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Sind Kirche und Staat zu verflochten?

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Die Furche bat Liberalen-Chefin Heide Schmidt und den Linzer Kirchenrechtler Herbert Kalb vor das Mikrophon.

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Die Furche bat Liberalen-Chefin Heide Schmidt und den Linzer Kirchenrechtler Herbert Kalb vor das Mikrophon.

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diefurche: Frau Doktor Schmidt, ist für Sie Religion „nur” Privatsache, sollte die Trennung zwischen Kirchen und Staat deutlicher als jetzt erfolgen? Heide Schmidt: Ja, das glaube ich. Ich glaube, daß eine Trennung von Kirchen und Staat eine Voraussetzung für eine offene Gesellschaft ist, wobei mir der gesellschaftspolitische Wert der Kirchen durchaus wichtig ist, aber diese Verflechtung, die in manchen Teilbereichen nahezu einer Identifikation von Staat und Konfession gleichkommt, halte ich für eine Einengung, die ich verändern möchte.

diefurche: Wenn Sie der Kirche eine gesellschaftspolitische Aufgabe zugestehen, warum insistieren Sie so darauf, daß sieh etwas ändern muß? schmidt: Weil ich glaube, daß diese Aufgaben genauso, wenn nicht sogar besser, erfüllt werden können, wenn klargestellt ist, daß der Staat das eine und die Kirche das andere ist. Für mich ist Privatsache nicht mit dem Wort „nur” zu beschreiben, denn Privatsache bedeutet auch Verantwortung. Und für mich ist Religion Privatsache, ganz klar und deutlich. Privatsache heißt ni.cht Inaktivität oder Verstecken, es liegt an jedem einzelnen, ob er damit nach draußen tritt mit dem Bekennen, oder ob er es für sich behalten will, jedenfalls hat es seine Entscheidung zu sein.

Wie es derzeit gehandhabt wird -das Beligionsbekenntnis angeben zu müssen: damit wird es zu einem öffentlichen Meldedatum, damit ist es auch verknüpfbar nach den Vorstellungen, die jetzt da alle kommen —, das ist für mich inakzeptabel. Der Pflicht-unterricht konfessioneller Beligion an der Schule ist für mich deswegen unakzeptabel, weil es nicht staatlicher Auftrag ist, Glauben zu vermitteln, sondern Wissen über Wertehaltungen zu vermitteln und damit zur Persönlichkeitsentwicklung beizutragen. Den Glauben zu vermitteln ist aber nicht Sache des Staates, das ist Sache der Kirche.

Herbert Kalb: Bei manchem könnte ich zustimmen, anders akzentuiert, bei manchem überhaupt nicht. Mit dem Begriff Trennung von Staat und Kirche, wie sie ihn formulieren, habe ich Schwierigkeiten, man müßte es näher definieren. Nach der mittelalterlichen christianitas, im neuzeitlichen Säkula-risierungs- und Freiheitsprozeß, geht es um ein Ausdifferenzieren einer religiösen und einer politischen Sphäre. Eine derartige Ausdifferenzierung auf sehr hohem Niveau ist dann erreicht, wenn etwa im Grundrechtskatalog Beligionsfreiheit, religöse und weltanschauliche Neutralität des Staates gewährleistet ist. Das ist in Osterreich seit 1867 der Fall, das wäre der Ordnungsrahmen.

Jetzt geht es meines Erachtens in diesem auch vom liberalen Standpunkt verfassungsrechtlich befriedigenden grundrechtlichen Ordnungsrahmen darum, inwieweit der Staat religiösen Interessen gerecht wird. Denn er fördert, er berücksichtigt religiöse Interessen. Wie er sie berücksichtigt, da konkretisiert sich das System von Staat und Kirche, das, was Sie wahrscheinlich als Verflechtung ansprechen.

schmidt: Ich bin in der Analyse mit Ihnen einer Meinung, aber damit Sie wissen, worum es mir geht: Ich halte die Privilegierung religiöser Interessen vor anderen weltanschaulichen Interessen für den Fehler, zum Beispiel im Privatschulgesetz: daß konfessionelle Privatschulen vom Staat bezahlt werden, mit Lehrkörper und allem, was dazu gehört. Andere Privatschulen, ebenso mit Öffentlichkeitsrecht, sind die Subventionsempfänger, die eben betteln gehen müssen. Ich weiß schon, daß ich da vielleicht eine offene Tür einrenne... kalb: Ja, rennen Sie ein.

diefurche: Diese Forderung wäre ja an den Gesetzgeber zu richten, man kann ja von den Kirchen nicht verlangen, auf das Geld zu verzichten, bis alle anderen auch etwas bekommen. schmidt: Selbstverständlich, alle diese Forderungen gehen nur an den Gesetzgeber und nicht an die Kirchen. Wenn die Kirche, welche auch immer, ein Privileg erhält, dann erwarte ich nicht, daß sie es zurückweist. Das geht an den Gesetzgeber. Ich bin gegen die Privilegierung religiöser Anschauung vor anderen Anschauungen, das wirkt sich im Privatschulgesetz und zum

Beispiel im Strafgesetz ( 189) aus. KALB: Sie rennen offene Türen ein bei den Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht, weil es schon immer von vielen eingefordert wurde, schon im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz, daß dieser Bechtsanspruch auf Subventionierung auch diesen eingeräumt wird. Das hat aber wenig mit der Trennung von Staat und Kirche zu tun. In der Entwicklung muß die österreichische Gesetzgebung die Weltanschauung zunehmend in den Blick bekommen. Das hat sie bisher sicher in einer gewissen Weise versäumt, indem etwa bei Beligionsde-likten, Herabwürdigung religiöser Lehren, auf im Inland bestehende Be-ligionsgemeinschaften abgestellt wird und die Weltanschauung nicht in den Blick genommen wird. Das würde ich unterstreichen. Überhaupt nicht folgen kann ich Ihnen beim Beligions-unterricht, denn hier bietet der Staat nur die Möglichkeit für anerkannte Kirchen und Beligionsge-meinschaften, ihren konfessionellen Unterricht darzubringen. schmidt: Einspruch. Wenn er die Möglichkeit bietet, bin ich sofort einverstanden, aber er verpflichtet den einzelnen dazu, das ist etwas völlig anderes. Der Pflichtgegen-stand ist eine Bealität. Das Liberale Forum steht dafür, Ethikunterricht und konfessionellen Unterricht als Alternative, als Wahlpflichtfach anzubieten. Das heißt, ich habe mich als Schüler für eines von beiden zu entscheiden. Ich persönlich würde es für konsequenter halten zu sagen, es gibt einen verpflichtenden Ethikunterricht, und daneben wird als Freigegenstand der konfessionelle Unterricht angeboten.

Kalb: Das betrifft alle anerkannten Beligionsge-meinschaften. In meinen Augen ist die Verwirklichung letztlich eine Konkretisierung des Elternrechts, dieses Anbot des konfessionellen Unterrichtes. schmidt: Anbot ist etwas anderes als Verpflichtung. Mir geht es um die freie Entscheidung. Kalb: Die ist gewährleistet. Für Sie würde sich das Problem des Beligi-onsunterrichtes primär darauf reduzieren, ob es Pflicht- oder Freigegenstand ist.

schmidt: Was heißt nur? Mir geht es darum, daß wir eine Wertevermittlung auf einer breiteren Ebene als auf dem Segment einer Konfession haben. Ich halte es für die Persönlichkeitsbildung, und zwar gerade in unserer Zeit, für unglaublich wichtig, daß man das Wissen über die Werteordnung verschiedener Beligionen erhält, und daß man auf diese Weise auch die selbst-

ändige Entscheidung des jungen Menschen ganz anders ermöglicht, als wenn er von Anfang bis Ende das Wissen und den Glauben nur einer Konfession erfährt und man sagt, rein theoretisch kannst du dich abmelden.

diefurche: Ist Ihnen bewußt, daß Sie sich mit Ihren Positionen zum Sprecher des fiindamentalistischen Flügels in der Kirche machen* schmidt: Ich weiß, daß es hier eine ähnliche Zielvorstellung gibt, aber nicht die gleiche Argumentation und nicht die gleiche Motivation. Ich meine, wenn man diesen Weg der freien Persönlichkeitsbildung wählt, dann kann es nicht der Wunsch der Fundamentalisten sein.

diefurche: Glauben Sie, daß dem Staat eine Wzrterziehung auf so breiter Basis gelingen kann? schmidt: Selbstverständlich. Wir sprechen deswegen aus einer so unterschiedlichen Welt, weil Sie meinen Zugang nicht mitvollziehen können, der einfach lautet, daß die Entscheidung für die Konfession einfach eine höchst private Angelegenheit ist und daß der Bildungsauftrag des Staates nicht höchst private Angelegenheiten zu umfassen hat.

Kalb: Ich bin der Meinung, daß der liberale Rechtsstaat letztlich von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht bieten kann, nämlich diesem Wertekonsens. Deshalb braucht er beispielsweise den Beligionsunterricht als ein sehr zentrales Element in der Herstellung der Wertevermittlung des demokratischen Grundkonsenses und so weiter. Selbstverständlich sollen auch Weltanschauungen berücksichtigt werden, die aber nicht diese Tradition haben, nicht so strukturiert sind und erst allmählich berücksichtigt werden können. Ich hätte gar nichts gegen einen konfessionellen Beligionsunterricht auf der einen Seite mit seiner auch gesellschaftsbezogenen Dimension, die Sie offensichtlich verleugnen, und natürlich auf der anderen Seite auch Berücksichtigung von Weltanschauungen et cetera in einem Philosophieunterricht oder in diesem mißverständlichen Wort Ethikunterricht. Was ich nicht goutiere, wäre Ethikunterricht als Beligionsersatz-unterricht.

schmidt: Es ist mein Grundverständ-nis, daß ich den Staat auf die notwendigen Aufgaben reduzieren möchte. Aus diesem Zugang heraus komme ich auch zur Forderung nach Trennung Staat und Kirche. Wenn dann auch noch klar wird, daß diese Institution, mit der eine so dichte Verschränkung da ist, eine Einschränkung unserer Hochschulautonomie ist, ein Eingriff in die Privatsphäre ist, am Beispiel des Meldezettels, und ich eine Kirche habe, die offen sagt, wir sind nicht Demokratie, sondern wir sind Hierarchie, dann muß ich sagen, es hat der Staat, wenn er schon verschränkt ist, darauf zu achten, daß bei der verschränkten Institution demokratische Strukturen da sind. kalb: Die Verflechtungen, die sie ansprechen, kann ich nicht sehen. Der nächste Punkt sind die Theologischen Fakultäten, was heißt Verflechtung? schmidt: Entziehung der Lehrbefugnis durch die Kirche ohne Begelüng. Das ist rechtsstaatlich bedenklich. Kalb: Wenn Sie eine staatliche Katholisch-Theologische Fakultät im Universitätsverband haben, so kann der Staat keine konfessionell gebundene Theologie einrichten, er ist auf die Mitwirkung der Kirche angewiesen, und für die Kirche ist es ein legitimes Interesse, ein Mitwirkungsrecht bei jenen zu haben, die dort in ihrem Namen auch amtlich ihre Beligion lehren. Die Frage ist nur, wie dieses Mitwirkungsrecht ausgestaltet werden kann, daß wir unter Umständen eine bessere rechtsstaatliche Ausgestaltung im Hinblick auf die Missio ca-nonica fordern.

schmidt: Da gibt es überhaupt keine rechtsstaatliche Ausgestaltung. Das ist für einen Bechtsstaat inakzeptabel. KALB: Zwei Dinge im Kontext der Missio canonica könnte man schon im geltenden Becht begründen: daß der Entzug der Missio canonica begründet werden muß, daß ein allfälliger Entzug nur auf Lehre und allfälligen Lebenswandel bezogen werden kann. Daß sie entzogen werden kann, scheint mir unabdingbar, denn ich muß der katholischen Kirche in diesem Falle ein Mitwirkungsrecht bezüglich jener Personen einräumen, die eben auch katholische Theologie unterrichten, die Frage ist nur, wie ich es rechtsstaatlich besser formuliere. schmidt: Ich glaube, die Positionen sind klar. Ich respektiere Ihre Position, aber ich kann sie nicht teilen.

diefurche: Ein weiterer Punkt ist der Meldezettel...

schmidt: Das ist für mich ein Eingriff in die Privatsphäre.

diefurche: Würden Sie eine andere Regelung des Kirchenbeitrages befürworten?

schmidt: Es ist Sache der Kirchen, wie sie ihre Beiträge regelt, und das gestehe ich ihr absolut zu, daß sie ihre Beiträge einheben kann. Ich halte es auch für selbstverständlich, daß der Staat ihr bei der Durchsetzung ihrer Bechte hilft, am Gerichtsweg zum Beispiel. Wenn ich zu einem Verein gehe, ist selbstverständlich, daß ich Beiträge zahle. Wenn ich das nicht möchte, muß ich austreten. Daher ist für mich die österreichische Begelung durchaus akzeptabel.

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