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Geheime Reden

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„Weniges hat im Untergang des Dritten Reiches, die Welt mehr verblüfft, als das nahezu spurenlose Verschwinden der nationalsozialistischen Ideen und Vorstellungen; was als Weltanschauung von Epochenrang gefeiert worden war, überlebte ihre Begründer nicht.“

Mit diesem Satz beginnt die von Joachim C. Fest geschriebene Einführung zu einem Buch, das man ebenso gut an die Reihe historischer Schriften als in die einer Sciencefiction einreihen kann. Letzteres gibt auch Antwort auf den oben zitierten Satz, warum die „Weltanschauung“ des Nationalsozialismus so spu- renlos verschwunden ist. Man muß diese Geheimreden Himmlers gelesen haben, um das Phänomen des Nationalsozialismus zu verstehen. Ein Gemisch aus Ras&eitheorien, Ru- nenverehrung, Blutgedanken,

Quacksalberei und ungeheurer Brutalität tritt einem da entgegen und man muß manche Seite zweimal lesen, um überhaupt zu erfassen, was damit gemeint ist. Heinrich Himmler war ohne Zweifel der mächtigste Mann im Dritten Reich. Er unterschied sich aber sowohl von seinem „Führer“ wie von fast allen anderen Größen dieser apokalyptischen Epoche durch seinen Glauben an ein Germanentum, das zur Weltherrschaft berufen war, weil nur im „germanischen Blut“ die Vorauset- zungen hiefür zu finden gewesen wären. Was da alles an Blutmythos aus diesen Reden herauszulesen ist, übertrifft bei weitem die himrissig- sten futuristischen Romane der Gegenwart. Himmler glaubte an das, was er sagte mit einer Inbrunst, die ein normales Denken von Haus aus ausschloß. Nicht Rosenberg war der eigentliche weltanschauliche Programmacher des Nationalsozialismus, sondern Himmler, das geht deutlich aus der Lektüre seiner Geheimreden hervor.

Gepaart war dieser weltanschauliche Fanatismus mit dem völligen Fehlen jeder Moral. Himmler und seine SS waren auf moralische Erwägungen ebensowenig ansprechbai wie Hitler selbst und die anderen NS-Größen. Vor allem kannten sie keinerlei Achtung vor dem Leben. Dies galt nicht nur gegenüber dem weltanschaulichen oder militärischen Feind, sondern auch gegenüber dem eigenen Volk, ja sogar dem nächsten und engsten Freund. Das „ohne Rücksicht auf Verluste“ ließ keine Überlegung zu, die irgendwie humanistischen Charakter gehabt hätte. Dazu einige Beispiele: „…ich glaube, daß es richtig ist. Wir mußt- ten zunächst dem Gegner seine führenden Köpfe nehmen … das war die polnische Intelligenz. Die mußten weg, da half nun nichts.“ (Seite 128). Bezüglich der Judenmorde sagte Himmler in seiner Rede vom 6. 10. 1943: „Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten — sprich also, umzubringen (!) oder umbringen zu lassen — und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden, dieses Volk von der Erde verschwinden zu lassen“ (Seite 169). Oder: „Auf der anderen Seite steht ein 180-Millionen-Volk, ein Gemisch aus Rassen und Völkern, deren Namen schon unaussprechlich sind und deren Gestalt so ist, daß man sie bloß ohne Gnade und Barmherzigkeit zusammenschdeßen kann.“ (Seite 185). Oder: „Der Ruf des Schreckens und des Terrors, der uns bei den Kämpfen um Charkow vorausging, diese ausgezeichnete Waffe wollen wir niemals schwach werden lassen, sondern sie immer nur verstärken.“ (Seite 189). Öder: „So habe ich grundsätzlich den Befehl gegeben, auch die Weiber und die Kinder dieser Partisanen und Kommissare umbringen zu lassen.“ (Seite 201).

Auch über seine Methoden gab der Reichsführer SS bereitwillig Auskunft. So hielt er in einer Rede (1944) fest: „Selbstverständlich habe ich in manchen Fällen keinerlei Autorisierung durch das Gesetz gehabt, einen Verbrecher festzunehmen, der nichts begangen hatte.“ (Seite 198).

Daß diese einmalige Bestie in Menschengestalt in solchen Gedankengängen total verfangen war, ist schon aus den wenigen Zitaten, die zü hunderten aus diesem Buch ergänzt werden könnten, ersichtlich. Das bietet aber auch die Erklärung dafür, daß Gnadenerwaisie völlig ausgeschlossen waren. Die Angehörigen der damals politisch Verfolgten werden bezeugen können, daß alle Versuche, wenigstens im Gnadenweg die Entlassung eines Angehörigen aus einem KZ oder Gefängnis oder auch nur die Zubilligung erleichterter Haftumstände zu erreichen, niemals einen Erfolg hatten. Sie konnten ihn nicht haben, weil die Stelle, an die die Gesuche gerichtet waren, den Begriff Gnade nicbl kannte. Es war eine eigene Welt, in die sich Hitler, Himmler und ihre Spießgesellen hineindachten, aus dei es keinen Ausweg gab. Wer ausschließlich den Menschen „germanischen Bluts“ die Fähigkeit zuschreibt, die Welt in Ordnung zu halten, konnte auch einen längs hoffnungslos gewordenen Krieg nichl aufgeben. Alle Friedensbemühungeider Alliierten oder neutralen Länder mußten daher scheitern. Mar hat nach 1945 wiederholt die Frag« gestellt, ob die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation dei Krieg verlängert habe. Besonders ii den preußischen Offizierskreisen, di« dem Hitler-Regime feindlich gegenüberstanden, wurde diese Frage vie diskutiert. Wer Himmlers Reden gelesen bat, weiß darauf die einzig gültige Antwort. Ein total amoralisches, auf Machtstreben aufgebaute: Denken läßt keinen Kompromiß zu Es gab also keine Bedingung, untei der Hitler oder sonst jemand aus dei Führungsgarnitur beredt geweser wäre, den unseligen Krieg abzubrechen, solange die von Himmler praktizierte Weltanschauung maßgebenc war. Man könnte rückblickend höchstens sagen, daß es eigentlich unnötig war, die deutsche Kapitulatior als eine bedingungslose zu fordern denn die Denkungsart des Führer des Dritten Reiches war so kon-

struiert, daß eine Kapitulation erst i nach dem tatsächlichen Ende erwar- : tet werden konnte, was ja schließlieh auch eingetreten ist.

Soll man ein Buch wie dieses der ‘ Welt von heute zur Lektüre emp- ‘ fehlen? Ich glaube, ja. Die Welt von heute und von morgen soll wissen, was auf dieser Erde alles möglich sein kann, nicht nur in Mitteleuropa.

Auch Joachim C. Fest kommt in sei- ‘ nem Vorwort zu dem Schluß, wenn er sagt: „Mancher Leser, der sich : rückblickend in diese Dokumente vertieft, mag am Ende nicht glauben 1 wollen, daß dies in seiner etammeln- ‘ den Notdurft bereits alles gewesen 5 sei. Suchend nach Gründen für so " riesenhafte Veranstaltungen, so nie geschehene Verbrechen und- Leiden, ‘ verlangt er nach anderen Rechtferti- ‘ gungem als einem romantisch pueri- ‘ len Wikinger träum; -aber es gibt 5 keine.“ Was der Verfasser unter „ro-

mantisch pueril“ versteht, ist, was ‘ wir als die jeder Moral entbehrende r Weltherrschafts-Phantasie bezeich- 1 net haben. Aber Fest hat recht, dafür ‘ gab es weder damals, noch wird es jemals eine Rechtfertigung geben.

HEINRICH HIMMLER: GEH EI M- , REDEN 1933—1945. Einführung von s Joachim C. Fest. Propyläenverlag. 319 Seiten. 243 Abbildungen. S 292.60

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