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Privatschulen und ihr Recht

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Es wird wiederum gegen die Privatschulen — und das heißt in Österreich fast soviel wie: Bekenntnisschulen — Sturm gelaufen; ihre Existenzberechtigung wird neuerlich in ' Frage gestellt, nachdem der Nationalsozialismus sie seinerseits aufgehoben und aufgelöst hatte'. Dem Staat — heißt es — müsse das Erziehungsmonopol gesichert werden.

Daß die Schule nicht nur Kenntnisse zu vermitteln, Belehrung zu erteilen, sondern auch charakterlich und geistig zu bilden hat, darüber sind sich heute wohl alle Beurteiler einig, ebenso wie auch darüber, daß eine solche Geistes- und Charakterformung nur durch eine Schule gegeben werden kann, die auf dem Boden einer geschlossenen, charakterbildenden Weltanschauung steht. Kann die staatliche Schule — als solche — eine derartige weltanschauliche Formung geben? Sie

kann dies nur, wenn sie von jeder anderen weltanschaulichen Ausrichtung und Wertung absieht und nur zu einer gemeinsamen Staatlichkeit erzieht, bei ihrer Erziehung das Staatliche als das letzte Kriterium, als den obersten Wert betrachtet, auf den hin sie erzieht, ohne, wie es im demokratischen Staate sein soll, die freie Persönlichkeit und die eigene Überzeugung seiner Mitglieder zu achten. Die staatliche Schule muß die Kinder so erziehen, als ob sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit im Staatlichen aufgehen müßten, als ob der Staat, die Zugehörigkeit zum Staate und die Betätigung in ihm ihr letzter Zweck wäre — mit einem Worte: sie muß vom Staate totalitär denken, das Verhältnis seiner Bürger zu ihm totalitär auffassen und aufhören eine wahrhaft demokratische Schale zu sein. Anders als auf totalitärer Grundlage kann der Staat nicht eine Staatsschule zum Mittel einer weltanschaulichen Erziehung machen. Diese „Weltanschauung“ kann das gemeinsame Bekenntnis zur gemeinsamen Staatlichkeit nur dann sein, wenn, man den Staat als den letzten Wert, als Ziel und Zweck des Daseins der einzelnen auffaßt, wenn man der persönlichen Freiheit und dem Recht auf freie Überzeugung die Daseinsberechtigung abspricht, so wie es der nationalsozialistische Staat getan hat, dessen staatlicher Ideologie wir soeben erst glücklich entronnen sind. Der Gedanke, das Erziehungsmonopol dem Staate zu geben, ist ein typisch nationalsozialistischer, ein typisch totalitärer Gedanke. Der demokratische Staat kann -entweder keine weltanschauliche Erziehung geben —* wenn er sich nämlich

wirklich auf das beschränkt was er, als demokratischer Staat an Respekt vor der Staatsgewalt, der öffentlichen, gesetzlichen Ordnung gegenüber, vom einzelnen verlangen kann, und sich davor in acht nimmt, das Staatliche in totalitärer Weise zum obersten, letzten Zweck zu machen — oder aber, wenn er dies doch tut, hört er auf, ein demokratischer Staat zu sein. Das Recht auf die Er-

haltung von Privatsdiulen einerseits, auf ihren Besuch andererseits ist also ein: wesentliches Recht einer demokratischen Verfassung, im Wesen verwandt mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung, auf die Freiheit der menschlichen Persönlichkeit, solange sie die Gesetze und Normen des Staates respektiert, auf den Schutz vor Bevormundung durch den Staat, vor Sfcaatsvergötterung, Staatsabsolutismus, vor der totalitären Denkweise des Nationalsozialismus. Wer das Recht hat, seine geistige Überzeugung, seine Weltanschauung, solange sie nicht das Be-, stehen des Staates bedroht, zu vertreten und frei zu äußern, zu verkünden und in seinem Leben darzustellen, der hat einerseits wohl das Recht, im Sinne dieser Weltanschauung zu lehren, anderen'einen vom Geiste dieser Weltanschauung durchdrungenen Unterricht zu geben, wie er andererseits auch das Recht hat, für seine Kiitder einen im Geiste seiner Weltanschauung gehaltenen Unterricht zu fordern, und sich dagegen zu verwahren, daß seine Kinder entgegen seiner Weltanschauung zu einem Staatstotalitaris-mus erzogen werden, der, abgesehen davon, daß er seiner eigenen Weltanschauung widerspricht, nicht demokratisch ist.

Wird aber die freie Entfaltung der verschiedenen, im Geistigen oft so gegensätzlichen weltanschaulichen Richtungen im Unterricht, in der geistigen, charakterlichen und sittlichen Formung des einzelnen nicht Gegensätze in unser Volksganzes hineintragen,

die vermieden werden könnten, wenn man

allen dieselbe staatliche Erziehung zuteil werden läßt? Wäre es im Interesse der Einheitlichkeit und der inneren, gesinnungsmäßigen Ausgeglichenheit des Staatsbewußtseins nicht doch besser, dieses demokratische Recht auszuschalten? Wäre' es nicht besser, diese geistigen Gegensätze, die eine Verschiedenheit in grundsätzlichen sittlichen . und kulturellen Fragen ergeben, möglichst einzuschränken? Ja — dann verbieten wir lieber überhaupt gleich die freie politische Parteienbildung, das Recht auf freie Meinungsäußerung, überhaupt alles, was den demokratischen Staat ausmacht. Niemand kann bezweifeln, daß, was die Einheitlichkeit der Staatsgesinnung, die Ausschaltung aller geistigen Spannungen und Gegensätze, die Vereinheitlichung der geistigen Haltung und die homogene Einheit des Staatsganzen — wenigstens von außen gesehen — betrifft, der Nationalsozialismus ein unerreichtes Vorbild gewesen ist. Wollen die Bekämpfer der Privatschulen da hinaus? Wollen sie uns wieder in den Käfig des Nationalsozialismus einsperren? Wollen sie an die Stelle des einen totalitären Systems nur ein anderes setzen? Gut, sie können es versuchen. Sie sollen dies aber nicht mit dem Vorgeben tun, als ob sie es im Interesse des demokratischen Staates täten, denn das Wesen des demokratischen Staates und seiner Grundrechte verteidigen in Wahrheit diejenigen, die sich für die Rechte der Privatschulen einsejeen.

Demokratie hat mit der Regierungsform wenig, man könnte sagen nichts zu tun. Sie ist eine Form des menschlichen Denkens, der Weltauffassung, das Produkt in gerader Entwicklung aus allmählicher Differenzierung, Verfeinerung, Vermenschlichung. Sie ist das wahrhaft Internationale, das Gemeinsame der christlichen und weißen Nationen, und es gibt keine größere Wohltat, als in Tokio, am Kap, in Chile ein Hotel zu betreten und zu wissen: hier wirst du Menschen finden, die, wie du, den Respekt vor deiner Person über alles stellen und von dir nichts als Takt und Benehmen erwarten. Es ist die Weltherrschaft des europäischen Geistes, der letzte Gedanke der Zivilisation. Flake, Logbuch „Deutschland“.

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