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Auf der Basis von Grundwerten

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„Politische Bildung ist eine Voraussetzung sowohl für die persönliche Entfaltung des einzelnen wie für die Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Ganzen. Sie ist in einer Zeit, die durch zunehmende Kompliziertheit in allen Lebensbereichen gekennzeichnet ist, ein aktiver Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft und zur Verwirklichung der Demokratie. Wesentliche Anliegen der Politischen Bildung sind die Erziehung zu einem demokratisch fundierten Österreichbewußtsein, zu einem gesamteuropäischen Denken und zu einer Weltoffenheit, die vom Verständnis für die existentiellen Probleme der Menschheit getragen ist. Politische Bildung ist einem Demokratieverständnis verpflichtet, das in der Anerkennung legitimer Herrschaft und Autorität keinen Widerspruch zur postulierten Identität von Regierenden und Regierten sieht____Politische Bildung in den

Schulen wird davon auszugehen haben, daß die politische Sphäre im Zeichen von Wertvorstellungen steht. Friede, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit sind Grundwerte, auf denen jede menschliche Gesamtordnung und somit jedes politische Handeln beruhen muß. Dabei muß aber bewußt bleiben, doj3 diese Grundwerte oft in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen und daß auch bei gleichen

ideellen Ausgangsvorstellungen verschiedene Auffassungen über die Verwirklichung dieser Ideen in einer bestimmten Situation bestehen können.“

Seit zwei J ahren steht jener Erlaß zur Diskussion, der im österreichischen

Schulwesen das einstige Lehrfach „Staatsbürgerliche Erziehung“ durch das Unterrichtsprinzip „Politische Bildung“ ersetzen soll. Nicht auf ein Fach, auf wenige Stunden in wenigen Klassen soll die Hinführung des jungen Menschen auf Staat und Gesellschaft beschränkt sein, sondern überall dort erfolgen, wo die Thematik eines Faches einen Hinweis erlaubt.

Natürlich mußten die Bemühungen um die Formulierung dieses Erlasses die Beobachter aufmerken lassen: Sollte hier versucht werden, auf Schleichwegen die Jugend im Sinn der Regierung zu manipulieren? Sollte die Grundlage gelegt werden, auf der

dann die Ideologie der Regierungspartei oktroyiert, alle anderen abgedrängt werden sollten? Man glaubte, in der Praxis, vor allem bei der Förderung der Erwachsenenbildung, Ansätze hierfür zu sehen. Der Erlaß ist bemüht, solche Besorg-

nisse zu zerstreuen. Auch Minister Fred Sinowatz versicherte, daß an solches nicht gedacht sei. Um so weniger, als alle bisherigen Bemühungen „im besten Klima einer konstruktiven Zusammenarbeit“ verlaufen seien.

Wir nehmen diese Versicherungen gerne zur Kenntnis. Um so mehr, als es im Erlaß weiter heißt: „Der Lehrer wird Politische Bildung - gerade angesichts der oft starken Bindungen zwischen Lehrer und Schüler - keinesfalls zum Anlaß einer Werbung für seine persönlichen Ansichten und politischen Auffassungen machen. Erfordert es die Situation, daß der Lehrer seine persönlichen Ansichten darlegt, so

wird er streng darauf zu achten haben, daß durch seine Stellungnahmen abweichende Meinungen nicht diskreditiert werden und daß die Schüler eine kritisch-abwägende Distanz zu dieser persönlichen Stellungnahme des Lehrers aufrecht erhalten können.“

Dem Christen fehlt bei der Aufzählung der Wertvorstellungen, auf denen das neue Unterrichtsprinzip aufgebaut werden soll, die Erwähnung der Nächstenliebe. Sie sollte nicht nur auf den Religionsunterricht beschränkt bleiben. Die Umsetzung der Politischen Bildung in eine bessere Kenntnis unser jüngsten Vergangenheit wird anderseits vor allem die Aufgabe der Historiker sein. Die neue Aktion des Unterrichtsministeriums zum Nationalfeiertag 1978 „Jugend forscht: Zeitgeschichte“ bietet hier ergänzende Möglichkeiten.

Der Erlaß liegt da, er bietet den Rahmen; das Bild muß nun von allen Beteiligten gezeichnet werden. Der Rahmen scheint die notwendige Tragfähigkeit zu bieten. Der Minister zählte die nun notwendigen flankierenden Maßnahmen auf, die Erstellung der Lehrbehelfe, die Bildung und Fortbildung der Lehrer. Die Hauptlast der Durchführung liegt immer beim Lehrer - von seiner Motivierung, von seinem Können, von seiner Bereitschaft, diese

Grundsätze in seine Lehrpraxis umzusetzen, werden Erfolg und Mißerfolg abhängen.

Vor allem aber noch eines: Auch die Eltern sind aufgerufen. Auf ihre Hauptverantwortung für die gesamte Erziehung - daran wird auch in anderem Zusammenhang erinnert werden müssen! - und damit auf die Bedeutung, die ihre Zusammenarbeit mit der Schule für die Politische Bildung besitzt, wird noch im Schlußabsatz des Erlasses hingewiesen...

In allen diesen Bereichen wird sich zeigen müssen, wie weit die Praxis von der Theorie abweicht. Diese Abweichungen aufzuzeigen, die Durchführung des Erlasses in der Praxis zu kontrollieren wird die Aufgabe aller jener sein, die bisher skeptisch waren. Wenn sie es nicht zuwege bringen, bei Abtoet-chungen von der vorgezeichneten Linie ein Gegengewicht zu setzen, muß die Schuld auf sie zurückfallen. „Das Zusammenwirken von Lehrern, Schülern und Eltern wird die besten Voraussetzungen dafür schaffen, daß die österreichische Schule ihren Beitrag zur Mitgestaltung der politischen Kultur unseres Landes leisten kann“, heißt es abschließend. Auch die Öffentlichkeit wird ihren Beitrag dazu zu leisten haben.

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