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„Graf Stauffenberg, Sie müssen sich sofort erschießen!“

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Halten wir nun nochmals den zeitlichen Ablauf fest. Um 15.50 Uhr geben Olbricht und Merz von Quirnheim, ohne Fromm zu befragen, das Stichwort für „Innere Unruhen“ aus, Oberstleutnant B c r n a r d i s, ein Oesterreicher, übernahm die fernmündliche Durchsage. Um 16 Uhr landet Stauffenberg in Rangsdorf, spricht mit der Bendlerstraße, und in derselben Minute gibt der Wehrmachtskommandant von Berlin den Befehl „Walküre“ an das Wachregiment weiter.

Einige Minuten später betritt Olbricht den Arbeitsraum Fromms, meldet den Tod Hitlers und schlägt vor, die Macht zu übernehmen. Fromm aber will auf Nummer Sicher gehen. Er sagt nidit: „Warum soll das Stichwort Innere Unruhen ausgegeben werden, wenn es keine inneren Unruhen gibt“, er sagt auch keinesfalls: „Nun müssen wir uns an Göring halten“, der ja designierter Nachfolger ist, er hat im Grunde nichts dagegen,. in „vollziehender Gewalt“ zu machen, aber zunächst will er sicher sein, daß Hitler tot ist, und so verlangt er ein Blitzgespräch mit Keitel.

„Der Führer lebt“, erklärt dieser, „und ist nur unwesentlich verletzt.“

Und dann die tastende' Frage: „Wo ist denn Ihr Chef, der Graf Stauffenberg?“

Zu diesem Zeitpunkt war in der Wolfschanze schon ein Verdacht auf Stauffenberg gefallen. Man scheint aber angenommen zu haben, daß er sich, falls er der Attentäter wäre, hinter den nur 100 Kilometer entfernten russischen Linien ins Sicherheit gebracht hätte. In Wirklichkeit taste er in diesem Augenblick mit der in drei Stunden aufgespeicherten Ungeduld über die Treppen der Bendlerstraße.

Aufgeht Olbrichts Tür und der Tyrannenmörder tritt ein.

Zweifel und Unsicherheit, die durch Keitels Dementi ausgelöst wurden, schiebt er beiseite. Paris wird angerufen, damit dort die Aktion anlaufe; die beiden Männer, die als Sonderbotschafter der neuen Regierung mit dem Westen verhandeln sollen, Dr. Otto John und Hansens, werden ersucht, noch zu warten. Generaloberst Beck erscheint und erklärt grundsätzlich, daß Hitler für sie tot sein müsse, wie immer es sich nun in Wirklichkeit damit verhielte.

Olbricht und Stauffenberg werden zu Fromm entsandt: es ist knapp vor 17 Uhr.

Olbricht legt dar, daß Stauffenberg, frisch aus dem Hauptquartier kommend, den Tod Hitlers bestätigen könne.

Nun spielt sich, laut dem Zeugnis- Fabian von Schlabrendorfs sowie dem Vernehmungsprotokoll Fromms, folgendes ab:

Fromm: „Das ist unmöglich! Keitel hat mir das Gegenteil versichert.“

Darauf Stauffenberg, aus dem die tiefe Verbitterung des Frontsoldaten gegen Keitel zu spüren ist: „Der Feldmarschall lügt wie immer, ich habe selbst gesehen, wie man Hitler tot hinausgetragen hat.“

Dieser Ausspruch folgt ganz der „Arbeitshypothese“ Becks; in Wirklichkeit konnte Stauffenberg eine so präzise Beobachtung gar nicht gemacht haben. In diesem Augenblick aber läßt Olbricht die Maske des gehorsamen Untergebenen fallen, die revolutionäre Tat, die um 12.39 Uhr den ersten Funken gab, um 15.50 Uhr mit dem Stichwort „Walküre“ in die administrative Breite ging, wird unwiderruflich.

Olbricht: „Angesichts dieser Lage haben wir das Stichwort für Innere Unruhen an die stellvertretenden Generalkommandos gegeben.“

Aber Fromm ist kein dummer, nur ein zaghafter Mann, er erkennt im Augenblick, was gespielt wird, vor allem aber, daß es da um seine Autorität geht. Der über zwei Meter lange Hüne wuchtet vor den beiden auf und schreit:

»Das ist glatter Ungehorsam. Was heißt ,wir? Wer hat den Befehl gegeben?“

Olbricht: „Mein Chef des Stabes, Oberst Merz von Quirnheim.“

Fromm verlangt, daß Merz gerufen werde, dieser erscheint und gibt zu, das Stichwort ausgegeben zu haben.

Fromm, der nun etwas ruhiger geworden ist, erklärt ihn für verhaftet und beauftragt ihn, die Befehlsausgabe sofort abzustoppen. Daraufhin leitet Merz auf den gelasseneren, kollegialen Ton über, der sich an diesem Tag wieder und wieder in das Fortissimo der Antagonisten in der Bendlerstraße einschaltet:

„Sie haben mich eben festnehmen lassen, Herr Generaloberst, ich bin also in meiner Bewegungsfreiheit beschränkt.“

Füi einen Augenblick tritt eine Pause ein, es ist, als sollte ein Akt mit dieser ironischüberlegenen Note geschlossen werden. Da aber führt Stauffenberg die Zwiesprache gereizter Männer in die eisige Zone geschichtlicher Größe.

„Herr Generaloberst, ich-habe die Bombe selbst gezündet... es hat eine Explosion gegeben, als ob eine 15-cm-Granate eingeschlagen hätte. Niemand in jenem Raum kann mehr leben.“

Unwillkürlich ist Stauffenberg, um in diesem entscheidenden Augenblick mit seiner ganzen Persönlichkeit wirken zu können, von seiner früheren Feststellung — er habe den toten Hitler gesehen — abgerückt, um sich hinter der viel schwächeren Behauptung: „Niemand in jenem Raum kann mehr leben“ zu verschanzen.

Angesichts dieser Sachlage wird aber Fromm in seiner ursprünglichen Ansicht bestärkt und nimmt im rein Konventionell-Offiziersmäßigen Zuflucht.

Fromm: „Graf Stauffenberg, das Attentat ist mißglückt, Sie müssen sich sofort erschießen!“

An dieser Aussage fällt der Kausalzusammenhang zwischen dem Mißglücken des Attentats und der Notwendigkeit des Selbstmordes sofort auf. Wie bei allen Männern, die sich schließlich gegen die Revolte gestellt haben, kommt die Reservation Fromms nicht aus dem Absoluten, der Ablehnung des Mordes oder Mordversuches und des Eidbruches; Fromm spielt vielmehr die Rolle eines Arztes: er ist zu einer Operation gerufen, bei der ein Kunstfehler passiert ist, und aus diesem muß er, wie die Dinge liegen, gewisse

Konsequenzen ziehen, ohne daß ihm die Vornahme der Operation an sich ungeheuerlich vorgekommen wäre. Olbricht appelliert nun an Fromms patriotische Gefühle und deklariert sich hiermit als Mitverschworener.

Daraufhin Fromm: „Ich erkläre Sie hiermit alle drei für verhaftet.“

Und nun schlagen die Dinge plötzlich um.

Olbricht: „Sie können uns nicht verhaften lassen. Sie täuschen sich über die wahren Machtverhältnisse. Wir verhaften Sie.“

Es kommt zu einem Handgemenge, Offiziere aus dem Nebenzimmer dringen ein — einer von ihnen ist Haeften — und richten ihre Pistolen auf den Befehlshaber des Ersatzheeres. Der von Hitler aus der Wehrmacht ausgestoßene Generalpberst H o e p p-n e r — er hatte gewagt, sich einer Forcierung des Angriffes auf Moskau zu widersetzen — tritt, zum erstenmal wieder in Uniform, ein, um Fromms Position zu übernehmen. Auch ihm gegenüber weist Fromm in durchaus kollegialem Ton auf den Kunstfehler hin: „Ja, H o e p p n e r, es tut mir leid, aber ich kann nicht anders. Meiner Ansicht nach ist der Führer nicht tot...“

(Die Veröffentlichung wird fortgesetzt)

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