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Im Bundesheer der Ersten Republik

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Nach der Matura kam Bernardis in die höhere Gewerbeschule nach Mödling, wo er als Maturant in zwei Jahren das Diplom eines Maurergesellen erwarb. Damals schloß er sich der deutschnationalen Mittelschülerverbindung „Wiking” an und führte den Namen Herwig. Nach der Mödlinger Schule wurde er Maurerpolier bei der Linzer Baufirma Kienmaier, doch 1928 trat er — was er sich schon lange ge- WönsdRS’ hätte -’ äls Jungrrfann ins, ‘• SifiSdteftreėr ‘feift. Er wurde bei den ‘refiefhal &ii r T4’ef-Hö§äin,’’ dem damaligen Alpenjägerregiment Nr. 7, in Linz ausgebildet. Sein weiterer Werdegang im österreichischen Heer kann hier aus Raummangel nur fn Stichworten angedeutet werden, obwohl es dem Verfasser nicht an Unterlagen über bedeutungsvolle Einzelheiten aus jener Zeit mangelt. 1929 bis 1932: Ausbildung zum Pionierleutnant in der Heeresschule Enns und im Pionierkurs Korneu- burg. 1932: Ausmusterung als Zweitbester im Jahrgang und Heirat mit der Studentin und Tochter eines Linzer Bauunternehmers, Hermine Feichtinger. 1932 bis 1936: Dienst im Pionierbataillon Nr. 4 in Linz. 1936: Entsendung als Klassenbester aus dem Auswahlkurs in Enns in den Generalstabslehrgang nach Wien.

In die Zeit des Generalstabslehrganges, der von 1936 bis 1938 — bis zum Anschluß Österreichs an Deutschland und der Übernahme der Kursanten wie des ganzen Bundesheeres in die deutsche Wehrmacht — währte und in dem Bernardis glänzende Leistungen aufwies, fiel Bernardis’ Annäherung an den Nationalsozialismus. Es ist vorläufig nichts Gewisses darüber bekannt, und es gibt nur spärliche Aussagen darüber von noch lebenden ehemaligen Kursteilnehmern Der heute noch lebende ehemalige Kurslehrer und pensionierte General der Artillerie, Augelis, erzählt daß Bernardis sich gegen ihn, der weit und breit als Nationalsozialist und bei manchen Kursanten auch als Haupt des illegalen Nationalsozialistischen Soldatenringes bekannt war, zurückhaltend verhalten und daß Bernardis keineswegs versucht habe, mit ihm politisch ins Gespräch zu kommen. Dennoch ließ Bernardis es unwidersprochen, als der Vorsitzende im Prozeß nach dem 20. Juli ihm vorhielt, daß er, Bernardis, ab 1937 dem Nationalsozialistischen Soldatenting im osterreichischern Bundesheer angehort habe.

Wehrmacht und Bendlerstraße

Bernardis’ Dienst in der deutschen Wehrmacht in der Zeit von 1938 bis Mai 1942 ist heute noch wenig erforscht. Man weiß nur, daß er in Frontdivisionsstäben die Feldzüge in Polen, Frankreich und Jugoslawien mitgemacht hat, dafür das EK I und II und das KVK erhielt und schließlich nach Rußland kam, wo er beim Stadtkommando von Charkow Quartiermeister war. Dort verschlechterte sich sein in Polen aquiriertes Zwölffingerdarmgeschwür so sehr, daß er nach Berlin ins Spital geschickt wurde. In Anbetracht der fürchterlichen Dinge, die sich bereits 1940 in Polen hinter der Front abgespielt hatten, und der Massenhinrichtungen von Juden und Russen, die es in Charkow just während Bernardis’ Aufenthalt gegeben hatte, mag man bei Kenntnis des nahezu immer psychogenen Ursprungs derartiger Geschwüre leicht annehmen, daß sich all jenes dem ansonsten so robusten Sportler Bernardis „auf den Magen gelegt” haben mochte. Und obwohl vorübergehend ausgeheilt, kehrten jene Geschwüre während Bernardis’ weiterem Aufenthalt in Berlin immer wieder und verschlechterten sich immer mehr. Kein Wunder, wurde doch der erst Fünfund- dreißigjährige und ursprünglich mit einem fröhlichen, sanften und unkomplizierten Gemüt begabte Bernardis vor Aufgaben und in eine Situation gestellt, in der weitaus Abgebrühtere weiße Haare bekamen und sich an die Front oder gleich in den Selbstmord flüchteten.

Bernardis war nach der Entlassung aus dem Hospital in das in Berlin, Bendlerstraße, befindliche „Allgemeine Heeresamt des Ersatzheeres” abkommandiert worden. Dort wurde ihm alsbald der wichtige Posten des Sachbearbeiters für „Personalbewirtschaftung” anvertraut. Das heißt, er hatte die Aufbringung und den Nachschub von Soldaten an alle Fronten zu planen und zu organisieren. Hierbei erhielt er wie nur wenige seines Ranges einen ständigen und durch nichts behinderten Einblick in die Geschehnisse an den Fronten und über die Gesamtentwicklung des Krieges. Er war jedoch nicht unbeteiligter

Beobachter, sondern zutiefst implizierter Mitwirkender. Er mußte einer Führung, die wie ein schlechter Hasardeur Hunderttausende von Menschen in einer Schlacht nach der anderen einsetzte und verlor, immer weiter Hunderttausende zubringen, die den gleichen sinnlosen Weg in den Tod gingen, und auch für deren Ersatz mußte er sorgen. Dieser gigantische, unaufhörliche Nachtmahr, den die meisten übrigen Menschen in Deutschland, ja selbst noch Befehlshaber an den Fronten nur geschminkt, verfälscht oder zersplittert zur Kenntnis erhielten, lag mit aller Wucht auf diesem jungen, einfachen Menschen und auf nur wenigen anderen in der Bend- lerstraße. Er versuchte, alldem zu entrinnen, und verlangte, an die Front zurückgeschickt zu werden. Da erhielt er im Oktober 1943 einen neuen Vorgesetzten: den Grafen Stauffenberg. Dieser wahrscheinlich Genialste unter den Jungen des Nachwuchses der deutschen Generalität hatte im Frühjahr 1939 von Hitler öffentlich gesagt: „Der Narr macht Krieg.” Während der ersten Winterkatastrophe 1941/42 in Rußland sagte Stauffenberg zu einem Besucher, der sich über das Vorhandensein eines Hitler-Bildes im Arbeitszimmer des Grafen wunderte: „Das Bild ist dazu da, damit alle, die zu mir kommen, darin den Ausdruck der Proportionslosigkeit und des Wahnsinns erkennen.” Dieser Mann, längst mit den Führern der militärischen und politischen Opposition durch zahllose Aussprachen und verschwörerische Maßnahmen verbunden (er war nicht zufällig zu dem wichtigen Posten des Stabschefs des Befehlshabers für das gesamte Ersatzhepr, des Generalobersten Fromm, gelangt), erkannte in dem jungen Österreicher schnell den verwandten Geist und eröffnete ihm einen Ausweg aus dem sinnlosen Grauen. So wurde Bernardis, der von Natur aus alles andere als ein Verschwörer war, zum Mitarbeiter an der Konzipierung des sogenannten „. In Wahrheit jedoch sollte damit nach der als „Initialzündung” nötig erkannten Tötung Hitlers die gesamte nationalsozialistische Führung mitsamt ihren Sicherheitsformationeil gefangengenommen und ausgeschaltet und durch eine aus Gegnern des NS-Regimes gebildete Regierung ersetzt werden. Das Geniale an diesem Plan war, daß zu seiner Ausführung das gesamte Ersatzheer mit all dessen Befehlshabern ohne deren vorheriges Mitwissen eingesetzt werden konnte, und daß nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Leuten eingeweiht werden mußte.

Einer von dieseh wenigen Eingeweihten, der damalige Hauptmann Szokoll, der dafür gesorgt hatte, daß der Plan in Wien so gut wie zur Gänze verwirklicht wurde, schildert seine Begegnung mit Bernardis wie folgt:

„Ich war in Wien im Kommando des Wehrkreises XVII der mit dem Nachschub befaßte Referent. Mein Vorgesetzter ließ mir ziemlich freie Hand, und so war ich imstande, meine Arbeit selbständig und in direkter Verbindung mit der Bend- lerstraße zu führen, Die Referenten dort, mit denen ich zu tun hatte, waren für die Materialversorgung Oberstleutnant Karl Pridun (gleichfalls ein Österreicher und ein alter Kamerad Bernardis’ noch von der Heeresschule her, der sich jedoch am 20. Juli auf die andere Seite schlug) und Bernardis für den Personalnachschub. Eines Tages erschien Bernardis bei mir in Wien und begann mich ,abzutasten’.”

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