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Was zwischen 12.44 Uhr und 16.40 Uhr geschah

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Allmählich zeigte sich tief drunten, wie die große Stadt, der man sich nähert, Reflexe intensivsten Bewohntseins in das flache, gleichgültig-ruhige Land wirft. Dörfer und kleine Städtchen tauchen auf, Straße und Schiene laufen eine Weile parallel, um sich dann plötzlich und ohne ersichtlichen Grund zu trennen.

Um 16 Uhr setzt die Kuriermaschine Stauffenbergs auf dem Flugplatz Rangdorf auf, Stauffenberg eilt ans Telephon, um die Bendlerstraße zu informieren, daß der Anschlag geglückt sei. Erst um 16.40 Uhr fährt sein Wagen vor dem wuchtigen grauen Riesengebäude vor, wo die Entscheidung fallen wird.

Die Frage ist nun, was in der Zwischenzeit geschehen ist! Wir müssen Bier drei Hauptgruppen unterscheiden. Da gab es zunächst den wider Erwarten geretteten Hitler mit seinen Getreuen in der Wolfsschanze, sodann, ebenfalls im Führerhaupt-quarticr, die Anhänger Stauffenbergs, vor allem Fcllgiebcl und den Generalmajor Stieff, einen Ostpreußen, der seit 1943 Chef der Organisationsabteilung im Oberkommando des Heeres war, und drittens die Verschwörer in der Bendlerstraße.

Hitler selbst scheint sich rasch gefaßt zu haben; wie sein Leibarzt erzählte, ging sein Puls, als ihn der Arzt untersuchte, völlig normal. Trotzdem hat er anfänglich die Möglichkeit, einem organisierten Staatsstreich gegenüberzustehen, scheinbar nicht ins Kalkül gezogen. Sonst hätte er nicht die kostbarsten Stunden mit einem ganz unwirklich anmutenden Komödienspiel verbracht. Er fand nämlich Zeit, Mussolini, der eben angekommen war, zu empfangen, während sich die zweite Hauptperson des Hauptquartiers, Keitel, mit G r a z i a n i zu einem Schattenspiel der Macht zurückzog und nicht zu sprechen war.

Der Dolmetscher S c h m i d hat anschaulich geschildert, wie Hitler und Mussolini in dem zerstörten Kartenhaus auf einer Kiste und einem wackligen Stuhl Platz nahmen, wie Hitler mit auffällig leiser Stimme den Hergang schilderte, wie dem erschrocken wirkenden Mussolini beinahe die Augen aus dem Kopf traten. Vielleicht erinnerte sich der Duce an die maliziöse Bemerkung Hitlers anläßlich des Badoglio-Mißgeschicks, daß ihm ähnliches von „seinen“ Offizieren, Gene-lälen und Admirälen niemals zustoßen könnte. Da Hitler also damit beschäftigt war, dem Italiener zu imponieren und sich in die Rolle des von der Vorsehung Bewahrten hineinzureden („Ein Mensch, der wider die Gnade steht, der offenbar ohne alle Gnade ist, aber für eine Weile im Blitze scheinhaften Erfolges herrscht — ein solcher Mensch ist wohl die furchtbarste Erscheinung auf Erden“, sagt Reinhold Schneider), konnte er sich des ungeheuren Vorteils, den ihm das Versagen Fellgiebels in die Hand gespielt, nicht richtig und schnell genug bedienen.

Daß diese Unfähigkeit, die Bedeutung des Augenblicks zu erkennen, ohne entscheidende Folgen blieb, ist vor allem auch darauf zurückzuführen, daß der Gegenspieler in der Wolfsschanze, Fellgiebel, zwar die Nach-lichtenstränge durch einen Befehl blockierte, aber nichts unternahm, sie physisch zu zerstören, sei es, daß ihn daran das Ueberleben Hitlers hinderte, sei es, daß die Aufgabe zu umfangreich war, um mit den ihm zur Verfügung stehenden Kräften bewerkstelligt zu werden.

Was nun die Gruppe in' der Bendlerstraße anbelangt, so erfuhr General Olbrich um 15.50 Uhr durch General Thiele, daß ein Kommunique aus dem Führerhauptquartier zu erwarten sei. Um 15.50 Uhr meldet General Thiele, daß er mit dem Führerhauptquartier gesprochen, aber nichts Sicheres habe erfahren können. Er glaube, herausgehört zu haben, daß Hitler tot oder verwundet sei. Daraufhin nehmen General Olbrich und Oberst Mertzvon Quirnheim die vorbereiteten Staatsstreichpläne aus dem Panzerschrank und geben ohne Benachrichtigung des Oberbefehlshabers des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, das Stichwort „Walküre“ aus. Die Meldung Stauffenbergs von 16 Uhr hatte also keinen auslösenden Charakter mehr, um 16 Uhr, also zur selben Zeit, gibt bereits

General von Hase, der Wehrmachtskommandant von Berlin, den Befehl an das ' Wachbataillon weiter, Remer fährt persönlich zur Einweisung in die Kommandantur.

Zusammenfassend ergibt sich also ein höchst befremdliches, ein im Grunde kaum glaubliches Bild: Zwischen 12.4 9 Uhr (fünf Minuten nachdem Attentat) und 15.50 Uhr verharren alle drei Gruppen in völliger Passivität. Jeder ist in diesem tödlichen Duell jedem ausgeliefert, nicht einmal das Hauptquartier der GESTAPO in der Prinz-Albrecht-Straße ist entsprechend gesichert, der GESTAPO-Chef Müller könnte ebenso wie der Reichsverteidigungskommissar von Berlin, Goebbels, durch eine Handvoll Soldaten herausgeholt werden, andernfalls würde ein Anruf Hitlers in Rangsdorf genügt haben, Stauffenberg bereits dort zu verhaften.

Aber nichts von all diesen Dingen geschieht. Das Drama nimmt seinen vorgezeichneten Lauf.

(Die Veröffentlichung wird fortgesetzt)

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