6681413-1961_46_02.jpg
Digital In Arbeit

Place de Stalingrad

Werbung
Werbung
Werbung

Die Schlacht von Stalingrad brachte eine Wende im vergangenen Weltkrieg — und im Laufe unserer Welt. War Stalingrad somit schon keine rein sowjetische Angelegenheit, so ist es auch durchaus nicht nur durch rein russische Bemühungen zustande gekommen. Die Unternehmung war im Verein mit sämtlichen Alliierten geplant, vorbereitet und mit anderen großen Offensiven auf anderen Kriegsschauplätzen koordiniert worden. Der Offensive von Stalingrad gingen im November 1942 der Angriff der britischen 8. Armee gegen Rommel und die britisch-amerikanischen Landungen in Nordafrika sowie eine Reihe anderer Operationen voraus, durch welche die deutschen Kräfte immobilisiert wurden. Über ein halbes Jahr vorher waren die anglo- amerikanischen Waffen- und Materiallieferungen ungemein intensiviert und erhöht worden. Alles war darauf abgestellt, daß Rußland zum erstenmal aus seiner bisherigen hinhaltenden Verteidigung heraus-, zum Großangriff gegen die deutsche Wehrmacht übergehe und dieser eine Niederlage beifüge, von der sie sich weder strategisch noch moralisch mehr erholen könne. Durch die Gesamtheit der gemeinsamen alliierten Operationen sollte Deutschland endgültig das Heft des Krieges, die Initiative, aus der Hand genommen werden. Das ist denn auch so geschehen. Das ist eine Seite.

Eine andere ist, was Stalingrad für Deutschland und auch für uns in

Österreich bedeutete. Für viele, die wegen des Vordringens der deutschen Wehrmacht in Europa und auch in Rußland noch an einen deutschen Sieg geglaubt hatten, war Stalingrad die Göcterdürrtfnerung. Der erlittfen eWäjV war zu heftig, als daß er geleugnet oder verkleinert i Werden kbfifite:’- ‘Die’ psychologische Auswirkung der Niederlage bei Stalingrad war deshalb so mächtig, weil so viele Menschen in Deutschland und Österreich so schmerzlich direkt durch sie betroffen waren — die Angehörigen. Stalingrad konnte nicht anders mehr als nur zur Kenntnis und hingenommen werden.

So ist es bei allen — Siegern und Besiegten — zu einem historischen Begriff geworden, in dem der Name Stalins ein reiner Zufall war — wenn auch ein Zufall von Geschichtswert. Wenn aber Chruschtschow eine der artig in die Geschichte eingegangene Begebenheit durch Auslöschung des Ortsnamens nicht vorhanden zu machen sucht, kann man das nur noch als eine hübsche Portion von Herostratentum empfinden.

Die Aktion Chuschtschows beinhaltet aber auch noch eine bestimmte andere Gefahr: Er macht sich damit zum Werkzeug aller jener, die nur ein zu großes Interesse daran haben, daß dieser Begriff Stalingrad aus der Geschichte verschwindet. „Stalingrad? Irgendeine vage Legende. Hat in Wirklichkeit nie stattgefunden.” Dennoch scheint’s, als ob es diesmal den sowj etischen Hühneraugenschneidern der Geschichte schwerfallen wird. Auf welche Weise wird zum Beispiel die sowjetische Gesandtschaft in Frankreich die Municipalite von Paris dazu bewegen, die „Place de Stalingrad”

und die gleichnamige Untergrundbahnstation in Place de Volgograd umzunennen? Die Pariser werden kaum damit einverstanden sein, weil mit Stalingrad auch ihr eigener Anteil an dem Kampf in ihrem eigenen Land (der durch die Entscheidung an der Wolga einen neuen Auftrieb erhielt) zu sehr verbunden ist.

Es ist etwas Seltsames daran, daß die westliche Welt in dieser Sache gegen eine Maßnahme in der Sowjetunion protestieren muß, die gegen das Andenken eines Mannes gerichtet ist, das zu erhalten der Westen nicht überaus interessiert ist, gerade weil dieser Mann sich selber solcher Methoden bedient hat. In dieser Paradoxe erweist sich jedoch gleichzeitig eine der wichtigen Funktionen, die unserer Kultur obliegen: darauf zu achten, daß auch jenem Teil der Geschichte, der in Rußland handelt, kein Beistrich entrissen werde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung