromm vor sich zu sehen, der anders war, als eine lange, gemeinsame Vergangenheit ihn es hatte immer glauben und bis zur Stunde auch erwarten lassen. Offenbar enttäuschte Fromm ihn insofern nicht, als dieser sich ihm nun näherte und ihm seine Pistole reichte. Dann ging Fromm ohne seine Waffe wieder auf seinen Platz zurück. Beck stand aufrecht und betrachtete die Pistole in seiner Hand. Nach einer ganzen Weile entsicherte er sie mit Bedacht. Allmählich hob sich' sein linker Arm so weit, bis die Mündung der Waffe nahe seiner Schläfe stand. Der Arm zitterte. Dann senkte er sie wieder. In sich versunken, bewegte Beck die Pistole schwankend vor sich hin und her. Er war ganz in sich gekehrt und hat sicherlich nicht erwogen, auf Fromm zu schießen. Dieser aber schien solches für möglich zu halten, denn er fuhr Beck hart an: „Bitte, beeilen Sie sich!“ Verstört sah Beck, auf und sagte langsam und bewegt: „Das ist nicht so leicht, mein lieber Fromm.“ Dann herrschte wieder vollkommene Stille. Beck wiederholte die Bewegung von vorhin und richtete erneut die Pistole gegen seinen Kopf. Seine Hand zitterte. Ich nehme an, daß er zu dieser letzten Handlung entschlossen war. Nur spürte ich in diesen letzten Sekunden den Mangel an Ueberzeugung, sich selbst durch den Tod bestrafen zu sollen. Beck schloß die Augen fest zu und drückte ab. Nach dem Knall wankte er. Stauffenberg sprang ihm ritterlich zur Seite, stützte ihn und half ihm in den Sessel, aus dem er sich vor wenigen Minuten erhoben hatte. Beck rutschte in sich zusammen. Der Kopf fiel nach vorn. Die Arme hakten auf den Lehnen, und die Pistole fiel zu Boden. Etwas Blut rann aus der linken Stirnseite übers Gesicht.

Nun meldete sich Generaloberst Hoepner: „Das von Ihnen ausgesprochene Urteil kann mich nicht betreffen. Mit der ganzen Sache habe ich nichts zu tun. Niemals habe ich einen Verrat vorgehabt. Ich habe mich auch an nichts dergleichen jemals beteiligt. Ich bitte Sie daher, mich von Ihrem Urteil auszunehmen, mich als Unschuldigen nicht zu bestrafen.“

Er versuchte, den Generalobersten Fromm umzustimmen. Doch das war vergeblich. Fromm lehnte entschieden und eindeutig ab. Aber schließlich, als Hoepner nach längeren Darlegungen darum bat, doch wenigstens noch

einen Abschiedsbrief schreiben zu dürfen, gab Fromm nach. Hoepner setzte sich an Fromms Schreibtisch, an dem er bisher gestanden hatte, und vertiefte sich in sein Briefschreiben.

Der hinter dem mittleren Tisch sitzende General Olbricht hatte währenddessen aufgesehen. Nun bat er Fromm um die gleiche Erlaubnis. Auch diese wurde — nun ohne Widerstreben — gewährt. Olbricht suchte nach einem Füllfederhalter in seiner Uniform. Er fand ihn nicht.

Inzwischen waren in dem Raum hinter uns, dem Kartenzimmer, einige bewaffnete Soldaten aufgetaucht. Fromm befahl einem dieser Leute, in das Arbeitszimmer des Generals Olbricht zu gehen, um den Füllfederhalter zu holen. Bald schrieb auch Olbricht, ganz vertieft, seinen letzten Brief.

Die übrigen Verurteilten hatten geschwiegen und Stellung und Haltung nicht verändert. Stauffenberg ließ Fromm nicht mehr aus den Augen. Oberst Mertz von Quirnheim sah verschlossen und abweisend vor sich nieder. Der junge Oberleutnant von Haeften, hinter ihm, lehnte sich weiterhin mit den Händen auf dem Rücken an die Wand, auf seinen Zügen tiefster, furchtloser Ernst.

Der Generaloberst Fromm wurde ungeduldig. Er sah sich allseits um, überlegte kurz und sagte: „Ich werde selber einen Platz für die Erschießung suchen, vielleicht geht es im Hof.“ Sogleich ging er weg.

Generaloberst Beck war nicht tot. Mit nach vorn gesunkenem Kopf hing er in den Armen auf den Lehnen seines Sessels. Oefter sagte er phantasierend einiges, was man nicht verstehen könnte. Nur einmal habe ich etwas von „Kameradschaft“ vernommen.

Hoepner und Olbricht waren noch in ihre Briefe vertieft. Sie schrieben fleißig, anscheinend sehr ausführlich. Mertz von Quirnheim und Haeften rührten sich auch jetzt nicht. Stauffenberg, der keinen Schritt mehr von der Stelle trat, glutete mit seinem einen Auge hin und her.

Fromm war wieder da.

Jetzt sprach Stauffenberg: „Alles, was heute geschehen ist, wurde durch meine Befehle veranlaßt. Nur das, was ich sagte, wurde getan. Alle haben als Soldaten, als meine Untergebenen, nur auf mich gehört, so wie sie es mußten. Sie trifft darum überhaupt keine Schuld. Ich bin es allein, der alles zu verantworten hat. Ich allein bin daher schuldig.“

Der Ton dieser Worte war eindeutig und bestimmt. Die Sätze hämmerten wie der Befehl eines hohen Offiziers, der präzise ausdrückt, was er will.

Fromm stand in der Türöffnung, dem Rahmen der Bühne für die nun beendete Szene. Er sagte nichts. Er trat zur Seite. Langsam, aber nicht zögernd, gingen Stauffenberg, Mertz von Quirnheim, Olbricht und Haeften an ihm vorbei. Sie schritten ernst und mit innerer Haltung.

Hoepner aber, als letzter, blieb stehen. Er sprach Fromm an, hart und fordernd. Dieser aber schüttelte den Kopf und wollte nichts mehr hören. „Ich möchte Sie noch einmal unter vier Augen sprechen“, sagte Hoepner schließlich. Und die beiden Generalobersten gingen in das zur Bendlerstraße hin gelegene Zimmer Stauffenbergs. Hinter ihnen schloß sich die Tür. Durch die Scheiben sah man lediglich eine Pantomime: zwei hin und her schreitende Gestalten, die Hoepners recht bewegt, die Fromms zögernd.

Dann kam Fromm heraus: „Der Generaloberst Hoepner ist zu bewachen“ — einige Soldaten gingen zu Hoepner — „und ich gehe jetzt zum Minister Goebbels.“

Ich stand immer noch im Kartenzimmer, das zwischen Fromms und Stauffenbergs Arbeitsräumen lag. Jetzt, nach Schluß des Schauspiels, gingen hier noch einige Soldaten herum. Ich

versuchte, mir ein Bild zusammenzureimen von den Absichten und der Schuld der Verurteilten. Doch war kein Offizier zu sehen. So schritt ich den Gang zu den rückwärtigen Räumen des „Bendlerblocks“ entlang, meine Maschinenpistole unterm Arm. Ein bewaffneter Landser kam mir entgegen, schielte mich unschlüssig an, grüßte dann doch und zog weiter.

Die Zimmer des Chefs vom Allgemeinen Heeresamt, also Ulbrichts, waren verlassen. Lautlos konnte ich auf dem Teppich 'des Generalszimmers hin und her gehen. Da hier nichts zu fragen oder festzustellen war, schlenderte ich wieder vor zu Fromms Bereich.

Der Generaloberst Beck war verschwunden!

Es erschien mir doch recht merkwürdig, daß alle Räume so leer waren. Sollte sich irgendwo im Hause etwas Neues zusammenballen? Beiläufig öffnete ich eine kleinere Tür. Hier war ein Waschraum. Auf den Fliesen des Bodens lag ausgestreckt der Generaloberst Beck. Er lag auf dem Rücken. Das Gesicht war blaß und blutig. Er hatte wohl kein Bewußtsein mehr, denn er röchelte stark und jn gemessenen Abständen. Ich betrachtete ihn eine Weile. Er mußte jeden Augenblick sterben.

Später erfuhr ich, daß jemand noch auf ihn geschossen habe. Das kann vorher oder nachher gewesen sein. Auch ist mir unbekannt, ob es aus Mitleid oder Eifer geschah.

Es war jetzt Mitternacht.

In den Gängen und Zimmern sah man mit einem Mal viele Uniformen. In einem Raum saßen Offiziere und Zivilisten auf Stühlen an der Wand. Wie Verurteilte waren sie in sich zusammengesunken. Sie wurden bewacht.

In Olbrichts Vorzimmer war ein Gedränge von Offizieren des Heeres und des Sicherheitsdienstes. Feldgrau und schwarz durcheinander. Entschlossene, aufgeregte und bleiche Gebärden. Man fragte, redete und schwatzte. Ein mir unbekannter General wollte endlich Klarheit dar-

über haben, wer vom „Bendlerblock“ nicht

mehr am Leben sei. Ich meldete kurz, was ich gesehen hatte, ohne sagen zu können, ob die Verurteilten jetzt tatsächlich tot Seien. Darauf wurde mir aufgetragen, dies festzustellen.

Im Keller des Hausflügels, in dem Fromm und Olbricht ihre Dienstzimmer hatten, wurde In diesen Wochen ein Luftschutzraum eingerichtet. Wenn man von der Bendlerstraße her durchs Tor und an der Wache vorbei eintrat, lag er links am Innenhof. Die Mitte dieses Hofes nahm eine Rasenfläche ein, an der beiderseits Fahrwege vorbeiführten. Der linke Weg war damals gesperrt, denn zwischen dem Luftschutzkeller und dem Rasen entstand ein Graben für einen Notausgang. Ein Haufen hellen Sandes türmte sich quer über die Straße.

Ich ging in den Hof hinunter. An dem Berglein märkischer Erde lagen die vier Erschossenen. Sie lagen übereinander, kreuz und quer, im trüben Licht der Hoflampe sah ich Stauffenbergs noch offenes Auge. Keiner der Vier lebte mehr. Links von ihnen, an der Hauswand, hielt ein Lastkraftwagen. Seine rückwärtige Klappe stand offen zum Sandhaufen hin. Auf dem Wagen lag bereits jemand. Ich kletterte hinauf. Es war der gleichfalls tote Generaloberst Beck.

Im Treppenhaus waren Blutspuren von seinem Transport auf den Stufen. Oben, in Olbrichts Vorzimmer, meldete ich das Gesehene.

Hier und dort in den Gängen und Zimmern standen kleinere Gruppen, teils flüsternd, teils wichtig-laut: „Heut haben sich die Geister geschieden, da sieht man mal, wer wirklich zum Führer steht.“

Uebernächtig saß ich an meinem Schreibtisch. Der frühe Sommermorgen dämmerte herauf. Zeitig meldete ich ein Ferngespräch nach Konstanz an, das schnell vermittelt wurde. Einem Verwandten gab ich ein Lebenszeichen — zur Weitergabe an meine Frau — und eine kurze Schilderung der nächtlichen Ereignisse.

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