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Mit „Ethik” ist es nicht getan

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Ist die Frage „Ethik-Unterricht” oder konfessioneller Religionsunterricht die richtige Alternative?

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Ist die Frage „Ethik-Unterricht” oder konfessioneller Religionsunterricht die richtige Alternative?

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Der Sachverhalt ist klar: Ein Teil der Kinder und Jugendlichen, die in Österreich eine Schule besuchen, kann oder will das Angebot des konfessionellen Religionsunterrichts nicht annehmen. Jener Teil, der das Angebot nicht annehmen will, ist klar definiert: Es sind jene, die die Möglichkeit zur Abmeldung aus Gewissensgründen oft aus gewissen Gründen in Anspruch nehmen oder sich nicht für den Religionsunterricht anmelden (zum Beispiel Berufsschulen). Die Freiwilligkeit dieser Entscheidung mag dahingestellt bleiben angesichts gewonnener Freizeit oder Arbeitszeit. Jene, die das Angebot des konfessionellen Religionsunterrichts nicht annehmen können, werden meist übersehen.

Die konsequente Konfessionstrias für den Religionsunterricht (Lehrpersonen, Kinder und Lehrplan sind an eine bestimmte Konfession gebunden) hat angesichts der konfessionellen Ausdifferenzierung zur Folge, daß immer mehr Kinder an keinem Religionsunterricht teilnehmen können. Es sind jene Kinder, die zahlenmäßig kleinen oder regional sehr unterschiedlich präsenten Religionsgemeinschaften angehören, für die an ihrer Schule kein Religionsunterricht ihrer Konfession zustande kommt und ein Besuch in einer anderen Schule nicht möglich ist. Nicht zu übersehen ist jene Gruppe im Bereich der Pflichtschule, die sich vom islamischen Religionsunterricht abgemeldet hat und für die keine andere Möglichkeit offensteht, einen Religionsunterricht zu besuchen.

An den öffentlichen Volksschulen der Großstadt Wien besuchen derzeit bereits zehn Prozent der Kinder keinen Religionsunterricht, an einzelnen Schulstandorten sind dies bis zu 50 Prozent und mehr.

Die katholische Kirche sagt, in gewissem Sinne zu Recht, es könne nicht ihre Aufgabe sein, ein Ersatzfach zu fordern, noch dazu wenn dessen Inhalte, Zielsetzungen und Verantwortlichkeiten nicht geklärt sind. Eine kirchliche Initiative in diese Richtung hätte leicht den Geruch, mit Hilfe eines verpflichtenden Ersatzfaches entlaufene Schäfchen in den Schoß des konfessionellen Religionsunterrichts zurückzwingen zu wollen.

„Gleichwohl sollte aus der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung und in der Perspektive einer ganzheitlichen Bildung gewährleistet sein, daß alle die Möglichkeit haben, sich mit religiösen, weltanschaulichen und ethischen Fragen in einem eigenen Fach auseinanderzusetzen”, forderten Österreichs Religionspädagogen anläßlich ihrer letzten Tagung im Herbst 1993.

Und es ist tatsächlich Aufgabe des Staates, dafür Sorge zu tragen, daß Allgemeinbildung, zu der ohne Zweifel auch die religiöse und ethische Bildung gehören, grundsätzlich möglich ist.

Wiederholt ist Ethik als Ersatzfach gefordert worden, anstelle eines abgeschafften konfessionellen Religionsunterrichts als Wahlpflichtfach oder als Pflichtfach für die vom konfessionellen Religionsunterricht Abgemeldeten. Daß ausgerechnet „Ethik” „Religion” ersetzen soll ist vielleicht typisch Österreich. Schon Bruno Kreisky ist vor über zwanzig Jahren für den Religionsunterricht eingetreten, weil „wo würden die jungen Menschen denn sonst etwas über Entwicklungshilfe und Dritte Welt erfahren.”

Die ethische Funktion, die Religion in christlicher Tradition auch hat, ist, so scheint es, die gesellschaftlich primär wahrgenommene, nützliche und akzeptierte Seite. Und der Bedarf an ethischer Auseinandersetzung und Orientierung nimmt in einer Gesellschaft, die von derart rasanten Veränderungen gezeichnet ist, sprunghaft zu - von Bioethik bis Wirtschaftsethik. Wenn Ethik auch den Inhalt eines möglichen Ersatzfaches benennt, sind jedenfalls wesentliche Fragen dann endgültig unter den schulischen Tisch gefallen. Denn die religiösen Fragen, die Existenzfragen, die Sinnfragen und so weiter lassen sich nicht unter dem Dach der Ethik versammeln.

Damit würde die Schule nicht nur ihrem Bildungsauftrag nicht gerecht, sondern auch der steigenden Nachfrage. Der Religions- und Psy-chomarkt boomt - und da will Schule sich verweigern? Fundamentalistische Strömungen bedrohen Menschen und authentische religiöse Traditionen - und da will Schule wegschauen? Die Möglichkeiten und der Zwang zur individualisierten Biographie nehmen zu - und da will die Schule orientierende Auseinandersetzung verweigern?

Die Situation der religiösen Bildung und des konfessionellen Religionsunterrichts ist regional und nach Schultypen sehr unterschiedlich. In den Volksschulen gibt es kaum Abmeldungen, ja in der Großstadt Wien besuchen sogar 42 Prozent der Kinder ohne religiöses Bekenntnis den römisch katholischen Religions-unterricht. Trotzdem kann der konfessionelle Beligionsunterricht allein die religiöse Bildung im Bereich der Schule nicht mehr garantieren. Und die Schule (Klassenlehrer, ...) erkennt ihre Kompetenz nicht.

An manchen höheren Schulen wird Zeit und Mühe aufgewendet, um Kinder, die vom Religionsunterricht abgemeldet in der Schule herumstreunen würden, zu beaufsichtigen. Vieleicht sind die praktischen Probleme des Alltags ein Motiv, die Entwicklung nicht weiter treiben zu lassen, sondern ein konstruktives Gespräch zu ermöglichen, um religiöse und ethische Bildung für alle zu verbessern und nicht mangels gründlicher Auseinandersetzung einfach „Ethik” zu etablieren.

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