An mehr als 100 Schulen wird Jugendlichen, die keinen Religionsuntericht besuchen, Ethik gelehrt - in Form eines Schulversuchs. Trotz positiver Evaluierung wartet man auf eine Verankerung des Fachs als Pflichtgegenstand noch immer vergeblich.
Ich habe gelernt, mit Menschen noch sensibler umzugehen, und dann habe ich noch einiges zu den Religionen (Judentum, Islam) gelernt, was ich noch nicht wusste."
Ohne den Schulversuch Ethik, 1997/98 in vorerst drei Bundesländern (Vorarlberg, Tirol, Wien) gestartet, hätte sich diese Schülerin - und mit ihr tausende andere - nicht so äußern können. Da keiner Religionsgemeinschaft zugehörig, hätte sie in den zwei Freistunden bald das Cafe besucht, bald für andere Fächer gelernt, aber sich kaum Kenntnisse über andere Religionen und ethische Sachverhalte angeeignet.
Mittlerweile ist Ethikunterricht an mehr als 100 Schulstandorten in acht Bundesländern eingerichtet (außer Niederösterreich). Seit anderthalb Jahren liegt der wissenschaftliche Abschlussbericht der vom Bundesministerium in Auftrag gegebenen Evaluierung vor. Am 15. November 2001 äußerte sich Bildungsministerin Elisabeth Gehrer im Rahmen eines Pressefrühstücks wohlwollend zum Ethikunterricht. Entgegen früherer Befürchtungen habe dieser den Religionsunterricht nicht geschwächt, sondern nachhaltig stabilisiert (20 Prozent weniger Abmeldungen). Das neue Fach sei bei den Schülern mehrheitlich beliebt, obschon anfänglich viele den Freistunden nachtrauerten. Auch verwies Gehrer auf die wünschenswerten Lerneffekte, wie sie nicht nur von den engagierten Lehrkräften konstatiert werden, sondern auch von den Schülern selbst: weniger Ausländerfeindlichkeit, differenzierteres ethisches Urteil, Kenntnisse über andere Religionen und Toleranz.
Lehren ohne Lehrplan
Verständlich, dass die Bundesministerin den Schulversuch fortsetzen will und konkrete Schritte in Aussicht stellte: Klären, wie viel weiterer Bedarf gegeben ist; Installierung einer "Expertengruppe", die "einen exemplarischen Rahmenlehrplan" erarbeiten soll. "Die Lehrerausbildung für Ethik soll noch weiter ausgebaut werden", wobei ein Lehramtsstudium, wie von der Evaluation vorgeschlagen, "nicht notwendig" sei.
Bis dato sind die Maßnahmen jedoch nicht realisiert. Zwar erschienen zwei unterschiedliche Schulbücher (siehe unten). Aber wäre es nicht sinnvoll gewesen, zuvor einen verbindlichen Rahmenlehrplan zu erarbeiten? Viele Ethiklehrer sind um die Zukunft ihres Faches besorgt. Appelle der neu eingerichteten ARGES der Ethiklehrerinnen- und lehrer können die Bildungspolitik momentan nicht dazu bewegen, Ethikunterricht im Gesetz zu verankern: als Pflichtgegenstand für alle Schüler, die an keinem Unterricht einer der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften teilnehmen. An den bestehenden Gesetzen zum Religionsunterricht müsste kein Jota geändert werden. Freilich: Die Bundesministerin beklagte, wie schwierig die Hürde der Zwei-Drittel-Mehrheit zu nehmen sei.
Eines der bemerkenswertesten Phänomene in der Bildungslandschaft der letzten zehn Jahre ist sicherlich, dass es um Ethikunterricht, der eben noch kulturkämpferische Töne evozierte, ruhig geworden ist, beängstigend ruhig. Denn: Keine Zukunft der Bildung ohne Ethik! Und, weil zusehends mehr Schüler ohne religiöses Bekenntnis sein werden: Keine Zukunft der Bildung ohne Ethikunterricht, obschon Reduktion der Unterrichtszeit angesagt ist!
Fruchtbare Wertedebatte
Zu den Basisqualifikationen in unserer Lebenswelt, die hochkomplex, pluralistisch, multireligiös ist, gehört ethische Kompetenz, gehört die Vermittlung von Werten, die nicht pluralisierbar sind: Toleranz, Freiheit, Menschenrechte, die unverrückbaren Weisungen des Weltethos. Es wäre eine Illusion zu glauben, diese ethischen Kompetenzen würden in Heranwachsenden einfach heranreifen. Die Psychologie der Moralentwicklung hat nachgewiesen, dass ethischer Unterricht bei Jugendlichen wünschenswerte Effekte zeitigen kann. Von daher ist nur zu hoffen, dass die fünfzigste These zur Bildungspolitik der "Weiß-grünen Bildungsplattform" in der Steiermark zum bildungspolitischen Programm auf Bundesebene wird: "Ein Abmelden von einer generellen Wertediskussion soll es ... in Zukunft nicht mehr geben" (in: Politicum 93, 11).
Der Autor ist Vorstand des
Instituts für Praktische Theologie der Universität Salzburg und
Autor der Studie "Ethikunterricht in Österreich" (Tyrolia 2001).
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