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Der 40. Juli

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In diesen heißen Sommertagen, da sich wieder einmal der Schicksalstag der Stauffcnberg-Erhebung jährt, rufen — ein ungewöhnliches Ereignis! — gleich zwei deutsche Filme desselben Themas auf einmal die Erinnerung an das blutigste Opfer der gegennationalsozialistischen Widerstandsbewegung wach. Aufsehenerregende Prozesse und Proteste lassen im Hintergrund des vieldiskutierten Vorganges wie schon beim Hitler-Film „Der letzte Akt“ die Frage laut werden, cb und wie weit solche Filme überhaupt imstande sind, der Bedeutung und den tiefen geistigen Hintergründen solcher Taten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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In diesen heißen Sommertagen, da sich wieder einmal der Schicksalstag der Stauffcnberg-Erhebung jährt, rufen — ein ungewöhnliches Ereignis! — gleich zwei deutsche Filme desselben Themas auf einmal die Erinnerung an das blutigste Opfer der gegennationalsozialistischen Widerstandsbewegung wach. Aufsehenerregende Prozesse und Proteste lassen im Hintergrund des vieldiskutierten Vorganges wie schon beim Hitler-Film „Der letzte Akt“ die Frage laut werden, cb und wie weit solche Filme überhaupt imstande sind, der Bedeutung und den tiefen geistigen Hintergründen solcher Taten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

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Nach dem kalt berechneten DM-Rennen und dem gehässigen Konkurrenzkampf, den sich die Produzenten des Berliner Stauffenberg-Films „Der 20. Juli“ und des gleichen Münchner Films „Es geschah am 20. Juli“ vor der Öffentlichkeit geliefert haben, fällt es schwer, dem Publikum auszudeutschen, daß die schöpferischen Potenzen der beiden Filme einem ehrlichen, sauberen Ziel zustrebten. Und doch ist es so. Im Film noch häufiger als in der Kunst scheinen sich nun einmal die Künstler des nicht immer sauberen Podiums bedienen zu müssen, wenn sie überhaupt zu Worte kommen wollen.

Nun, da beide Filme zugleich, wie in mehreren deutschen Städten auch in der österreichischen Metropole, laufen; düfferfwir sie ruhig aus die-, sem Industriedampf lösen und vorurteilsfrei beurteilen.

Der zeitliche Premieren-Zusammenfall der beiden Filme, der zum boshaften Witzwort vom 40. Juli reizt, verleitet auch zu Vergleichen. Aber es ist wie bei den Eiern: Das eine ist oben mehr rund und das andere unten spitzer ... Ein äußerer Rangunterschied ist nicht eigentlich sichtbar, sie sind beide gut, stellenweise sehr gut, und gehören zu den stärksten, charaktervollsten Dokumentationen des deutschen Nachkriegs-Filmes. Ein jeder auf seine Art mischt Dokumentarisches mit sparsam und taktvoll Erfundenem und folgt damit jenem Typus moderner Mischformen, denen viele für die nächste Zukunft des Films große Chancen geben. Beide haben ihren „Schiabrenndorf“ fleißig gebüffelt (Regisseur Pabst noch fleißiger als Falk Har-nack), beide haben die Wolfsschanze so echt nachgebaut, daß man an diesen Stellen die beiden Kopien meterweise fast kongruent überein-anderdecken könnte, und die winzige Differenz, daß Harnacks Film seinem Staufenberg das rechte statt dem linken Auge verklebt, mutet wie ein ironisches Augenzwinkern an.

Die Unterschiede liegen tiefer.

Der Berliner Film des Theatermannes Falk Karnack (wir vermuten in dem Regisseur einen Verwandten des gleichnamigen aufrechen Merseburger Resistance-Mannes), „Der 2 0. J u 1 i“, macht beachtenswerte Versuche, die Ereignisse des 20. Juli breiter und tiefer zu verankern. Es gibt da einen frei erfundenen Hauptmann Lindner, einen Pastor, der Niemöller heißen könnte, eine sozialistische Druckerei und Blicke auf die Widerstandszelle Tresckow-Schlabrenndorf in der Heeresgruppe Mitte, die bekanntlich ein Jahr zuvor das Attentat auf Hitlers Flugzeug versucht hat. Auf der anderen Seite zieht Har-nack stärker als Pabst Wochenschauaufnahmen heran, so u. a. Goebbels' berüchtigte Rede aus dem Spätsommer 1944 von dem „Gottesdienst Krieg“, auf die der Filmschnitt sehr präzise mit der grausigen Motette der Stalin-„Orgel“ antwortet. Die Hauptrollen — Beck und Staufenberg — sind hier mit Werner Hinz und Wolfgans: Preiß besetzt (der letztere im rassigen Profil Stauffenberg näher als Bernhard Wicky im anderen Film), wozu noch die „dämonische Sanftheit“ des SS-Oberleuteschinders in der beklemmenden Darstellung Ernst Schröders tritt.

Der Münchner Film G. W Pabsts, „E s g e-chah am 2 0. Jul i“, ist deutlich das Werk eines alten Filmhasen mit den Klauen des Löwen. Er strafft den Ablauf auf die Spanne vom Morgengrauen bis abends, vernachlässigt bewußt alle Vorgeschichten und Hintergründe, kopiert geschichtstreu und haargenau alle überlieferten Vorgänge, Reden, Aussprüche und gewinnt durch kleine Lyrismen und Feuilletonismen (um Ulbrichts Gattin u. a.) mehr menschliche Wärme und Fülligkeit als die knappe, fordert exakte Reportage Falk Harnacks. Hier wird mehr gespielt, in,Harnacks Film mehr agiert. Beck und Stauffenberg sind hier, weniger eindrucksvoll als im anderen Film, Karl Ludwig Diehl und Bernhard Wicky, besser sind hier Fromm und Ulbricht (Carl Wery und Erik Frey). Ein unverständlicher Ausrutscher ist hier die schwammige Szene mit Goebbels (mit der Maske und dem Tonfall Goebbels' hatte schon „Der letzte Akt“ sein Kreuz).

Die ausschließliche Konzentrierung des Pabst-Films auf die Vorgänge des 20. Juli von morgens bis abends fordert zu einem gewichtigen Einwand heraus, der in geringerem Ausmaß auch für den anderen Film, ja für die ganze Gattung und schließlich vielleicht für „den“ Film überhaupt gilt. Mein Gott, so war's doch schließlich nicht: daß da ein Häuflein Offiziere und Adelige rebellierte und einer mit englischen Sprengstoffen um ein Tischbein herum Verstecken spielte. Was war da doch dahinter für ein Meer von Opfern, Ueberlegungen und Konflikten, die nur in der eisigen Höhenluft letzter Einsamkeit und Verlassenheit ausgefochten wurden: Der Tyrannenmord des Gläubigen, der „Soldateneidbruch“ der Offiziere ... Beide Filme spüren das und führen gemeinsam den jungen Grafen Claus eine Minute lang vor Gott; der eine Film legitimiert den „Soldateneidbruch“ durch ein Dichterwort (E. M. Arndts), der andere durch eine formal-juristische Ueberlegung. Aber so einfach war das, ist das alles gar nicht. Man lese einmal Heinrich M. Waasens tiefgründige Untersuchung in sieben Aufsätzen der „Furche“ (1953, Folge 6—12) nach (eine Lektüre, die auch sonst allen „Furche“-Lesern, die diese Filme besuchen wollen, empfohlen sei); wie da aus Anlage und Umwelt des jungen Grafen das „Unbedingte“ herauswächst, welche schicksalhaften Verknotungen die kostbaren Stunden von 12.35 Uhr bis 16 LIhr erdrosseln, welche verwickelten Voraussetzungen die Aktionen in der Bendlerstraße lähmten — und man wird erkennen, daß diesen beiden Filmen eine ganze Dimension fehlt, daß in ihnen doch nur das Räderwerk einer ergreifenden Schicksalstragödie abläuft, das tausend Dinge ungeklärt, ja ganz unverständlich läßt, und daß vor allem das schwerste Opfer der lautersten Glieder der Resistance — ihr Gewissenskampf — völlig unberücksichtigt und ungewürdigt bleibt.

In diesem Zusammenhang erhält mehr noch als sonst das ernst und nachdrücklich erhobene Protestwort der Familien Stauffenberg, Hoepner, Goerdeler u. a. sowie des deutschen „Hilfswerk 20. Juli“ gegen beide Filme schweres Gewicht. Es heißt darin, daß „das eigentliche Anliegen der Widerstandsbewegung in ihrer geistigen, moralischen und rechtlichen Bedeutung nicht genügend zum Ausdruck“ komme. Auf die Gefahr hin, wie anläßlich des Hitler-Filmes „Der letzte Akt“ von einzelnen mißverstanden zu werden, schließt sich der Beurteiler der „Furche“ abermals diesen Vorbehalten völlig an. Er neigt sich in, Achtung vor dem Wollen und Können der beiden Filme, noch mehr aber in Ehrfurcht vor dem Schmerz und der tiefen Einsicht der Angehörigen der Opfer des 20. Juli, die die todernste Sache ihrer Gatten und Söhne in dein vordergründigen, flächigen, dimensionslosen Denkmal der Filmroutine schlecht vertreten sehen.

Ein „Protestierender“ freilich muß hier ausgeschieden werden: Generalmajor Remer, der sich gedrängt fühlt, die Filmproduzenten wegen Verleumdung zu klagen. Wäre er auf der anderen Seite gestanden — man könnte allenfalls noch seinen „Aufschrei“ verstehen. Er saß aber zwischen den Stühlen — und fiel durch. Er fiel an diesem Nachmittag zweimal ab. Die Akten über ihn sind geschlossen. Er möge beiseitestehen, schweigen und sühnen.

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