Ethikunterricht: Zehn Jahre Stillstand

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Die Kirchen haben sich langsam bewegt, die Politik - einmal mehr - nicht: Auch der Ethikunterricht ist ein Bildungs-Fall für den Sanktnimmerleinstag.

Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren plädierte Anton Bucher in der FURCHE für die Einführung eines Ethikunterrichtes in Österreich. Das liege im "ureigensten Interesse des demokratischen Staates“ und es wäre "pädagogisch unverantwortlich, auf das Bildungspotenzial des Ethikunterrichtes zu verzichten“.

Was der Ordinarius für - katholische - Religionspädagogik an der Universität Salzburg da anno 2001 formuliert hatte, gilt 2010 wortgleich. Ein weiterer Stillstand in der an Stillständen reichen Bildungsdebatte im Staate Österreich?

Die FURCHE befragte den Bildungsexperten, der bereits 1999/2000 eine ausführliche Evaluation der damaligen Schulversuche zum Ethikunterricht durchgeführt hatte, und in der Bucher der Politik dessen Aufnahme ins Regelschulwesen empfahl. Die im Auftrag des Bildungsministeriums durchgeführte Studie verschwand in der Schublade - de facto hat sich am Status des Ethikunterrichts bis heute nichts verändert.

Ein Stillstand unter vielen

Frustration darüber verhehlt Anton Bucher gegenüber der FURCHE nicht: Das, was sich in den letzten zehn Jahren verändert habe, sei vor allem die Zahl der Schulversuche. Als solcher firmiert der Ethikunterricht immer noch: 2001 beteiligten sich 76 Schulen daran, heute gibt es österreichweit 194 Standorte mit Ethikunterricht an der Sekundarstufe 2 (AHS-Oberstufe bzw. BHS).

Doch die politischen Rahmenbedingungen haben sich zuletzt dramatisch verschlechtert: Noch im Regierungsprogramm 2008 war die Einführung des Ethikunterrichtes paktiert, bei der letzten Regierungsklausur zur Budgetsanierung fiel auch dieses Vorhaben dem Sparstift zum Opfer. Und zuletzt hatte das Büro von Unterrichtsministerin Claudia Schmied erklärt, die Forderung nach einem Pflichtfach Ethik werde nicht vor 2014 umgesetzt.

Aufgrund dieser Ereignisse stellte sich letzte Woche ein Personenkomitee für die Einführung des Ethikunterrichtes der Öffentlichkeit vor: Der Alt-Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, Peter Kampits, der Rektor der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH), Michael Wagner, sowie der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker setzen sich vehement für den Ethikunterricht ein. Dieser katholisch-evangelische Schulterschluss mit dem philosophischen Ethiker Kampits zeigt, dass der Ethikunterricht längst eine interkonfessionelle und interdisziplinäre Angelegenheit geworden ist. Kampits fordert etwa, dass gerade bei den nichtkonfessionell gebunden Schülern kein "Vakuum“ entstehen dürfe und verweist auf die ethischen Herausforderungen in Medizin, Ökologie, Wirtschaft und Neuen Medien.

Kirchliche Haltung geändert

Mit Ende Jänner endet auch ein viersemestriger berufsbegleitender Ausbildungslehrgang für Ethiklehrer, eine Kooperation der Universität Wien mit der ökumenischen KPH Wien/Krems. Bischof Bünker hofft auf die - schulinterne - Initiative der neu ausgebildeten Ethiklehrer. Und KPH-Rektor Michael Wagner betonte, der Ethikunterricht sei keine "Alternative“ zum konfessionellen Religionsunterricht, aber auch seine Hochschule stehe in der Verantwortung, Schülern ohne religiöses Bekenntnis "gesellschaftliche und kulturelle Werte“ zu vermitteln. Auch in Oberösterreich, Salzburg und Graz gab es Ausbildungsgänge für Ethiklehrer.

Was sich - im Gegensatz zur Politik - in den letzten zehn Jahren aber sehr wohl verändert hat, ist, so Anton Bucher, die kirchliche Haltung zum Ethikunterricht: Längst sei man da von einer ablehnenden Haltung aus Sorge um den konfessionellen Religionsunterricht abgekommen, - im Gegenteil: Heute sehen die Kirchen, wie etwa auch KPH-Rektor Michael Wagner in Wien formulierte, dass der Ethikunterricht den konfessionellen Religionsunterricht stärke.

Anton Bucher bedauert in diesem Zusammenhang allerdings, dass die katholischen Bischöfe sich sehr zögerlich zu dieser Position hatten durchringen können: Erst im Jahr 2009 hatte sich die Bischofskonferenz die Forderung nach einem flächendeckenden Ethikunterricht für nichtkonfessionell gebundene Schüler zu eigen gemacht. Das sei sehr spät gewesen, so der Religionspädagoge zur FURCHE, denn die Zeit arbeite für das Modell eines allgemeinen Ethik- und Religionskunde-Unterrichts für alle Schüler, wie es in der SPÖ oder bei den Grünen angedacht würde. Der Religionsunterricht würde nach einem derartigen Modell kein Pflichtfach mehr sein.

Nach Buchers Worten ist Österreich das "einzige Land in der EU“, das es bis dato nicht geschafft habe, einen Ethikunterricht im Regelschulwesen einzuführen. Dass der zweite Nationalratspräsident Fritz Neugebauer (VP) jüngst eine parlamentarische Enquete zum Ethikunterricht noch vor Ende Juni 2011 ankündigte, begrüßt Anton Bucher wohl. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass es in den letzten zehn Jahren bereits drei Anläufe dazu gegeben habe - allein: Eine solche Enquete habe aber bis heute nicht stattgefunden.

Ethik auch für Zehn- bis 14-Jährige

Außerdem ist es für den Salzburger Religionspädagogen und Ethikunterricht-Befürworter Anton Bucher längst an der Zeit, das Thema auch auf andere Bereiche der schulischen Laufbahn auszuweiten: Bislang wird Ethikunterricht in Österreich ja nur für die Sekundarstufe 2 diskutiert; wichtiger wäre, so Bucher, aber dessen Ausweitung auf die Sekundarstufe 1: Denn die Zehn- bis14-Jährigen seien in Fragen von Ethik und der Wertevermittlung noch weitaus offener als in der Oberstufe, wo sich Lebenshaltungen und -einstellungen schon viel mehr verfestigt hätten. Doch angesichts der derzeitigen Unbeweglichkeit sei dieses Ansinnen, ist Anton Bucher klar, Zukunftsmusik.

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