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Die Sorge um das Frontheer

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Becks zweite Sorge aber galt der Rettung des Frontheeres, bei dem es nun buchstäblich um Tage und Stunden ging, wollte man durch Rücknahme der in aussichtslosen Positionen vorne gelassenen Divisionen noch eine Eingreifreserve schaffen.

Etwas nach 19 Uhr, eben näherten sich Panzer dem Zentrum der Stadt, gelang es, die Drahtverbindung zur „Heeresgruppe Nord“ herzustellen, und zum ersten und letzten Male enthüllte Beck — ein ergreifender Augenblick — in dem einen, knappen und doch umfassenden Befehl (auch er totgeboren), der die Heeresgruppe für die Verteidigung Ostpreußens gerettet hätte, sein so lange brach gelegenes Feldherrentum. Etwas später traf nun auch W i t z 1 e b e n ein und meldete Beck gegenüber Bedenken über die bisherige Durchführung des Staatsstreiches an; es entstand ein heftiger Disput, dem, wie ein Zeuge berichtete, die Grafen Stauffen-be r g und Schwerin, „zu marmornen Säulen“ erstarrt, lauschten.

Während sich Beck und Witzleben miteinander besprachen, während von da und dort Nachrichten eintrafen, die einen günstigen Verlauf des Aufstandes vermuten ließen, breitete sich allmählich in der Bendlerstraße eine eigenartige, immer intensiver werdende Unruhe aus. Das Abrücken des Wachregiments, das um etwa 21.30 Uhr auffällig werdende Verschwinden der Panzerkräfte aus dem ,Wilhelmstraßenviertel — just um diese Zeit begann in Paris der Sturm auf die SS-Kasernen — deutete das Entstehen eines Kräftevakuums an, in das alsbald die Sturmgewalten der Ranküne einbrechen würden.

Olbricht faßte entschlossen seine Offiziere zusammen, um aus ihnen eine Schutzrrupnc für das Haus zu formen, die für die Verteidigung sorgen würde, bis es Stauffenberg gelungen wäre, das Wachregiment durch andere Truppen zu ersetzen. Die Offiziere ließen sich auch widerstandslos einteilen, später verlangte allerdings einer von ihnen, Oberstleutnant Herber — er hatte sich als einer der ersten und, wie es nun schien, voreilig, das Hoheitszeichen von der Uniform getrennt —, zu wissen, was eigentlich gespielt werde. Olbricht erklärte in großen Zügen und ganz freimütig, worum es gehe, niemand protestierte, aber dem aufmerksamen Blick einer Sekretärin entging nicht, „daß auf den Mienen einiger... eine gefährliche Aufwallung zu erkennen war“.

Und bald fanden sich auch Offiziere, die die Meinung äußerten, man müsse den Putsch niederwerfen. Zu ihrem Anführer wurde Oberstleutnant Herber, ihm traten die im selben Rang stehenden Herrer, von der Heyde, Priduhn und Kubar zur Seite. Diesen Offizieren gebührt zweifelsohne vor Remer der geschichtliche Anspruch, die Revolte erstickt zu haben. Während sie sich auf ihr Werk vorbereiteten, erschien plötzlich wie ein verlorener Enge! Oberst Müller von der Infanterieschuh Döberitz, erbat neuen Befehl und erklärte sofort zum Angriff auf den Sender antreter zu wollen. Zu spät! Die Aktion der Herbers von der Heydes, der Priduhns und Kuban? wird früher Wirklichkeit werden.

Es ist etwa 22.50 Uhr, als ein schwerbewaffneter Trupp unter Herbers Führung bei Ulbricht eindringt. Stauffenberg, der den Raum durch eine andere Tüi betritt, soll ergriffen und dingfest gemacht werden, doch reißt sich der Einarmige entschlossen los, eilt auf den Flur, aus dei

Gruppe der standfesten Oberstleutnants wird von hinten auf ihn geschossen, im übriggebliebenen Arm bleibt eine Kugel stecken, Anhänger Stauffenbergs erwidern das Feuer, doch setzt sich die bessere Bewaffnung und Ueberzahl der Gruppe Herber bald durch. Nun wird Fromm — der sich Hoeppner gegenüber ehrenwörtlich verpflichtet hatte, nicht ins Geschehen einzugreifen — befreit, dringt mit der Pistole in der Hand, Ehrenwort hin, Ehrenwort her, in den Raum ein, wo Beck, Stauffenberg, Hoeppner und H a e f t e n sich zurückgezogen haben. Blitzschnell legt Haeften die Waffe auf ihn an, aber Stauffenberg hält ihn mit der ihm eigenen Ueberlcgenhcit zurück; was könnte es jetzt noch nützen, den wankelmütigen Hünen zu töten?

„An mich, Ihren alten Vorgesetzten, werden Sie diese Forderung nicht stellen!“ sagt Beck, als Fromm ihn auffordert, die Waffen zu übergeben, greift mit gelassener Ruhe nach der Pistole, so daß Fromm es wieder mit der Angst zu tun bekommt und ihn warnt. |

„Ich denke in diesem Augenblick an die Zeit von früher...“, sagt Beck, den eine Art jenseitiger Ruhe zu erfüllen scheint.

Doch Fromm hat es eilig: „Die wollen wir jetzt nicht erörtern, jedenfalls bitte ich, zu handeln!“

Beck hält die Pistole gegen seinen Kopf, drückt ab — ist indes nur verletzt. Fromm will ihm die Pistole abnehmen lassen, aber der alte Herr setzt sich zur Wehr, schießt ein zweites Mal auf sich, lebt noch immer. Nun fordert Fromm einen der eben eingetroffenen Offiziere Remers auf. das Werk zu vollenden. Dieser übergibt, des Tötens alter Herren ungewohnt, den Auftrag seinem Feldwebel...

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