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Rangordnung der Werte

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Die Schwierigkeiten einer öffentlichen Diskussion in Schulfragen liegen zutiefst in der Polarität begründet, die durch die Eigenart des Erziehungsgeschehens als Funktion der Gemeinschaft einerseits, als Betätigungsfeld theoretisch begründeter Facharbeit andererseits gegeben ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Erziehungsvorgang seinem Ursprung und seinem Zwecke nach eine der wichtigsten Lebensäußerungen sozialer Gemeinschaft darstellt, woraus sich das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht dieser Gemeinschaft herleitet, ein gewichtiges Wort bei der Gestaltung des Erziehungswesens zu sprechen. Ebensowenig jedoch ist z.u bezweifeln, daß die Erörterung gerade der kardinalen Fragen dieses Sektors — gar nicht zu reden von den vielfältigen Problemen methodisch-didaktischer Art — eine beachtliche Summe fachlichen Spezialwissens erfordert, die billiger weise nicht so ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Obwohl naturgemäß dem an Jahren vorgerückten Menschen der Reichtum seiner Erfahrungen bei der Bildung objektiver Urteile zustatten kommt, ist doch nicht zu leugnen, daß die derzeitige schulpolitische Diskussion ihre besten Kräfte vielfach in nutzlosem Streit mit abgebrauchten Worthülsen um Zielattrappen vergeudet.

In der Methode ist das derzeit beliebteste Schlagwort die „Arbeitsschule". Das Verdienst der, seinerzeitigen Arbeitsschulbewegung — insbesondere für die Volksschulmethodik — soll keineswegs geschmälert werden. Lediglich vor allzu lauten Propagandatönen unsachlicher Art sollte man sich hüten. Manchenorts gehört es zum guten Ton, die „veraltete Lernschule“ mit einer verächtlichen Geste abzutun, obwohl doch alles, was wir an bedeutenden Männern besitzen, aus dieser hervorgegangen ist. Die Schule ist kraft ihrer Tradition und spezifischen Aufgabe immer in erster Linie eine Institution, wo „gelernt“ werden muß und die in der Schule zu leistende Arbeit wird immer vorwiegend geistige Arbeit sein. (Daß sie größtmögliche Mitarbeit des Schülers voraussetzt, ist nicht erst im 20. Jahrhundert entdeckt worden.)

Eine zweite Kategorie umfaßt Organisations probleme, als da sind: Landschule, Lehrerbildung, Einheitsmittelschule und Privatschule. Davon muß die Frage der Einheitsmittelschule und der ganze Komplex des Privatschulwesens (mit der starken Akzentverlagerung auf die geistlichen Bildungsinstitute) heute als ausschließliches Politikum betrachtet werden. Bleibt als echtes Problem in dieser Gruppe nur die Lehrerbildung. Im Grunde liegen die Dinge auch hier einfach. Wird man sich einmal entschließen, alle standespolitischen Momente fallen zu lassen, das heißt den unfruchtbaren Konkurrenzkampf mit der Mittelschule fallen zu lassen und eine solide Fachschulbildung für Pflichtschullehrer festzulegen, wie sie in dem Plan der Lehrerakademien angestrebt wird, dann wird man aus dem Dilemma, das die heutige und bisherige Lehrerbildung bietet, ohne Mühe herauskommen. (Siehe meinen Aufsatz in der „Furche“ vom 31. Jänner 1947 und die gleichgerichtete Auffassung von Ehrmann, „Furche" vom 15. Februar 1947.)

Die entscheidenden Fragen der Schulreform liegen erst im Bereich der dritten Kategorie, wo nämlich von der religiösen Erziehung, vom Humanismus und vom Problem der Autorität gehandelt wird. Man hat in neuester Zeit wiederum mit der Idee eines konfessionslosen Moralunterrichtes gespielt.

Die Lehren des Konfuzius, aphoristische Weisheiten der großen Philosophen, Indisches, Jüdisches und Christliches sollen zu einer „ethischen Fibel“ verarbeitet werden. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, daß ein christliches Land, unabhängig von parteipolitischen Erwägungen und unbeschadet der Gewissensfreiheit des einzelnen Staatsbürgers sowie der primären Erziehungsrechte der Familie, sein Erziehungswesen auf die Fundamente der christlichen Ethik stellt. •

Unter Humanismus hat man lange eine Streitfrage zwischen Mittelschulprofessoren verstanden. Ganz zu Unrecht. Humanismus bedeutet nicht nur Anerkennung der Antike als dauernd fortwirkenden Nährboden unserer Kulturform, sondern zugleich das Bekenntnis zur Evolution als dem Grundgesetz kultureller Entwicklung. Wir anerkennen keine formelhafte Humanität sogenannter „weltpolitischer“ Orieę-

tierung und literarischer Moral, sondern hur eine Humanität, deren letzte Ausrichtung im Christentum und deren Erscheinungsbild in der Geschichte verwurzelt ist. Auch die Scheinexistenz einer „realistischen“ Bildungsidee ist längst zu Grabe getragen. Der Satz, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, gewinnt von neuem Bedeutung in der Antithese, daß nicht am Ding der Mensch gemessen werden dürfe. Wir gehen nicht mehr den Weg vom Menschen durch das Ding in die Angst vor der Bodenlosig- keit der Welt, sondern vom Ding durch den Menschen zum Schöpfer aller Kreatur.

Dieser Gedanke führt zur Antinomie von Freiheit und Autorität in der Erziehung. Man spricht heute gerne und oft von Schülergemeinde und Schülerselbstverwaltung. Es sind alle Bemühungen zu begrüßen, die der Initiative der jungen Kräfte die angemessenen Wege öffnen. Aber vergessen, wir nicht, daß gemäß natürlicher Ordnung die Älteren die Erzieher der Jüngeren sind

Die moderne Pädagogik definiert prägnant Erziehung als Führung im Sinne der planmäßigen Hinleitung des Jugendlichen zur Selbständigkeit. Jedoch wird das Übergewicht der Autorität nur in dem Maße verringert werden können, in dem der junge Mensch allmählich an eigener Einsicht und Charakterstärke gewinnt und die Freiheit zum Zwecke sinnvoller Lebensgestaltung zu nützen versteht.

Die erwachsene Generation von heute trägt vor der Geschichte eine besonders schwere Verantwortung. Es ist ein billiges Verfahren, die Jugend zuerst sich selbst zu überlassen und im nachhinein über die Mißratenen loszuziehen. Wir bedürfen klarer Einsichten, eines lauteren Willens und energischer Tatkraft. Die Geschichte wird über uns richten, ob wir die Ehrlichkeit des guten Beispiels und den Mut zu konsequenter Führung aufzubringen vermochten.

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