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REVUE IM AUSLAND

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Hitlers Sieg

„Wenn wir gesiegt hätte n“, unter diesem Titel bespricht Wanda von Baeyer im Märzheft der „Frank- furter Hefte“ Akten aus dem Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes und Dokumente, die beim Nürnberger Prozeß Vorlagen und nunmehr in amerikanischen Editionen veröffentlicht wurden. Am 22. August 1939 erklärte Hitler vor der gesamten deutschen Generalität auf dem Obensalzberg:

„Ich werde propagandistischen Anlaß zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht.“ Das Schicksal Deutschlands und der Welt hänge wesentlich von ihm ab, „von meinem Dasein, wegen meiner politischen Fähigkeiten…“. „Unsere Gegner sind kleine Würmchen. Ich sah sie in München..„Wir brauchen keine Angst vor Blockade zu haben. Der Osten liefert uns Getreide, Vieh, Kohle, Blei, Zink. Es ist ein großes Ziel, das vielen Einsatz fordert. Ich habe nur Angst, daß mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Ver- mitolungsplan vorlegt.“

Im November 1940 legt Ribbentrop Molotow in Berlin einen Entwurf vor zu einem Abkommen zwischen Deutschland — Italien — Japan und der Sowjetunion, das eine Aufteilung der Welt vorsieht. „Deutschland erklärt, daß, abgesehen von den im Friedensschluß durchzuführenden europäischen territorialen Revisionen, der Schwerpunkt seiner territorialen Aspirationen in den mittelafrikanischen Gebieten liegt.“ Italien soll Nord- und Nordost- afrika, Japan den ostasiatischen Raum und der Sowjetunion der Raum „im Süden des Staatsgebietes der Sowjetunion in Richtung des Indischen Ozeans“ Vorbehalten sein. Molotow, der gekommen war, um sehr konkrete Probleme — Türkei, Rumänien, Finnland — zu besprechen, sollte von Ribbentrop mit Zukunftsmusik in anderen Erdteilen totgeredet werden. Nach dem Ausfall Rußlands teilen sich — Dokument NG 4711 — Deutschland und Japan Europa, Asien und Afrika allein auf. Die Erörterung von Einzelfragen ging so weit, daß man dabei zum Beispiel über den Verlauf der Abgrenzungslinie im Raum von Madagaskar Überlegungen anstellte. Interessante Einblicke über die geplante Aufteilung und Organisierung Rußlands gewährt das Dokument L-221 — Führerhauptquartier, 16. Juli 1941. Hier kommt es bereits au Auseinandersetzungen zwischen Göring und Rosenberg über die Besetzung der Gauleiterposten von Moskau, Ukraine, Krim, Kola- Halbinsel und Kaukasus. Die SS, die sich hier ausgeschaltet sah, übt in einem hochbeachtlichen Dokument — 294 - PS Berlin, 25. Oktober 1942, gez. Bräutigam — schärfste interne Kritik an der deutschen Versklavung der besetzten Ostgebiete. Angeprangert wird hier unter anderem die Behandlung der Kriegsgefangenen.

„Es ist bei Freund und Feind kein Geheimnis mehr, daß Hunderttausende von ihnen in unseren Lagern buchstäblich verhungert und erfroren sind.“ Als man, reichlich spät, erkannte, daß man das „ostische Menschenmaterial“ für die Arbeit im Reich brauchte, „setzte eine regelrechte Menschenjagd ein. Ohne Rücksicht auf Gesundheitszustand und Lebensalter wurden die Menschen nach Deutschland verfrachtet, wo sich alsbald herausstellte, daß weit über 100.000 wegen schwerer Krankheiten und sonstiger Arbeitsunfähigkeit zurückgeschickt werden mußten.“

Dieses Dokument stellt in seiner Einsicht eine große Ausnahme 3ar. Himmler selbst verheißt seiner SS in einer Rede im April 1943 — Dokument PS 1919 — als Leben nach dem Kriege: Die Züchtung einer Oberschicht, die „so stark und lebensvoll sein soll, daß jede Generation bedingungslos aus jeder Familie zwei und drei Söhne auf dem Schlachtfeld opfern kann und daß trotzdem die Weiterleitung des Blutstromes gesichert ist“. Als einziges Vorrecht habe er sich vom Führer die Besetzung der äußersten deutschen Ostgrenze als Wehrgrenze für seine SS erbeten.

„Dort werden wir in der Lage sein, jeden jungen Jahrgang praktisch im Gebrauch der Waffen zu üben. Wir werden dem Osten unsere Gesetze aufdiktiaren. Wir werden vor- brecben und uns nach und nach vo-rpreschen bis zum Ural. Ich hoffe, daß unsere Generation das noch schafft, daß jeder Jahrgang im Osten gekämpft hat, daß jede Division von uns jedes zweite odar dritte Jahr einen Winter im Osten zubringt.“

Aus dem Verhör mit Bartus Gerdes vom 20. November 1945 — Dokument P 3462 — werden die Pläne des SS-Stabes belegt durch die Ausführungen Kakenbnunners:

„Deutschland muß dafür Sorge tragen, daß die Ostvölker und der größte Teil der Balkan- und Donaustaaten zum Ausstarben gezwungen werden durch Sterilisierung und Vernichtung der Herrenschicht dieser Landei-. Um jedoch den Führungsanspruich des deutschen Volkes zu sichern und gleichzeitig die deutsche Bevölkerung zu steigern, müssen alle ledigen und verheirateten deutschen Frauen, soweit diese noch nicht vier Kinder haben, im Alter bis zu 35 Jahren verpflichtet werden, von. reinrassigen, einwandfreien deutschen Männern vier Kinder zu zeugen. Ob dies Männer verheiratet sind, spielt dabei kein Rolle. Jede Familie, die bereits vier Kinder hat, muß den Mann für diese Aktion freigeben.“

Als Zuchtanstalt für seinen „neuen Menschen“ will Himmler nach den ßlänen von Professor Gießler, in München eine Zentrale für den „Lebensborn“ bauen lassen, als Entbindungsheim für die unehelichen „Mütter guten Blutes“. Himmler hat bereits 1943 berechnet, daß schon 400.000 Frauen dafür zur Verfügung stehen. Finanziert werden soll das riesige Bauprogramm der SS durch die Sklavenarbeit der KZler. Um den Arbeiterstand der KZs zu sichern, wird in einer Besprechung Himmler—Dr. Rothenberger— Streckenbach—Bender, vom 18. September 1942 beschlossen: „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug an den Reiehsfiihrer-SS zur Vernichtung durch Arbeit. E werden restlos ausgeliefert die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über drei Jahren Strafe, Tschechen oder Deutsche über acht Jahren Strafe…“ Wie wichtig ist auch Nummer acht dieses Dokuments 654-PS!: „Reichs führer SS ist mit einer Bestimmung, wonach die Strafmündigkeit auf zwölf Jahre herabgesetzt, und die verminderte Strafmündigkeit über achtzehn Jahre erweitert werden kann, für das Jugendstrafgerichtsgesetz einverstande n.“ Die deutsche Jugend sollte also — irri Ostgrenzdienst, in den Zuchtanstalten des Lebensborns, in den Züchtigungsanstalten der KZs den Sieg Hitler—Himmlers gewährleisten. Diese Dokumente sprechen für sich selbst. Sie sprechen die Sprache des totalen Nihilismus.

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