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Der gutmütige Rebell

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In der Verhandlung gegen die ersten acht der Teilnehmer am Aufstand des 20. Juli sagte der Vorsitzende Freister geringschätzig über den Österreicher Bernardis, daß dieser „in der Grundlinie der nationalsozialistischen Weltanschauung wegen seiner rassischen Abstammung, die . . . deutsch-dalmatinisch- dinarisch war, nicht das Letzte mitmachen konnte”. Freisler hatte nur allzu recht mit dieser Meinung, wenn auch anders, als er glaubte. Bernardis hatte sich in der Tat, beeinflußt durch seine österreichische Herkunft, vom Nationalsozialismus, dem er früher einmal angehangen hatte, abgewandt und hatte gegen Ihn rebelliert, als er jenes „Letzte”, jene Abgründe erblickte, in die Hitler Deutschland geführt hatte.

Großväterliches und väterliches Erbe

Der Großvater Bernardis’, Pietro, kam aus der kleinen istrischen Hafenstadt Rovigno (heute Rovinj) und war Zimmermann in den Werften der österreichischen Kriegsmarine in Pola. Obwohl Vormeister und vermutlich Kleinunternehmer, setzte er sich für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen der Werftarbeiter ein und gründete somit die erste Arbeiterbewegung in Istrien. Er wurde deshalb gemaß- regelt und entlassen und gi’ämte sich so sehr darüber, daß er seine nicht unbeträchtlichen Ersparnisse vertrank. Sein Sohn Niccolo, Robert Bernardis’ Vater, begann gleichfalls im Kriegshafen Pola als Schiffstischler, lernte erst als Erwachsener Lesen und Schreiben und arbeitete sich unter unvorstellbaren Entbehrungen, Mühen und Fleiß bis zum Technischen Oberrat der k. u. k. Militärbautenverwaltung empor. Er war ein harter Mann, ein Starrkopf und Redlichkeitsfanatiker, .J L ejIer sich noch seine. Fjęą und , įjOdeg; swhonte WßPtfeiidfto(s i4sr (Votircanigkeit waonerüKiganvrillig: fcr wilhg zwar jeden Tag’1h die Kircie, um dort für sich zu beten, doch niemals zur Messe, weil er jeglichen Ritus ablehnte.

1907 wurde Bernardis nach Innsbruck versetzt, um an dem Bau der großen, von Conrad von Hötzendorf veranlaßten alpinen Befestigungen mitzuarbeiten. (Sein 1908 in Innsbruck geborener Sohn Robert sollte 1936 im Generalstabslehrgang der Schüler Max Stiottas werden, der seinerseits als Schüler und Assistent Conrads bei der Konzipierung jener Alpenbefestigungen mitgearbeitet hatte.) Bernardis’ Vater baute unter anderem auch den Riesenkomplex der Wiener Kadettenanstalt in Breitensee, bei dem 11 Millionen Ziegel verwendet wurden; bei der Abfassung der Baubeschreibung mußte Bernardis’ Mutter einsprin- gen, weil der Vater immer noch besser die italienische als die deutsche Sprache beherrschte. Heute amtiert im Breitenseer Bau eine Reihe ehemaliger Jahrgangskameraden von Robert Bernardis als Generäle und Brigadiere, ebenso wie im Landesverteidigungsministerium als Sektionschefs und als Truppeninspektor.

1909 wurde der Vater zum Korpskommando nach Linz versetzt, wo die Familie auch schließlich verblieb. Robert und sein um ein Jahr älterer Bruder Friedrich gingen dort in die Volksschule auf dem Römerberg. Bereits am zweiten Schultag zeigte Robert etwas von dem Stoff, aus dem er gemacht war: Erweigerte sich energisch, zur Schule begleitet zu werden; er wolle sich nicht als Muttersöhnchen lächerlich machen. Der ältere, weichere Bruder hatte das ein Jahr widerspruchslos erduldet. Überhaupt zeigte sich immer mehr der Unterschied zwischen den beiden. Während der Ältere zu Hause saß und versunken der Mutter beim Musizieren zuhörte (sie war Pianistin und vor allem eine hochbegabte Sopranistin und Solistin in den Messen der Linzer Karmeliterkirche), führte Robert Schlachten mit den Kindern der Umgebung, fuhr Rad und ging in die Donau schwimmen. Seine Mutter, Antonia, repräsentierte übrigens das von Freisler behauptete „deutsche” Element in Bernardis’ Abstammung: Sie war aus Horn im Waldviertel, doch ihr Vater hieß Kropik und war aus dem angrenzenden Böhmen gekommen…

„Der Enkel Italiens”

Nach dem ersten Weltkrieg verschlechterte sich die materielle Lage der Familie durch die Geldentwertung, so daß die beiden Buben in Mittelschulen untergebracht werden mußten, die Stipendiarinternate waren. Sie kamen zuerst in die Militärunterrealschule Enns und nach deren Auflösung in die Bundeserziehungsanstalten Traiskirchen und Wiener Neustadt. Bei der Matura zeigten sich abermals die verschiedenen Neigungen der beiden Brüder; während der Ältere, Friedrich, sich als Hauptgegenstand Literatur und hierin die deutschen Märchen aussuchte, wählte Robert Mathematik und speziell die imaginären Zahlen und zeigte hiermit seine Anlagen zum späteren Kriegstechniker und Pionier. Roberts Maturareise bestand in einer Fußwanderung nach Italien; unterwegs fand er Unterkunft in unzähligen Pfarrhöfen: Der Vater hatte ihm einen in italienischer Sprache verfaßten Brief mitgegeben, in dem Robert den Geistlichen als ein „Enkel Italiens” empfohlen wurde. Einige Schwierigkeiten ergaben sich hierbei lediglich, wenn die geistlichen Herren den jungen Burschen zum Ministrieren aufforderten: Die Eltern waren, um heiraten zu können, wegen einer früheren und geschiedenen Ehe der Mutter zum Protestantismus übergetreten, und so wußte Robert keineswegs, wie man sich beim Ministrieren zu verhalten habe. 1932 kehrte die ganze Familie übrigens wieder zur katholischen Kirche zurück.

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