„Wir müssen die Scheuklappen ablegen“

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Wissenschaftsministerin Beatrix Karl legt noch mehr Details zu ihrem umstrittenen Vorstoß für ein „Gymnasium für alle“ bzw. eine Gesamtschule vor. Ihren Kritikern innerhalb ihrer Partei, der ÖVP, lässt sie ausrichten: „Ich bin es als Wissenschaftlerin gewohnt, meine Meinung zu sagen.“

Dazu gehörte Mut: Sich innerhalb der ÖVP für die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen zu bekennen. Wissenschaftsministerin Beatrix Karl tat es und es hagelte erwartungsgemäß Kritik und Schweigeaufrufe von Parteikollegen. Doch Karl legt nach: Sie bekräftigt ihre Position und erklärt, wie sie zur Befürworterin einer Gesamtschule wurde.

Die Furche: Frau Ministerin, war die Aufregung um Ihren Vorstoß in Kauf genommen, erwünscht oder wurden Sie gar überrascht?

Beatrix Karl: Mir ist wichtig, dass die Diskussion über Bildung in Gang gekommen ist. Bildung ist ein so wichtiges Thema, da braucht es eine umfassende Diskussion. Es sollten alle Meinungen auf den Tisch gelegt werden. Die jetzige Diskussion und auch das vorliegende ÖAAB-Bildungspapier werden die Grundlage für das ÖVP-Bildungskonzept sein, das wir im Herbst präsentieren werden.

Die Furche: Sie bleiben voll und ganz bei Ihrer Position: Es braucht ein „Gymnasium für alle“?

Karl: Ich bleibe dabei. Wobei ich noch hervorstreichen möchte, was ich für diese neue Schule für ganz wichtig halte: Es braucht eine innere Leistungsdifferenzierung. Talente und Begabungen der Kinder sollen möglichst früh erkannt und gefördert werden. Die Guten gehören gefördert und gefordert, die Schwachen unterstützt. Es darf niemand in der Schule unter- oder überfordert werden.

Die Furche: War das Bildungspapier des ÖAAB (Arbeitnehmerbund der ÖVP) Anlass dafür, Ihre Position zu präsentieren, hat Sie das Papier geärgert?

Karl: Nein, überhaupt nicht. Es enthält sehr gute Punkte. Es hat den Anstoß für eine weitere Diskussion gegeben. Es kommt auch klar zum Ausdruck, dass die Bildungsentscheidung der Kinder von zehn auf 14 Jahre verlagert werden soll. Das ist etwas sensationell Neues.

Die Furche: Dennoch: eine Gesamtschule wird abgelehnt.

Karl: Wir müssen das Beste aus beiden Schultypen Hauptschule und Gymnasien herausholen und zusammenführen.

Die Furche: Ihr Nachfolger als ÖAAB-Generalsekretär, Lukas Mandl, hat zu Ihrem Vorstoß gemeint, es handle sich um eine „krasse und isolierte Einzelmeinung“.

Karl: Ich bin es gewohnt als Wissenschaftlerin, dass man seine Meinung auch sagt und ausdiskutiert.

Die Furche: Unterstützung für Ihren Vorstoß kam etwa von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl; Ihr Parteichef Josef Pröll meinte aber nur: Es sei eine persönliche Meinung. Haben Sie seinen Rückhalt, die Diskussion weiterzuführen?

Karl: Ich bekam auch sehr viele positive Rückmeldungen. Ich habe die Aufgabe, bis Herbst die Erstellung eines ÖVP-Bildungspapiers zu koordinieren. Bis dahin wird es noch eine Reihe von Diskussionen geben.

Die Furche: Aber haben Sie seinen Rückhalt oder hat er gemeint, Sie sollten in dieser Frage leiser treten?

Karl: Er hat gesagt, dass bis Herbst ein ÖVP-Bildungspapier erstellt und bis dahin eine Diskussion geführt werden soll.

Die Furche: Was hat Sie von der Gesamtschule überzeugt; Experten oder persönliche Erfahrungen?

Karl: Da gab es verschiedene Punkte: Ich selbst bin in eine Hauptschule gegangen. Ich habe dort sehr gute Erfahrungen gemacht. Ich sehe aber ein Problem im städtischen Bereich, wo in einigen Bezirken über 80 Prozent der Kinder ein Gymnasium besuchen. Dort haben wir de facto eine Gesamtschule, aber ohne jede Form der Differenzierung. Das ist nicht zielführend. Wir brauchen daher eine gemeinsame Schule, wo wirklich individualisiert und wo nach Leistungen differenziert wird, wo Begabungen und Talente gefördert und die Schwächeren unterstützt werden. Wir brauchen ein Gesamtpaket. Wir müssen die Lehrerinnen und Lehrer entsprechend ausbilden, um sie für die neuen Herausforderungen zu wappnen.

Die Furche: Welche Werte sind für Sie wichtiger: Leistung und Wettbewerb oder Chancengleichheit und soziale Integration?

Karl: All das ist wichtig. Leistung ist mir sehr wichtig. Weil Leistung ja später an den Hochschulen und im Beruf eine große Rolle spielt. Wir sehen, dass sich die Arbeitswelt stark verändert hat, der Leistungsdruck ist ein viel stärkerer geworden. Wir müssen die Kinder darauf vorbereiten. Es ist aber auch wichtig, die Chancengerechtigkeit zu wahren. Es geht um eine verbesserte soziale Durchlässigkeit. Nicht soziale Herkunft, sondern die Leistung muss entscheidend sein.

Die Furche: Ihr Vorstoß für ein „Gymnasium für alle“ ist also Teil eines Gesamtbildungskonzepts?

Karl: Ich wünsche mir, dass wir in dieser Legislaturperiode ein großes Bildungspaket schnüren, das den Namen „moderne Bildungsreform“ auch verdient – beginnend vom Kindergarten, über Schule, Hochschule bis Lebenslanges Lernen. Gerade im Hochschulbereich erwarte ich mir von der SPÖ Bewegung. Eine große moderne Bildungsreform erfordert von beiden Seiten ein aufeinander Zugehen. Beide Parteien müssen hier die ideologischen Scheuklappen ablegen. Das gilt auch für die SPÖ.

Die Furche: Sie meinen also Zugangsbeschränkungen und Studiengebühren?

Karl: Der Zugang an die Hochschulen muss so geregelt werden, dass Qualität wieder möglich ist.

Die Furche: Die SPÖ argumentiert seit jeher damit, dass dann sozial Schwächere, die Arbeiterkinder, nicht mehr an die Unis kommen.

Karl: Es ist doch interessant, wir haben 40 Jahre offenen Hochschulzugang an den Universitäten. Was hat sich in Hinblick auf die soziale Durchmischung verändert: nichts. Die soziale Selektion findet nicht an den Universitäten statt, sondern viel früher – in den Schulen.

Die Furche: Aber es schafften doch etliche Arbeiterkinder durch den freien Zugang an die Unis.

Karl: Das tun sie aber auch bei qualitativen Aufnahmeverfahren – das beweisen sowohl internationale Beispiele wie Finnland, wo es trotz doppelter Aufnahmeverfahren an den Hochschulen eine weit bessere Durchmischung gibt, als auch die Fachhochschulen hierzulande. Dort haben wir Zugangsregelungen und zum Teil Studiengebühren. Man sieht also, dass der offene Hochschulzugang nicht dazu führt, dass sich die soziale Durchmischung verbessert. Wir müssen daher schon im Schulbereich ansetzen. Wir haben jetzt mit der SPÖ vereinbart, dass wir eine „Studieneingangsphase Neu“ einführen, die für qualitative Aufnahmeverfahren geöffnet wird. Hier wird auf Qualität, nicht auf soziale Herkunft geachtet werden. Kollegin Schmied sagt ja auch, dass nur die Besten Lehrerinnen und Lehrer werden sollen, dass es also Aufnahmeverfahren geben soll. Warum sollte es nicht auch für andere Studien gelten?

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

Zur Person

Beatrix Karl ist seit Ende Jänner dieses Jahres Wissenschaftsministerin. Die 42-jährige Professorin für Arbeits-, Sozial- und Europarecht an der Uni Graz war zuvor Generalsekretärin im Österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Bund (ÖAAB) der ÖVP und Wissenschaftssprecherin im Parlament.

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