Im Widerstreit der Ideologien

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Zu den Ausführungen Andreas Khols und Heide Schmidts zum Ethikunterricht (Furche 29/1998).

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Zu den Ausführungen Andreas Khols und Heide Schmidts zum Ethikunterricht (Furche 29/1998).

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Kontroversieller könnte die Diskussion kaum sein, wie die Beiträge von Heide Schmidt und Andreas Khol zu diesem Thema deutlich zeigen: Fordert dieser die Einführung des Ethikunterrichtes auf dem Boden der derzeit bestehenden Gesetze subsidiär zum Religionsunterricht für all jene SchülerInnen, die der Religionsunterricht - aus welchen Gründen immer - nicht erreicht, zielen die Vorstellungen von Frau Schmidt auf eine Systemänderung, die letztlich den Ersatz des verpflichtenden Religionsunterrichtes mit Abmeldemöglichkeit durch einen verpflichtenden Ethikunterricht ohne Abmeldemöglichkeit vorsieht. Voraussetzung dafür wäre nicht nur die Änderung einer Reihe nationaler Schulgesetze, sondern auch des Konkordates auf völkerrechtlicher Ebene.

Angesichts dieser elementaren Auffassungsunterschiede und des Umstandes, daß im vergangenen Schuljahr an acht Höheren Schulen in Tirol, Wien und Vorarlberg Ethik als Schulversuch geführt wurde, im Herbst drei weitere Bundesländer (Salzburg, Oberösterreich und Steiermark) folgen und bei entsprechender Evaluierung Ethik in das Regelschulwesen übernommen werden kann, lohnt es sich, die Grundlegung des Religions- wie des Ethikunterrichtes näher zu beleuchten und das Verhältnis der beiden zueinander zu untersuchen. Ausgangspunkt für beide Gegenstände ist der Zielparagraph des Schulorganisationsgesetzes, der besagt, daß das Bildungsziel der österreichischen Schule die sittliche, religiöse und soziale Dimension umfaßt.

Die Werterziehung stellt ein primäres Bildungsziel der österreichischen Schule dar. Der Gesetzgeber will dadurch die SchülerInnen zu eigenständigem Urteil, sozialem Verständnis und politischer wie weltanschaulicher Toleranz führen. Die religiöse Dimension wird im österreichischen Staatskirchenrecht weitgehend als konfessionelle verstanden. Daraus folgt, daß der Religionsunterricht nicht nur als Recht der anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften anzusehen ist, sondern auch einem Anliegen der Schule entspricht. Was aber, wenn sich SchülerInnen die Beschäftigung mit Wertfragen, denen der Gesetzgeber so hohe Priorität einräumt, "schenken", indem sie sich vom Religionsunterricht ersatzlos abmelden?

Recht oder Mißbrauch?

In Österreich besuchen trotz Abmeldemöglichkeit mehr als 90% der SchülerInnen den Religionsunterricht. Die Abmeldezahlen erhöhen sich vor allem an weiterführenden Schulen ab der 9. Schulstufe. Die gesetzlichen Bestimmungen normieren, daß die Handlungsfähigkeit in Bezug auf Glaubensfreiheit und damit bzgl. der Abmeldung vom Religionsunterricht ab 14 Jahren freigegeben ist.

Die Abmeldemöglichkeit ist Ausfluß der Glaubensfreiheit und entspricht damit einem Grundrecht der Österreichischen Verfassung. In der Praxis gibt sie Probleme auf, da die Abmeldung vom Religionsunterricht in den meisten Fällen nicht in Ausübung der verfassungsrechtlich garantierten Glaubensfreiheit vorgenommen wird, sondern aus vordergründig utilitaristischen Überlegungen: das Kaffeehaus um die Ecke ist allemal anziehender als zwei Stunden Religion, mag der Unterricht noch so gut sein. Die immer wieder zitierte "Krise des Religionunterrichtes" beruht einerseits sicherlich auf dem Mißbrauch der Abmeldemöglichkeit, andererseits aber auch auf einem allgemeinen gesellschaftlichen Säkularisierungsprozeß und auf der damit verbundenen Erosion traditioneller volkskirchlicher Strukturen. Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ist daher nicht dasselbe wie kirchliche oder gemeindliche Katechese, kann und will es nicht sein, wie die im Österreichischen Katechetischen Direktorium der Bischofskonferenz festgehaltenen Zielvorstellungen deutlich machen.

Über die juristische, theologische und pädagogische Begründung hinaus kann die "Rechtfertigung" des Religionunterrichtes daher auch von den Aufgaben der öffentlichen Schule her erfolgen. Andererseits ist angesichts der dargestellten Situation und der gesellschaftlichen Entwicklung die Einführung eines subsidiär zum Religionsunterricht konzipierten Ethikunterrichtes, der die Erreichung der Bildungsziele der österreichischen Schule aller SchülerInnen im Auge hat und damit wesentliche Bildungsdefizite beseitigt, im Rahmen der dzt. geltenden Rechtslage nicht nur realisierbar, sondern bei synoptischer Betrachtung der relevanten schulrechtlichen Gesetze unter Berücksichtigung der teleologischen Perspektive zwingend.

Wie verhalten sich Religionsunterricht und Ethikunterricht nun zueinander? Beide sind an den Zielparagraphen gebunden, ebenso an die Grundrechte der Österreichischen Verfassung sowie an die großen Menschenrechtskodifikationen. Beide thematisieren Wert- und weltanschauliche Fragen, wie ein Vergleich der aktuellen Lehrpläne veranschaulicht. Beide sind dem Pluralismusgebot sowie pädagogischer, wissenschaftlicher und damit vernunftbegründeter Redlichkeit verpflichtet, fernab von Indoktrination und gedanklicher Engführung.

Komplementär Der wesentliche Unterschied liegt im Blickwinkel. Während den gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften im Rahmen des Religionsunterrichtes die Aufgabe zugewiesen ist, Sinnantworten und Handlungsmotive zu erschließen, die dem Zusammenleben dienlich sind, wobei die Religionsgemeinschaften in Bindung an ihre eigenen Grundsätze und Überzeugungen, aber auch in der Verpflichtung, konkurrierende Überzeugungen fair zur Sprache zu bringen, handeln, hat für den Staat die Toleranz im Kontext des weltanschaulichen Neutralitätsgebotes Vorrang. Der Staat tritt sozusagen als "Unternehmer" eines Ethikunterrichtes für SchülerInnen auf, die der Religionsunterricht nicht erreicht.

Weltanschauliche Neutralität bedeutet aber nicht Indifferentismus, vielmehr muß der Staat eine positive Wertbindung berücksichtigen, indem er die Wertvorstellungen, die den Verfassungsnormen zugrunde liegen, erläutert und intentional durchzusetzen sucht und andererseits die in der Gesellschaft vorhandenen Sinn- und Wertorientierungen zur Sprache bringt. In diesem Sinn hat der Staat die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit den unser Gemeinwesen prägenden gesellschaftlichen Kräften Fehlentwicklungen in der Gesellschaft vorzubeugen und Fundamentalismen ebenso hinanzuhalten wie demokratie- und menschenverachtende destruktive Strömungen.

Religions- und Ethikunterricht verhalten sich komplementär zueinander. Eine Konkurrenz der beiden Fächer wäre daher ebenso anachronistisch wie eine Neuauflage des Kulturkampfes. Umgekehrt können Religions- und Ethikunterricht aber wesentlich zum Erreichen des Bildungszieles der österreichischen Schule im Sinne einer anzustrebenden ganzheitlichen Bildung beitragen. Daher sind sie unerläßlich.

Der Autor, Jurist, Theologe und Pädagoge, ist Verfasser des Lehrplans für den Schulversuch "Ethik" an der HTL Innsbruck.

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