Zu fromm soll's aber nicht sein

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Religion auf Umwegen anbieten ist das Motto katholischer Jugend-Bildungshäuser, denn sonst schrecken Jugendliche sofort zurück.

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Religion auf Umwegen anbieten ist das Motto katholischer Jugend-Bildungshäuser, denn sonst schrecken Jugendliche sofort zurück.

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Über dem Eingang ein Holzkreuz. Der Wegweiser zur Kapelle gleich neben der Rezeption ist nicht zu übersehen und vor dem Mittagessen reicht sich plötzlich am Nebentisch eine Gruppe die Hände und beginnt ein Gebet zu singen. "Irgendwie sind die komisch hier", mag sich so mancher Jugendliche denken, der sonst mit Kirche nicht so viel am Hut hat. "Ja, irgendwie seltsam. Aber ich komm' trotzdem, weil ... es sind halt immer die gleichen Leut' und wir treffen uns. Mit denen kann man wirklich gut reden und eigentlich ist es ja gar nicht so blöd."

Schon "dank" ihres Namens schleppen Bildungshäuser das Vorurteil des "Intellektuellentreffs" mit sich herum. Steht dann noch das Wort "katholisch" davor, ist das Bild der Moralapostel perfekt. Ist der Besuch solcher "Institutionen" schon für Erwachsene oft ein Schritt mit Bauchweh, was bedeutet das dann erst für Jugendliche? Junge Menschen, die mit Schule und Eltern oft genug von Belehrung haben, aber trotzdem nach einer Herausforderung, nach dem richtigen Weg suchen?

"Wir müssen die Themen so formulieren, daß sie die existenziellen Probleme der jungen Menschen ansprechen", meint Pater Franz Trinkfaß, Bildungsreferent des Don Bosco Hauses in Wien. "Wenn wir Religion gleich beim Einstieg zur Sprache bringen - in Form von Gebetsleistungen oder Gottesdiensten - so schrecken die Jugendlichen vorerst einmal zurück und begegnen uns, wenn überhaupt, mit Skepsis." Indirekte Religiosität. So lautet also das Stichwort. "Zu fromm soll's also nicht sein!"

Ähnlich wie Pater Trinkfaß beurteilt auch Anna Pissarek die Situation der Jugendarbeit. Als pädagogische Mitarbeiterin des Jugend- und Bildungshauses St. Arbogast in Vorarlberg betont sie, daß auch in ihrem Haus "die Religion bei der Jugendarbeit nicht so sehr in den Vordergrund gerückt werden muß." Wie im Don Bosco Haus wird auch hier "Religion auf Umwegen" geboten: "Wir arbeiten mit Menschen zusammen, die in einer weltoffenen Form den christlichen Glauben weitergeben, ohne daß dauernd direkt darüber gesprochen werden muß." Die Jugendlichen sollen dort abgeholt werden, wo sie sich gerade befinden. Ein Bezug zwischen den Angeboten und ihren Alltags- beziehungsweise Problemsituationen ist wichtig für sie.

Bildungshäuser, die Jugendliche als ihre Zielgruppe erwählt haben, stellen sich damit einer besonderen Herausforderung. "Wir tendieren nicht in Richtung offenes Jugendzentrum mit besprühten Wänden und Räumlichkeiten zum Zeitvertreib", erklärt Pissarek. Nach wie vor steht der Bildungsauftrag im Vordergrund. Denn: Eine Projektarbeit habe das St.-Arbogast-Team darauf aufmerksam gemacht, "daß sich Jugendliche qualitative Veranstaltungsangebote in passender Umgebung wünschen und die âGemeinschaft mit Inhalt' zu schätzen wissen."

Nach längeren Phasen der üblichen Jugendarbeit habe man sich deshalb entschieden etwas Neues aufzubauen. "M88 - das andere Programm für Jugendliche" - soll nun den Ansprüchen der Jugendlichen nach qualitativen, außerschulischen Bildungsangeboten gerecht werden.

"Unsere nächsten beiden Veranstaltungen sind bereits ausgebucht", erzählt Pissarek. "Schauplatz-Theater" mit ersten Erfahrungen auf der "Bühne" gehört ebenso zum Programm, wie die Tage unter dem Motto "Wahrnehmung-Kommunikation-Konflikt". Das Ziel von "M88" - benannt nach der offiziellen Adresse Montfortstraße 88 - ist die Vermittlung von gefragten Inhalten durch die jeweiligen Experten - offene Bildungsangebote eben.

Qualität zählt - ein Gedanke, der neben der Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielt. Dieser Tatsache ist man sich auch im Schacherhof, dem Jugendhaus in Seitenstetten bewußt. Gemeinsam mit ihrem Mann hat Lucia Deinhofer die Organisation dieses Jugendtreffs übernommen. Anspruchsvolle Angebote stehen auch hier im Zentrum des Programmangebotes. So sind die Jugendlichen beispielsweise Mitte Oktober zu einer Schreib- und Malwerkstatt in den ehemaligen Bauernhof geladen. Gemeinsam mit dem Schriftsteller Erich Hackl werden sie alte Texte zum Thema Widerstand unter die Lupe nehmen und schließlich selbst neue Texte über Widerstände im eigenen Leben zu Papier bringen.

Doch mit einem anregenden Veranstaltungskalender ist noch lange nicht alles getan: "Junge Menschen brauchen vor allem (Frei)räume in denen sie sich wohlfühlen, zurückziehen und allein sein können", sind sich die Verantwortlichen der drei Jugend-Bildungshäuser einig.

Es handelt sich dabei sowohl um die Räumlichkeiten selbst als auch um soziale Räume, in denen sich Jugendliche inszenieren und entfalten und vor allem selbst zur Gestaltung beitragen können. "Dabei müssen sie jedoch nicht auf das Netz verzichten, daß sie in Krisensituationen sicher auffängt", betont Pater Trinkfaß vom Don Bosco Haus. "Außerdem bieten wir Gemeinschaften an, in denen auch Dinge zur Sprache gebracht werden, die im alltäglichen Leben der Jugendlichen oft keinen Platz finden." Konkurrenzdenken und Zeitdruck würden die jungen Menschen voneinander abgrenzen. Studenten die vom Land kommen und an der Universität nicht so schnell Anschluß finden, sind ein Beispiel dafür. "Nach einer Zeit der Selbstfindung, des Zurückziehens begleiten wir die Jugendlichen auf ihrem Weg zurück in die Gruppe."

Schwerpunkte wie außerschulische Bildung, Qualität und Inhalte können also doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß vor allem die Gemeinschaft Jugendliche in die Bildungshäuser lockt. Das Zusammentreffen mit Gleichaltrigen und Gleichgesinnten steht für das junge Publikum im Mittelpunkt. "Mit denen kann man eben wirklich gut reden."

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