Vom Schock zur Schläfrigkeit

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Unser Schulwesen hat in der Pisa-Studie vergleichsweise gut abgeschnitten - kein Grund für die Bildungspolitik, sich auf dem Bärenfell auszuruhen.

In der Bundesrepublik Deutschland hatte sie wie eine Bombe eingeschlagen. Die Pisa-Studie attestierte unserem allmächtigen Nachbarn ein blamables Bildungsniveau. Die Schockwellen dauern bis heute an - in Form aufgeregter Kommentare, übereiliger Lösungsvorschläge und dem unvermeidlichen Parteienstreit ums Bildungswesen. Kein Wunder - die deutschen Schulen waren im internationalen Bildungsvergleich auf den hinteren Rängen gelandet und, schlimmer noch: Der Spott der Welt war den notorischen bildungspolitischen Besserwissern gewiss.

Ruhe vor dem Sturm

Der Kontrast zu Österreich könnte größer nicht sein. Unser Bildungswesen hat vergleichsweise gut abgeschnitten, und das Resultat war - Schläfrigkeit. "Gut ist's gegangen, nix ist g'schehn", schien die Devise. Unsere Bildungspolitik ruht sich auf dem Bärenfell aus. Die Lage ist nicht ernst, und daher wird auch kein Handlungsbedarf gesehen. Das Erwachen wird kommen. Es kann schmerzlich sein.

In diesem Zusammenhang ist besonders bedauerlich, dass in Österreich im Unterschied zu anderen Ländern keine Regionalergebnisse der Studie präsentiert werden. Nur so hätte man sehen können, ob wirklich die höchstdotierten Schulen oder bestversorgten Regionen besser abschneiden. Die Antwort auf die Frage, in welchem Bundesland die Schülerinnen und Schüler besser, in welchem schlechter abgeschnitten haben, hat offenbar zu viel Sprengkraft: Schließlich geht es darum, wie Milliardeninvestitionen in das Schulwesen angelegt und verwaltet wurden - gut oder schlecht? Schlagen sich die Kosten für die - teuren - Schulversuche auch in besseren Schülerleistungen nieder oder nicht? Erreichen Bundesländer mit eher traditionellen Unterrichtsmethoden andere - bessere? - Ergebnisse als die pädagogisch experimentierfreudigeren Schulen in den Städten? Können wir von den Resultaten auf den Erfolg einer bestimmten Pädagogik rückschließen? Was ist also besser: Drillkurse oder die Kuschelschule? Auf all diese Fragen hätte ein Bundesländervergleich zumindest Teilantworten geben können. Er wäre dringend notwendig und sollte vom engagierten österreichischen Pisa-Team so bald wie möglich nachgeholt werden.

Denn schon jetzt ist im internationalen Vergleich eines klar geworden: Es gibt keine Patentrezepte. Die pädagogischen Glaubenskriege - hier Gesamtschule, dort Elitenpädagogik - helfen nicht weiter. Entscheidend ist die Qualität des Unterrichts, nicht die Organisationsform. Das sollten alle Parteien groß an die Spitze ihrer Bildungsprogramme stellen. Das Schulniveau entscheidet sich nicht entlang der wohlgepflegten ideologischen Scheidelinien. Weder die progressive noch die konservative Schulpolitik kann mit den Pisa-Ergebnissen ihr ideologisches Süppchen kochen. Es gibt gute und schlechte Schulen in allen Organisationsformen. Ja, unglaublich für jeden Lehrergewerkschafter: Es gibt "arme" Schulen mit guten Schülerleistungen und wohlausgestattete Schulen mit bescheidenen Ergebnissen. Die Formel, wonach man in das Schulwesen oben nur mehr Geld hineinschütten muss, um "unten" bessere Leistungen zu erzielen, stimmt so nicht. Dies ist kein Plädo-yer für eine ausgehungerte Schule, im Gegenteil: Es ist nur eine Warnung davor, von Mehrausgaben für das Bildungswesen quasi "automatisch" eine Niveausteigerung zu erwarten.

Gefragt sind differenziertere Zugänge, und zu diesen ermuntert die Pisa-Studie.

Etwa, uns die Reformschritte im Schulwesen sorgfältiger zu überlegen. In den letzten Jahren hat eine Reform die andere gejagt. Lehrerinnen und Lehrer sind müde geworden, und nicht wenige Eltern haben den Überblick verloren. Nun steht uns eine neuerliche Oberstufenreform ins Haus. Latein soll reduziert werden - nota bene unter der Federführung des Bildungssprechers der ÖVP! - und die Lehrpläne "entrümpelt". Dass die Kultur der Antike Grundlage unserer abendländischen Geschichte ist - wen kümmert's? Latein ist eben ein Angst- und kein Kulturfach, also weg damit. Und das "Gerümpel"? Niemand leugnet, dass unsere Lehrpläne im Verlauf der Jahre gewachsen sind und von den Kindern heute viel verlangt wird. Aber rechtfertigt das die herz- und kulturlose Etikettierung als "Gerümpel"? Sind die Darwin'schen Erkenntnisse "Gerümpel" oder die Kenntnisse des Ablaufs der Französischen Revolution? Sollen wir heute den "Faust" lesen und über Augustinus etwas wissen, oder ist das nicht mehr zeitgemäß, zu wenig wirtschaftsnahe - und daher "Gerümpel"? Es ist seltsam, wie respektlos wir in der Bildungsdiskussion mit unserem Kulturerbe umgehen. Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass das auch etwas mit den im Bildungsbereich handelnden Personen zu tun hat.

Gute Lehrer gefragt

Vielleicht kann sich die österreichische Bildungsdiskussion rückbesinnen. Etwa darauf, dass für einen guten Unterricht nicht die Organisationsform der Schule, ja nicht einmal die Lehrpläne entscheidend sind. Entscheidend ist - der gute Lehrer, die gute Pädagogin. Sie müssen wir suchen. Die charismatische Lehrerpersönlichkeit garantiert Neugier, Interesse und Leistungsbereitschaft. Wo wir sie finden, müssen wir sie fördern. Und wir dürfen keine Scheu vor den einfachen Wahrheiten haben. Etwa der, dass zwar das Können angenehm ist, nicht aber immer das Lernen. Wenn man Schi fahren kann, ist das schön; das Erlernen ist mit Stürzen und blauen Flecken verbunden. In der Schule ist's nicht anders.

Leistung darf kein Fremdwort sein, und - ohne Anstrengung geht nichts. Wenn wir aus der Pisa-Studie diese Weisheit ziehen, haben wir sie richtig verstanden. Und unserem Schulwesen einen Dienst geleistet.

Der Autor ist Bereichsleiter im Wiener Rathaus für Restitution und war langjähriger Amtsführender Präsident des Stadtschulrates für Wien.

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