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Reform- und Sozialpädagogik

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Die auch heuer wieder zutage getretene Anziehungskraft der Salzburger Pädagogischen Woche liegt nicht zuletzt' in der geistigen Eigenart der Vorgestä’tung begründet. Zunächst in dem bewußt vertretenen modernen weiten Begriff der Erziehung, die gesehen wird als ein grandioser Prozeß, in den der Mensch mit seiner Geburt eiritritt und dem er zeitlebens ang hört. Diese Eigenart spricht sich aber auch aus in der meist iriterhätlo- nalen Betrachtungsweise der Probleme, die durch das Institut für Vergleichende Erzie- • hungswissenschaft angeregt wird. Gerade nach der durch Krieg und Nachkriegsverhältnisse fi' fVbr etfffenėff' Abšihriti+ung vorn pädago- l gfiüüfftf Deh'k'ėhrtūnČP''der '‘pädagogischen Wirklichkeit de Auslandes ' wird es dankbar empfunden, wenn bei jeder Erörterung pädagogischer Probleme der globale internationale Aspekt und von Auslän- derri selbst "über die neuen pädagogischen Fortschritte in ihren Ländern Wesentliches geboten wird. Zu der Besonderheit der Salzburger Programmatik gehört auch die starke Betonung der Reformpädagogik, die auf der'Erkenntnis gründet, daß der Umbau der Gesellschaft, die Neuformung der Staatsform und die Fortschritte der modernen Kinder- und Jugendpsychologie und -Psychiatrie feinėradi- kale Reform unsere. r gesamten Erziehung verlangen. Die Idee einer richtig verstandenen paedagogia perennis wird zwar mit aller Entschiedenheit für die ewig gültigen Ziele der Erziehung vertreten, aber daneben werden zeitbedingte Ziele gesehen und nicht so sehr der statische als der dynamische Charakter aller Unterrichts- und Erziehungsmethoden betont; demzufolge wird eine kritische, für das gute Neue offene Haltung der Pädagogen zur Forderung. Im Sinne, moderner Reformpädagogik wird in der sittlich e nreligi- ösen Erziehung das Primäre alle;:, schulischen Arbeit gesehen und daher die Umwandlung aller Schulen aus Unterrichts- in Erziehung- anstalten mit Erziehungsplan neben dem bisher allein üblichen Lehrplän und die Aufstellung sittlicher Monatsziele neben den bisher ausschließlich herrschenden unterrichtlichen Monatszielen’ verlangt. Der Zusammenhang der zwei großen Problemkreise, der Sozial pädagogik und der Reform pädago. gik, trat in den beiden Vorträgen: „Erziehung und Demokratie" und „Weltfrieden und Erziehung“, .in Erscheinung, mit denen der Leiter des „Institutes für Vergleichende Erziehungswissenschaft“, Universitätsprofessor Dr. Friedrich Schneider, die Woche eröffnete und schloß.

Mitursachen einer inneren Gegenhaltung sind natürlich die Bilder, die manche Demokratien der Gegenwart bieten, ferner die hie und da gemachten Versuche, demokratische Einrichtungen mit zweifellos undemokratischen Methoden einzuführen, und außerdem die historische, Tatsache, daß alle Bemühungen demokratischer Erziehung nicht die Vernichtung aller demokratischen Institutionen in einer ganzen Reihe von Ländern haben verhüten können. Eingehend wurde die erhobene Behauptung widerlegt, daß der katholische Mensch aus seiner Weltanschauung heraus geneigt sei, die Demokratie abzulehnen, und daß er mehr für die Diktatur ift republikanischer Form geeignet sei. Vielmehr wurde' unter Bezugnahme auf die Ergebnisse moderner Entwicklungspsychologie gezeigt, daß die demokratische • Lebensform nur von. Menschen getragen werden kann, die eine gewisse ..Charakterhöhe erreicht hab n,. so daß eine gute Gesamterziehung die Voraussetzung ihrer Begründung und ihres Bestandes ist. Die Frage nach der Art dieser Gesamterziehung wurde durch den doppelten Hinweis beantwortet, daß sie, wie alle wirkungsmächtige Erziehung, religiös fundiert sein muß, und daß Erziehungsweisen undemokratischer Regierungsformen nicht zur Erziehung der Jugend und der Erwachsenen zur Demokratie tauglich sind. „II faut changer d’education“, wie Robert Dottrens in seinem Buche „Education et Democratic"fordert. Die mit Rücksicht auf die demokratische Erziehung geforderten Reformen wurden aufgewiesen und — zumal in der nachmittägigen Aussprache — an Beispielen auš der Erziehungspraxis des Auslandes veranschaulicht.

Im Schlußthema „Erziehung zum Frieden“ wurde unterstrichen, daß die Friedenserziehung sich nicht darin erschöpfen darf, den Krieg zu bekämpfen, sondern daß sie tiefer fundiert sein muß. Der einzelne, der sich mit den Menschen seines Kreises nicht verträgt, tund das Volk, in dem eine Schicht und eine Partei der anderen mit Mißtrauen und Unverträglichkeit gegenübersteht, sind zu wahrer, internationaler Friedensgesinnung nicht reif. So ist auch die Erziehung zum Frieden in der Hauptsache eine gute Gesamt- erziehung. Die Zielsetzung der Friedenserziehung gilt für die männliche, wie für die weibliche Jugend. Die Frauen von morgen müssen schon in ihrer Jugend lernen, welche große Macht sie in der Demokratie infolge ihres numerischen Übergewichtes besitzen,

und in die 'Einsicht hineinwachseri, daß es ein Nebeneinander von Frauentum und Krieggar nicht gibt, daß notwendig die Frau den Krieg vernichten muß oder der Krieg die Frau, und daß die beiden letzten Kriege nur möglich waren, weil viele Frauen im Widerspruch mit ihrem eigentlichen Wesen infolge der Mängel ihrer Erziehung der Kriegsideologie erlagen.

Die Hauptvortragsreihe über die Sozialpädagogik wurde von dem Direktor des neuen sozialwissinschaftlichen Institutes der Erzdiözese Köln, dem Universitätsdozenten DDDr. Geck gehalten, der den Plan zum Gebäude einer großen christlichen Sozialpädagogik entwarf.

Anschließend wurden, in EinzelvorträgeU einige der soziologischen Bindegewalten behandelt. Universitätsprofessor Dr. Kfiß, Salzburg-München, sprach über Volkssifte und Brauchtum und bot seinen Zuhörern die reiche Schau der Sammlungen seines „Institutes für religiöse Volkskunde“. Der Bonner Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Schneider, der in Fachkreisen durch sein jetzt wieder neu aufgelegtes Werk über den Aufsatzunterricht im höheren Unterricht und andere wertvolle Publikationen bekannt ist, sprach über „Erziehung zur Sprache" und „Erziehung durch die Sprache“ und hielt zwei stark besuchte stilkritische Übungen. Der Dekan an der technischen Hochschule in Graz, Professor Dr. Lorenz, sprach über die Kunst als soziologisches Bindemittel und trat dabei mit guten Argumenten auch für die moderne Kunst ein, in, der er auch ein Mittel sieht, das Chaos zu überwinden und zur geistigen Ordnung zu führen.

Zwei Ausschnitte der Sozialpädagogik wurden in Nachmittagsyorträgen behandelt, die „Volkhochschule“ und die „Bekämpfung der Jugendverwahrlosung“., Zum ersten Thema sprach Hofrat Dr. Tesar als Gast, der augenblickliche Leiter der ersten österreichischen Grundtvig-Volkshochschule, die Schüler jeder Weltanschauung Und der verschiedenen politischen Richtungen in der ausgesprochenen Intention aufnimmt, sie in sechswöchigen Kursen durch die Art des Zusammenlebens und des Unterrichts, zur Toleranz, zur Achtung vor ehrlicher Überzeugung, zum richtigen Austragen von Konflikten, kurz zur Bereitschaft - und. Fähigkeit zum inneren Frieden zu erziehen. In der anschließenden Diskussion, wurde die Volkshochschule mit einer solchen Zielsetzung durchaus anerkannt,, daneben aber auch d i e w e 11 an s c haullche in heilliche Volkshochschule gefordert, die die charakterisierte Zielsetzung der Gfundt- vig-Volkshoch sc hule dem von ihr erstrebten Erziehungsziel einzugliedern hätte.

Zu dem Thema der Jugendverwahrlosung sprachen Prof. Dr. med. Stumpf! vorn „Institut für Vergleichende Erziehungswissenschaft“, der die Bedeutung der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie in der Bekämpfung der Jugendverwahriosung, und Kanonikus Fischer (Straßburg), der die Verwahrlostenpädagogik Frankreichs, besonders die nach der Gesetzgebung von 1945 vorgenommene Reform der Heimerziehung, darlegte. Die von ihm gegebene anregende Schilderung charakteristischer Einzelheiten der Erziehung in kleinen Gruppen nach der Erziehungsmethode, wie Badeh-Powell sie für die Pfadfinder festgelegt hat, der prinzipiellen Herrschaft von Güte und Vertrauen, der Freizeitgestaltung und der körperlichen Erziehung und der beispielhaften Lösung der Frage nach Lohn und Strafe (Dekret vom

25. Oktober 1945) bewies erneut den Wert auslandspädagogischer Studien. In Frankreich ist die Pädagogik der Erziehungsheime heute die fortschrittlichste.

Das zweite Thema der pädagogischen Woche wurde grundgelegt durch eine Vorlesung des Innsbrucker Universitätsprofessors Dr. Strohal über die psychologischen Grundlagen der Reform pädagö gik. Diese selbst wurde dann in je zwei Vorträgen für die Volksschule von Ministerialrat' Prof. Dr. Peter, für die Mittelschule durch Ministeriąlrat Prof. Dr. Lehrt ’dargestellt. Mini- erialrat Prof. Dr. Peter gab aus umfassender Beherrschung des Materials eine große Überschau über die Entwicklung der neuzeitlichen österreichischen Pädagogik bis zur gegenwärtigen Reform, Ministerialrat Prof. Dr. Lehrt stellte in kritisch-analytischer Weise die Schwächen des österreidiischen

Mittelschulwesens meisterhaft und überzeugend heraus.

Zum gleichen Thema sprachen der amerikanische Specialist for elementary education, Mr. Boyd Graves, über die amerikanische, der Schweizer Dr. Dilger über die Schweizer und M. Railion, der Herausgeber des „Educateur“ und Direktor eines pädagogi-

sdjen Forschungsinstitutes in Parts, über die französischen Reformbestrebungen.

Es erwies sich auch hier wieder, daß solche Beschäftigung mit auslandspädagogischen Sachverhalten zum spontanen Vergleich und damit dann auch zur vertieften Erkenntnis der pädagogischen Verhältnisse des eigenen Landes führt.

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