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Rechte - Werte - Normen Neues Verständnis wird nötig

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Die ziemlich spröde Titelformulierung der diesjährigen Salzburger Hochschulwochen „Werte, Rechte, Normen” läßt kaum vermuten, daß hier ein ethisch-politisches Problem von größter Aktualität zur Diskussion steht. Gewiß knüpfen die Erörterungen dieser Hochschulwochen in erster Linie an die „Grundwertdebatte” an, wie sie seit etwa 1970 in Deutschland im Gang ist, und dann auch zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden ist: Ausdruck des schwindenden ethisch-politischen Grundkonzeptes der Bevölkerung, der den Ruf nach allgemein verbindlichen und tragenden „Grundwerten” immer lauter ertönen läßt.

Doch wäre es weit verfehlt, darin gleichsam nur ein „innerdeutsches” Problem zu sehen, das uns im Grunde nichts angeht. Dieser fortschreitende Wertdissens betrifft alle wesentlichen Staaten und demokratisch freiheitlichen Verfassungen - und auch Österreich ist hier keine Insel der Seligen! Obwohl sich die österreichische Bundesverfassung ganz- wesentlich vom Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland unterscheidet, ist das, was der bayerische Kultusminister, Prof. Hans Maier über das Verhältnis von Grundwerten und Grundrecht zu sagen hatte, auch hierzulande von größter Bedeutung.

Prof. Maier warnte zwar vor einer vorschnellen Identifizierung beider Größen, die letztlich zu dem Dilemma führen, den vom Staat garantierten Freiheitsgebrauch zu reglementieren und dadurch Freiheit selbst aufzuheben. Anderseits könne man nicht übersehen, daß die heute übliche Trennung von Grundwerten und Grundrechten auf einem überholten frühliberalen Staats- und Gesellschaftsverständnis beruhe. Dieser Auffassung zufolge reduziere sich die Funktion des ‘Staates auf die eines bescheidenen Signatars der in der Gesellschaft vorhandenen Werte.

Gegen dieses Modell brachte Prof. Maier drei Einwände vor: Zunächst entspricht der Staatsbegriff des Früh liberalismus mit seiner zentralen Maxime der Nichtintervention keineswegs mehr der Wirklichkeit des modernen Staates als Lenker, Schlichter, Umverteiler. Aber auch die Gesellschaft von heute entspricht nicht mehr der frühliberalen Perspektive. Diese konnte sich noch auf einen intakten Fundus sittlicher Normen und auf ein strenges, ganz und gar nicht permissives Pflichtethos stützen. In der modernen Gesellschaft als „System der Bedürfnisse” (Hegel) ist die alte Homogenität durch allgemeine Austauschbarkeit, Mobilität, Kommunikation und andere Faktoren weitgehend zerfallen. Daher tut sich gerade die moderne Gesellschaft außerordentlich schwer, aus sich heraus allgemein verbindliche sittliche Normen und Werte zu entwickeln. Schließlich gehe es auch nicht an, die Aufgabe der Förderung und Pflege der gesellschaftlich relevanten Grundwerte einzig und allein den Kirchen zuzuschieben. Letztere seien heute zwar in außerordentlicher Weise gefordert, doch sei es unzulässig, diese Institutionen auf die Funktion sozialer Dienstleistungen in Sachen „Sinnvermittlung” zu reduzieren.

Grundwerte und Grundrechte seien zwar nicht identisch, aber auch keine völlig heterogenen Größen. Die Ethik reicht zwar in die Rechtsordnung des Staates hinein, geht aber nicht in ihr auf. Hier liegt auch die Quelle des heutigen Konfliktes, der innerhalb der staatlichen Ordnung zum Ausdruck gelangt.

Es geht dabei immer mehr um die Frage, inwieweit Grundwerte ethischer Natur verrechtlicht werden können und nicht, wie vielfach behauptet wird, um den Anspruch partikularer Gruppen, deren Sonderethos in den Rang allgemein verbindlicher Rechts-’ hormeri zu erhėbėff. ‘ ‘

Öer ėntsdhėidende Punkt der modernen Grundrechte liegt im Verständnis der Freiheit. Wie kann „Freiheit” verstanden werden? Wenn auch die mittelalterliche Ständegesellschaft Freiheiten im Plural im Sinne von Privilegien und Sonderrechten kannte, so ist doch die allgemeine Freiheit des Menschen ohne Ansehen seiner Geburt, Rasse, Religions- und Staatszugehörigkeit zweifellos eine Errungenschaft der modernen Revolutionen.

Wenn auch nicht geleugnet werden könqe, daß die modernen Menschenrechte ohne die christliche Idee der Freiheit und Gleichheit aller Menschen vor Gott nicht denkbar waren, sei der christliche Anteil an der Geburt der Menschenrechte doch überschätzt worden, meinte Prof. Maier. Es steht heute fest, daß man von einem eindeutig christlichen Ursprung nicht mehr sprechen könne.

Was heute fällig ist, sei ein neues, die Einseitigkeiten des Liberalismus und Sozialismus überwindendes Verständnis der Grundrechte im freiheitlichen, sozialen Rechtsstaat, das den formalen Grundzug der „klassischen” Freiheitsrechte mit der Einsicht in die Notwendigkeit ihrer Institutionalisierung verbindet.

Was die Kirchen anbelangt, so können diese heute im sozialen Raum Grundwerte nicht mehr durchsetzen, weil ihnen dazu sowohl die äußeren Mittel als auch die innere Legitimation fehlen. Eine herrschafts-, kultur- und sozialpolitische Idealkonkurrenz mit dem Staat, wie sie etwa noch der katholischen Soziallehre des 19. Jahrhunderts vorschwebte, sei heute endgültig überholt. Vor allem müßte sich die Kirche vor der Versuchung des funktionellen Rückzugs hüten (gestern Gesellschaftsrelevanz, heute Sinnvermittlung). Sie dürfe sich nicht zur Nutznießerin der heutigen Sinnleere degradieren lassen. In der Bemühung um die Realisierung der Grundwerte könne für die Christen weder die Auffassung der kritischen Theorie („Was ist, kann nicht wahr sein”), nock jene Hegels („Alles, was wirklich ist, ist auch vernünftig”) maßgebend sein, führ ihn gelte vielmehr der Satz von Leon Bloy: „Alles was geschieht, ist anbetungswürdig.”

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