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„Hie Stauff enberg - Hie Remer!“

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II. Die kostbaren Stunden der Vergeblichkeit

Die Erde gähnt, die Hölle brennt, Die Teufel brüllen, Heilige beten, Auf daß er schleunigst werde weggerafft.

(Shakespeare)

Selten hat ein großer Mann, und das war Stauffenberg seinem ganzen Zuschnitt nach, seinem Volk ein Erbe hinterlassen, das so schwer zu fassen und zu umreißen ist. Sein Lächeln ist vergangen wie der Anhauch des warmen Windes, seine Freunde wurden erdrosselt, seine Briefe mit irgendwelchen Akten der Staatspolizei verloren oder verbrannt, niemand hat seine Worte aufgezeichnet. Als einziges Monument dieses Lebens sind die Stunden und Minuten der Vergeblichkeit geblieben. In dem schmalen Spalt der Zeit zwischen 12.35 Uhr und 22 Uhr brannte die heiße Flamme dieses Seins noch einmal überhell auf, um alsogleich von der Dunkelheit übermannt zu werden.

Die Lagebesprechung des 20. Juli hatte Schlag 12.30 Uhr im sogenannten „Kartenhaus“ begonnen. Stauffenberg war bereits seit etwa zwei Stunden im Führerhaupt-quarticr gewesen, hatte zuerst mit General Fellgiebel, dem an der Verschwörung teilhabenden Beherrscher des Nachrichtenapparates, gesprochen, sodann mit dem Adjutanten des Führerhauptquartier-Kommandanten, Rittmeister von M o e 11 e n-d o r f, gefrühstückt, von wo ihn Keitel zu sich bitten ließ, um in einer Vorbesprechung die forcierte Aufstellung von Volksgrenadierdivisionen zu erörtern, mit der man d i e eingestürzte Mitte der Ostfront wieder aufrichten wollte.

Um 12.35 Uhr gesellte sich der schon ob der Verspätung nervös gewordene Keitel mit Stauffenberg der „Lage“ zu. Stauffenberg muß es knapp vorher gelungen sein, die metallmantellose Bombe mit einer Pulverladung von 1 kg Hexit, die der befreundete Sachverständige der Pioniertruppe für unter allen Umständen ausreichend bezeichnet hatte, auszulösen — kein ganz leichtes Unterfangen, da er dazu, wie es später in einem SS-Bericht heißen wird, „den Zeitzünder mit einer Zange eindrücken mußte, da die Schwäche der restlichen drei Finger der linken Hand noch diese Hebelwirkung notwendig machte“. Verschiedene Berichte schildern, wie Stauffenberg die zweite Sicherung während der Lagebesprechung selbst auslöste, indem er sich, aufstehend, schwer auf die Tasche stützte. Es scheint aber, daß die verwendete Bombe (Stauffenberg führte eine zweite mit sich) in Wirklichkeit keinen solchen Mechanismus besaß und dem Akteur also einen starren, unabänderlichen Zeitrahmen von zehn Minuten vorschrieb. Um 12.40 Uhr verläßt jedenfalls Stauffenberg, durch seinen Adjutanten von H a e f t e n herausgebeten, das Kartenhaus.

Um 12.44 Uhr hat sich die Säure durch den Draht gefressen, der Schlagbolzen hat sein Werk erfüllt: die Bombe explodiert.

Stauffenberg sieht, wie Menschen durchs Barackendach geschleudert werden und Sanitäter herbeistürzen, ruft seinem Fahrer zu: „Zum Flugplatz, so schnell Sie können“, und es gelingt seinem imponierenden Auftreten, sich durch den Sperrkreis II zu bluffen oder, wie es in dem Jargon der Meldungen geheißen hätte: „Oberst Graf Stauffenberg vom BdE passiert Posten II in' Richtung auf Posten I.“ Es ist etwas nach 13 Uhr, als sich die bereits startklar gemachte Kuriermaschine vom Boden erhebt — um diese Zeit versammelten sich in Berlin in der Bendlerstraße die Männer der Militärverschwörung —, langsam an Höhe gewinnt und auf westlichen Kurs eindreht. Tief unten zieht das waldige Gelände Von Rastenburg, aus dem Seen und Wasserläufe dunkelgrün aufglänzen, vorbei, während sich am Horizont die Kumuluswolken des heißen Tages zusammenballen. Zwischen einigen Minuten nach 13 Uhr und 16 Uhr befindet sich Stauffenberg in der Luft, erst um 16.40 Uhr trifft er in der Bendlerstraße ein.

Die Geschichte der Verschwörungen kennt wenig Beispiele, daß der Hauptakteur wenige MJnm-on rtirh der entscheidenden Tat für

Stunden zu einer zwangsläufigen Passivität verurteilt wird. Wie hat Stauffenberg, mitten aus der Aktion herausgerissen, diese Minuten und Stunden ertragen?

Zunächst muß die ungeheure Anspannung der Attentatsausführung nun stärker bemerkbar geworden sein, als wenn die eine Tat ohne Zäsur in die nächste übergeleitet hätte. Man spürt förmlich, wie Stauffenberg sich in seinen Sitz zurücklehnt, die Binde über dem toten Auge zurechtrückt, den Kopf zurücklehnt. Vielleicht überkommt ihn auch für eines Herzschlages Länge so etwas wie Schwäche, und in den Minuten tiefer Mattigkeit mögen wohl Bilder und Erinnerungen, dem Anschein nach ohne rechten Sinn und klare Ordnung, in ihm lebendig geworden sein: Noch aus der Kinderperspektive heraus ins Riesenhafte vergrößert das königliche Schloß zu Stuttgart, in dem das zarte, mit sieben Monaten zur Welt gekommene Kind, ein Sohn des Hofmarschalls des Königs von Württemberg und ein Enkel Gneisenaus, früheste Jahre verbrachte. Dann Reitertage, Erinnerungen an ein Pferd, das er während Manövern in irgendeinem Bauernstall entdeckt, angekauft und zugeritten. Kindheitsimpressionen: Streifzüge durch die grauen Felsen der Schwäbischen Alp, ... die Vorwerke von Lautlingen, die Tier- und Ochsenburg, die man meist in Gesellschaft der Zwillingsbrüder Berthold und Alexander aufgesucht. Zwillingsbrüder übrigens, die einander auch innerlich nicht sehr ähnlich gewesen, während zwischen Claus und Berthold sich bald ein seelischer Gleichklang eingestellt hatte, der durch das gemeinsame Ende besiegelt werden sollte. Rilke hat von den drei Kindern als von den „drei schönen und schon im jetzigen Ausdruck so vielfach künftigen Knaben“ gesprochen. Welche Künftigkeit!

Und dann bricht durch diese Visionen des Pastells, die das Bewußtsein gerade grundiert haben mögen, das Antlitz eines Großen, das Antlitz des Dichters Stefan George! „Ein königliches Haupt aus bäuerlichem Stoff, voll Dämonie und mit apollinischem Lippcn-bogen.“

Claus Stauffenberg war erst fünfzehn Jahre alt, als er in den schönheitstrunkenen Kreis Georgs trat. So jung, daß sich aus dem Kontakt gewisse Schwierigkeiten mit dem Elternhaus ergaben, die ein wenig an den Fall Hofmannsthal erinnern, der später von George sagen wird:

„Er macht die leere Luft beengend kreisen und er kann töten, ohne zu berühren.“

Unzählige Bilder sind aus jenen Tagen erhalten, das Festhalten und Aufbewahren äußerer Schönheit war für den George-Kreis kennzeichnend, das schöne, edle, harmonische Menschenbild stand hier im Mittelpunkt esoterischer Aesthetik. Betrachten wir heute die Bilder des „Meisters“, so will uns scheinen, als sei hier die Beseelung gleichsam an die äußerste Peripherie gedrängt, als könnte sich jetzt und jetzt der „Hauch“, das „Etwas“ — Dämon oder gefallener Engel — in das Blau des Aethers erheben.

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