"Offiziere sind keine Revolutionäre"

Werbung
Werbung
Werbung

Carl Szokoll war am 20. Juli 1944 Stauffenbergs Verbindungsmann in Wien - bis auch hier "Walküre" niedergeschlagen wurde.

Die Furche: Herr Szokoll, Sie waren einer der letzten, die am 20. Juli 1944 mit Claus Schenk Graf von Stauffenberg Kontakt hatten...

Carl Szokoll: Ich war nicht nur einer der letzten, die mit ihm Kontakt hatten, ich war einer der wenigen, die in das Attentat und in die Gesamtstruktur der "Operation Walküre" eingebunden waren und wussten, worum es dabei wirklich geht.

Die Furche: Was war Walküre?

Szokoll: Walküre war ein Konzept, wie das Ersatzheer in der Heimat gegen aufständische Kriegsgefangene, Fremdarbeiter oder einsickernde Truppen vorgehen soll. Stauffenberg hat Hitler von der Gefahr, die von den Millionen Fremden im Reich ausgeht, überzeugen können. Er hat zu Hitler gesagt: Da ist eine Lücke in der Festung Europa und diese Lücke muss mit schlagfertigen Einheiten des Ersatzheeres geschlossen werden. Und Hitler war begeistert.

Die Furche: Hat niemand die Gefahr gesehen, dass man diese Einheiten auch gegen das Regime stellen kann?

Szokoll: Walküre war nie als Revolution oder Volksaufstand geplant, deswegen wurde der Kreis der Wissenden sehr klein gehalten. Mich selbst hat erst ein Paragraph des Walküre-Befehls stutzig gemacht, in dem es geheißen hat: Keinesfalls dürfen Personen, die außerhalb der Wehrmacht sind, mit Walküre vertraut gemacht werden. Selbst von den 17 Walküre-Beauftragten in den einzelnen Wehrkreisen hat der Großteil geglaubt, dass sie - wenn sie Walküre befolgen - getreu dem Eid an Hitler handeln.

Die Furche: Sind die Offiziere des 20. Juli eidbrüchig geworden?

Szokoll: Was zählt hier der Vorwurf vom Bruch des Fahneneids? Friedrich der Große hat einmal gesagt: Das Volk ist von der Treuepflicht enthoben, wenn der Herrscher die Pflicht verletzt, für das Wohl des Volkes zu sorgen. Und ein anderes Mal hat er gesagt: Ich habe ihn zum General gemacht, damit er weiß, wann er nicht zu gehorchen hat.

Die Furche: Wie realistisch war es, an einen Frieden mit den West-Alliierten nach einem gelungenen Hitler-Attentat zu glauben?

Szokoll: Das waren kindliche politische Vorstellungen. Die Alliierten hätten nie zugestimmt, dass die eroberten Gebiete bei Deutschland bleiben - daraus sehen Sie, dass Offiziere keine Revolutionäre sind. Nach dem D-Day, der Landung der Alliierten in der Normandie, war den Männern des 20. Juli klar: Es ist zu spät, es hat keinen Sinn mehr. Trotzdem haben sie es gemacht, um zu beweisen, dass es ein anderes Deutschland gibt.

Die Furche: Hätte Walküre auch ohne Hitlers Tod gelingen können?

Szokoll: Nein, und selbst wenn Stauffenberg Hitler getötet hätte, wäre es zu einem langen Bürgerkrieg mit ungewissem Ausgang gekommen.

Die Furche: Sie haben am 20. Juli über Vermittlung der Stiefelausgabestelle mit Stauffenberg telefoniert - das hat Ihr Leben gerettet...

Szokoll: Ja, die internen Telefonleitungen wurde nicht überwacht. Ich bin damals in mein Büro gerannt und habe Stauffenberg angerufen: Da höre ich heute noch seine müde Stimme: "Ihr werdet doch nicht auch schlapp machen!" - dann ist die Verbindung abgebrochen.

Die Furche: Was blieb vom 20. Juli?

Szokoll: Der 20. Juli 1944 hat in Deutschland eine wesentlich wichtigere Rolle gespielt als beim Aufbau des österreichischen Bundesheeres. In Deutschland gibt es viele positive Aussagen ranghoher Offiziere zum 20. Juli - nicht so in Österreich. Wie ein Bauchladenhändler bin ich von einem Verteidigungsminister zum anderen gewandert - ohne Erfolg. Erst vor kurzem hat im Heeresgeschichtlichen Museum eine Gedenkfeier und ein eindeutiges Bekenntnis zum 20. Juli stattgefunden. Jetzt erst bin ich eingeladen, mit Verteidigungsminister Günther Platter ein Gespräch über den 20. Juli und dessen Bedeutung für das Bundesheer zu führen.

Die Furche: Was wollen sie als einer der letzten Zeugen des 20. Juli an die heutige Jugend weitergeben?

Szokoll: Ihr Jungen und Mädels, die ihr das Erbe der Männer und Frauen des 20. Juli verwaltet, hütet es, seid verantwortlich und wahrt die große Aufgabe, die euch beschert wurde: ein einiges Europa zu schaffen, in dem nie wieder ein Hitler auftreten darf. Alle die Probleme, die wir damals hatten, gibt es jetzt nicht mehr: keine Wehrmacht in Deutschland, kein Bundesheer in Österreich, das zulässt, dass ihr für einen Hitler in den Krieg ziehen müsst.

Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, zum militärischen Widerstand und zur diesbezüglichen Traditionspflege im Bundesheer.

Die Furche: Wie verhält sich der 20. Juli zum anderen Widerstand gegen das Nazi-Regime?

Wolfgang Neugebauer: Der Widerstand in der Wehrmacht reicht weit über die Aktionen des 20. Juli hinaus. Es hat Tausende Verfahren vor Militärgerichten gegeben, wo Leute wegen Desertion, Wehrkraftzersetzung etc. zum Tode verurteilt worden sind. Das Attentat des 20. Juli war nur ein kleiner Teil des Widerstands, der aber in der großen Öffentlichkeit eine besondere Wirkung hatte. Die Bundesrepublik Deutschland steht ja quasi in der Tradition dieser Aktion.

Die Furche: Wer waren die Akteure neben dem Kreis um Stauffenberg?

Neugebauer: Ausgegangen ist das Attentat von höheren Offizieren. Meist waren das national-konservative Kräfte. Es ist dann doch gelungen, die Basis dieser Aktion durch zivile Widerstandskreise zu erweitern. Ich denke an die Verbindung mit dem Kreisauer-Kreis, wo doch eher liberal Gesinnte dazugekommen sind. Schließlich sind auch Sozialdemokraten und Gewerkschafter eingebunden worden und in der allerletzten Phase hat Stauffenberg auch Kontakte zum kommunistischen Widerstand aufgenommen.

Die Furche: Gilt das auch für Österreich?

Neugebauer: Auch hier hat es Verbindung zu zivilen Kräften in Wien gegeben: Sowohl Sozialdemokraten als auch Christlichsoziale sind von Deutschen Widerstandskräften kontaktiert worden. Die österreichischen Politiker waren aber nicht bereit, bei einer zukünftigen Regelung, Österreich bei Deutschland zu belassen. Während die deutschen Verschwörer Deutschland möglichst groß erhalten wollten.

Die Furche: Was halten Sie von dem Vorwurf, die Offiziere hätten erst umgeschwenkt, als sie den Krieg verloren wussten?

Neugebauer: Mit dem Russland-Feldzug hat doch eine neue Qualität der Auseinandersetzung eingesetzt - es ist zum Vernichtungskrieg gekommen, gleichzeitig wurde die Endlösung in der Judenfrage propagiert. In diese Aktivitäten war auch die Wehrmacht, zumindest in einer assistierenden Funktion eingebunden. Und diese Gräuel haben dann vielen, die noch geschwankt haben, die Augen geöffnet. Ich halte es aber für unrichtig, diesen Offizieren vorzuwerfen, dass sie erst nach der Kriegswende, also erst nach Stalingrad zum Widerstand gegangen sind.

Die Furche: Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten des 20. Juli?

Neugebauer: An sich war die Operation Walküre schon genial: Die Rolle der Wehrmacht für den eigenen Plan auszunutzen. Der Putsch konnte damit sehr gut getarnt werden. Der kapitale Fehler war wohl, dass sowohl das Attentat als auch die Putschorganisation in den Händen von Stauffenberg lagen, und der nicht gleichzeitig in der Wolfsschanze und in Berlin operieren konnte. Das war sicher das größte Manko. Verhängnisvoll war auch die Feigheit der hohen Offiziere, die geschwankt haben und versucht haben, sich herauszuwinden. Wenn alle so entschlossen gehandelt hätten wie Stauffenberg, wäre die Aktion unter Umständen auch ohne den Tod Hitlers gelungen.

Die Furche: Wie wichtig ist der 20. Juli für das Selbstverständnis des Nach-Hitler-Deutschlands?

Neugebauer: Von außerordentlich hoher Bedeutung, darum wird diese Aktion in Deutschland so hoch geschätzt. Weil man damit zum Ausdruck bringen kann, dass es nicht nur das faschistisch verseuchte, sondern auch ein anderes Deutschland gegeben hat, das aus eigener Kraft mit der Nazi-Herrschaft Schluss machen wollte.

Die Furche: Und in Österreich?

Neugebauer: Es gibt beim österreichischen Bundesheer praktisch keine im österreichischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus fußende Traditionspflege. Alle derartigen Bemühungen wurden von den Verteidigungsministern zunichte gemacht. Gemeinsam mit anderen erheben wir seit vielen Jahren die Forderung, dass eine Bundesheerkaserne nach Oberstleutnant Robert Bernardis benannt wird - bis jetzt wird das abgelehnt.

Die Gespräche führte Wolfgang Machreich.

Buchtipp:

GENERALMAJOR ERWIN LAHOUSEN

Ein Linzer Abwehroffizier im militärischen Widerstand.

Von Karl Glaubauf & Stefanie Lahousen, LIT Verlag, Münster 2004, brosch., 72 Seiten, e 9,90; zu beziehen über DÖW, Tel. (01)-534 36-0

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung