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Hilfestellung zur Wertorientierung

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Das Liberale Forum tritt für die freie Wahl zwischen einem konfessionell neutralen Ethikunterricht und einem konfessionellen Religionsunterricht ein. Die Einführung eines Faches „Ethik" als Wahlpflichtfach entspricht der liberalen Forderung nach einer klaren Trennung zwischen Kirche und Staat.

Würde das zu einer Vernachlässigung des im Schulorganisationsgesetz formulierten Bildungsauftrages -nämlich zu einer wertorientierten Erziehung beizutragen - führen?

In einer der vielen Diskussionen zu diesem Thema sagte eine Religionslehrerin: „Wenn sich nach der derzeitigen Regelung ein Schüler vom Religionsunterricht abmeldet, hat er einfach frei und kann tun was er will. Das alleine ist für viele ein Motiv, sich abzumelden. Ich würde - ehrlich gesagt - lieber gegen einen alternativen Ethikunterricht konkurrieren, als gegen das Kaffeehaus ums Eck."

Das bringt das derzeitige Dilemma auf den Punkt: Durch die Monopoli-sierung des konfessionellen Religionsunterrichtes und dessen abnehmende Attraktivität wird bei einem zunehmend größer werdenden Teil der Schüler und Schülerinnen ein ganz wesentlicher Bildungsauftrag gänzlich vernachlässigt. Wer mit den konfessionellen Glaubenshaltungen nicht einverstanden ist, wird ignoriert. Aber gerade in einer Zeit, die geprägt ist von großer gesellschaftlicher Dynamik, von einer Fülle unterschiedlicher Lebensentwürfe und Ziele, von großer Freiheit und der daraus folgenden Notwendigkeit, zu richtigen Entscheidungen zu gelangen — in einer solchen Zeit brauchen Jugendliche mehr denn je Hilfestellung zur ethischen Wertorientierung.

Ein „Ethikunterricht" hätte darin seine wesentliche Aufgabe. Nicht durch das Präsentieren vorgefertigter-Antworten können wir unseren Kindern die Fähigkeit zur eigenverant wortlichen Orientierung mitgeben. Hilfestellung zur ethischen Wertorientierung kann nicht „verordnet" werden. Vielmehr geht es darum, Jugendliche mit unterschiedlichen Lebensordnungen, Kulturen, Wertemodellen zu konfrontieren, darüber zu diskutieren, verschiedene Sichtweisen zu erarbeiten und dabei auch Kriterien moralischer Argumentation anwenden zu lernen.

Oder es können moralische Schlüsselthemen unserer Zeit besprochen und unterschiedliche Standpunkte erörtert werden: Abtreibung, Euthanasie, Umgang mit Minderheiten, ethische Fragen der modernen Medizin, Gentechnik et cetera ...

Natürlich sollte in einem solchen Fach auch über die verschiedenen Be-ligionen informiert, ihre Prinzipien und Wertvorstellungen diskutiert werden. Reizvoll wäre es in einem solchen Zusammenhang zum Beispiel,

über die Gemeinsamkeiten in den Wertekatalogen zu sprechen und diese mit dem Katalog der Menschenrechte zu vergleichen - denn es ist ja nicht so, daß jede Beligion einen völlig anderen Wertekatalog hat. Eine derartige Diskussion würde junge Menschen weit eher zum eigenständigen Stellungnehmen motivieren, als der konventionelle Beligionsun-terricht.

Schließlich sollten Themen der Lebensgestaltung in einem derartigen Fach einen Schwerpunkt bilden - das eigene Ich sollte Thema sein: Familie und Freunde, selbstbestimmtes Leben, Freiheit und Träume, Glück und Sinn des Lebens, Liebe und Sexualität, Nächstenliebe und Solidarität.

Ein so verstandener Ethikunterricht könnte in meinen Augen viel dazu beitragen, Toleranz und gleichzeitig ein gefestigtes und doch entwicklungsfähiges W'ertegerüst aufbauen zu helfen. Die Diskussion über die Alternative Ethikunterricht-Religionsunterricht sollte jedenfalls geführt werden aus dem gemeinsamen Problembewußtsein für die Notwendig

keit, Fragen der Ethik, der Lebensgestaltung und der Religion im Rahmen des schulischen Bildungsauftrages so zu behandeln, daß sie nicht als notwendiger Lernstoff vergessen, sondern als spannende Erfahrung zur Entwicklung und Beifung der jungen Menschen beitragen können.

Die Autorin ist

Bildlingssprecherin des Liberalen Forums.

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