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Wissenschaftlich fundierte Pädagogik

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Erziehung ist heute eine Aufgabe, cj e ohne wissenschaftliche Grundlagenforschung nicht mehr gelöst werden kann. Kindheit und Jugend, früher gesichert und geltungsmäßig genau umgrenzt in einer ständisch organisierten und durch regelmäßig sich wiederholende Familienformen gekennzeichneten Gesellschaft, stehen heute im Einflußfeld vieler und in ihrer Wirkung noch nicht klar erkannter Kräfte.

Wolfgang Brezink a, ein junger österreichischer Pädagoge, nach einigen Jahren der Dozententätigkeit an’ der Universität Innsbruck heute Professor und Vorstand der Pädagogischen Hochschule an der Universität Würzburg, versucht in seinem Werk „Erziehung als Lebenshilfe” (Oesterreichischer Bundesverlag, Wien, 375 Seiten) im Umriß zu zeigen, welche neuen gesellschaftlichen ktcfenT in unserer Zeit Erziehungsschwierigkeiten schaffen und wie sie zu bewältigen sind.

Zunächst trachtet Brezinka aus Vergleichen der Umweltbeeinflussung bei Mensch und Tier, die er der Verhaltensforschung (Tinbergen, Lorenz, Portmann). entnimmt, grundsätzliche Gedanken über die „biologische Unfertigkeit” und Formbarkeit des kindlichen und jungen Menschen zu gewinnen. Sodann beschreibt der Verfasser unter Auswertung der kulturanthropologischen Schriften, zum Beispiel von M. Mead und R. Benedict, die Erziehung des Kindes und Jugendlichen bei Naturvölkern, und schließlich, auf reichhaltige Literatur gestützt, die Erziehungssysteme der alteuropäischen Gesellschaft mit den ihnen eigenen Bildungsidealen sowie die sozialgeschichtliche und soziologische Wandlung der Familie im Uebergang von der alteuropäischen zur industriellen Gesellschaft. Darin erkennen wir eine Besonderheit von Brezinkas Pädagogik, daß sie eher von einem soziologischen Ansatzpunkt die „erzieherische Situation” zu bestimmen sucht, als von dem schulwissenschaftlichen Aspekt aus. Brezinka beschreibt Veränderungen in der Stellung von Vater, Mutter und Kind in der Familie, das Abreißen von Traditionen in städtischer und ländlicher Bevölkerung im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, die Entstehung von demokratischen Lebensformen auf Grund der neuen, die ständische alteuropäische Gesellschaft ablösenden modernen; er führt die der modernen demokratischen Massenzivilisation eigenen Nivellierungen der Autorität aus und trachtet die Vervielfachung der Sozialkontakte in ihrer Wirkung auf die zu Erziehenden zu umreißen. Durch solche Gedanken kommt der Verfasser über den Bereich der Wissenschaft hinaus; er wertet fest und entschieden, was ihm als Theoretiker und Praktiker der Erziehung zugebilligt werden kann. Seine Haltung ist weder auf „leichtsinnige Naivität” noch auch auf „lähmende Verzweiflung”, sondern auf, wie der Verfasser selber sagt, „ernste Zuversicht” gegründet, auch wenn moderne Lebensformen und Zivilisationsgegebenheiten als Gefährdung der Erziehung gesehen werden.

Der zweite Teil will Ideale für die Erziehung in unserer Zeit aufzeigen. Es werden nicht so sehr die Methoden als die s o z i a 1 e t h i s c h e n Haltungen geschildert, die Brezinka zur erzieherischen Antwort auf die gewandelten Lebrnsbedingungen unserer Zeit als unerläßlich notwendig ansieh.. Er berührt auch das Thema der „überschaubaren Gruppen”, welche die Gemeinschaftsfähigkeit in einer soviel auf Kommunikation und gegenseitiges Verstand- nis angewiesenen Gesellschaft ausbilden. In diesem Sinne könnten Ehe und Familie gefestigt werden, nämlich durch Reifung der Einzelpersönlichkeit zur bewußten Verpflichtung für gestellte Lebensaufgaben.

Persönliche Reife ist allerdings nur durch „Zucht” und Askese zu erreichen, diese verstanden als „Festigung der Herrschaft des Geistes im Widerstreit der Meinungen” (S. 259). Nicht einer Feindschaft gegenüber der Welt, sondern einer geordneten Zuwendung zu dieser soll die Askese dienen. Denn in der modernen Gesellschaft ist die Erziehung kein Vorgang mehr, der ohne Anstrengung von selber gelingt (S. 262). Junge Menschen müssen, meint Brezinka, in der Situation der „Reizüberflutung” des automatischen. ,im, Interesse der Wirtschaft stehen-, den Massenangebotes von Konsumgütern„ verzichten - lernen, das heißt, „eines lassen, um Kraft für anderes frei zu haben” (S. 271).

Was Brezinka bringt, ist reifer und ausgegorener Common sense, klar und ansprechend geschrieben. Die Festigkeit seines Wertstandpunktes entbehrt nicht einer gewissen appellativen Kraft. Was an dem Werk vermißt werden kann, sind Hinweise über die Anwendungsmöglichkeiten der kritisch-wissenschaftlichen Tiefenpsychologie sowie der Entwicklungspsychologie für die Pädagogik. Auch hätten bei dem weit ausholenden Charakter des Werkes Ausführungen über die Beziehungen zwischen Pädagogik einerseits und Fürsorge, Sozialarbeit und verschiedenen planerischen Maßnahmen anderseits noch der praktischen Auswertbarkeit der Position von Brezinka gedient. Das sauber und reichhaltig dokumentierte Buch läßt hoffen, daß der Verfasser in Fortführung der bisherigen Arbeit auch weiterhin moderne wissenschaftliche Erkenntnisbereiche für die Aufgaben der Erziehung erschließen wird.

SO WURDE ISRAEL. Aus der Geschichte der zionistischen Bewegung. Von Max Bodenheim er. Mit zahlreichen Dokumenten und 10 Tafeln. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main. 324 Seiten. Preis 19.50 DM

Einer der neuralgischen Punkte der großen Politik unserer Tage ist der Vordere Orient mit seinen latenten Spannungen zwischen den nationalarabischen Staaten und dem neuerrichteten Judenstaat. Welches sind die Ursachen dieser Spannung, wie und warum kam es überhaupt zur Gründung dieses nationaljüdischen Gemeinwesens? Diese und ähnliche Fragen haben sicher schon jedermann bedrängt, der aufmerksam und interessiert das Zeitgeschehen verfolgt. Das vorliegende Memoirenwerk Max Boden- heimers kann bis zu einem gewissen Grad Antwort geben. Ist der Verfasser ja doch einer der Initiatoren der zionistischen Weltbewegung. Schon 1891, also sechs Jahre vor dem berühmten Manifest Th. Herzls, hatte er in seiner Schrift „Wohin mit den russischen Juden?” die Idee des Zionismus konzipiert. Er war der Gründer und langjährige Vorsitzende der zionistischen Vereinigung für Deutschland und außerdem maßgeblich an der Organisation des internationalen Zionismus beteiligt. Mit dem von ihm ins Leben gerufenen und bis zum Beginn des ersten Weltkrieges von ihm geleiteten jüdischen Nationalfonds schuf er die Voraussetzung für die ersten Kolonisationsversuche in Israel, wo er denn schließlich auch vor dem aufkommenden Nationalsozialismus eine Zuflucht fand. Diese durchaus sehr persönlich gehaltenen Erinnerungen sind der Rechenschaftsbericht eines Lebens im Dienste der Idee des Zionismus und vermitteln mit ihrer ehrlichen und offenen Kritik einen überaus interessanten Einblick in seine Anfänge und sein Werden, seine Spannungen, Erfolge und Mißerfolge.

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