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Sittlich nur im Privaten?

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Mit dem Verhältnis von „Gesetz und Gewissen -Gerechtigkeit und Erbarmen" befaßt sich die Katholikentags-Studienta-gung am 26727. Februar in der Diözese Feldkirch.

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Mit dem Verhältnis von „Gesetz und Gewissen -Gerechtigkeit und Erbarmen" befaßt sich die Katholikentags-Studienta-gung am 26727. Februar in der Diözese Feldkirch.

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Das moderne Recht konfrontiert uns mit einer Fülle von Verhaltensanforderungen, die wir zu beachten haben, ob wir wollen oder nicht, und die mit zunehmender Intensität der Verrechtli-chung in das menschliche Zusammenleben eingreifen. Dieser „äußeren" Inpflichtnahme durch das Recht steht andererseits die

grundlegende sittliche Forderung gegenüber, unser Handeln als zur Freiheit aufgeforderte Subjekte gemäß dem unbedingten Anspruch unseres Gewissens auf selbstverantwortliche Weise zu bestimmen.

Welcher Zusammenhang besteht dann zwischen den Forderungen des Rechts und denen des Gewissens? Wie kann der Gehorsam gegenüber dem Recht begründet werden? Ist er im Gewissen zu fundieren? Kann das Recht jeden beliebigen Inhalt haben? Oder gibt es sittliche Grundsätze der Gerechtigkeit mit unbedingter, allgemeinverbindlicher Verpflichtungskraft, die jeder positiven Rechtssetzung vorhergehen und diese-erst legitimieren? Diese Fragen verweisen auf das schwierige, aber für unser Rechtsdenken zentrale Problem der Verhältnisbestimmung von Recht und Moral, rechtlichem Anspruch und

sittlicher Verantwortlichkeit - einem spannungsreichen Verhältnis der Unterschiedenheit wie auch der notwendigen Bezogen-heit beider Bereiche.

Es gehört einerseits zu den grundlegenden Einsichten der Rechtsentwicklung seit der Aufklärung, daß aus Gründen der Anerkennung und Achtung menschlicher Freiheit zwischen den Forderungen des Rechts und moralischen Geboten unterschieden werden muß. Moral mit Hilfe des Rechts durchsetzen, das heißt, den Menschen mit rechtlichen Mitteln zur eigenen Vollkommenheit zwingen zu wollen, wäre ein wenn auch noch so wohlgemeinter Zwang zum Guten, der elementar die Freiheit zur sittlichen Selbstbestimmung bedrohte.

Andererseits ist das Recht aber doch nichts sittlich Neutrales, sondern bedarf notwendig einer ethischen Fundierung. Zwar vermag es die Moral nicht zu erzwingen, wohl aber sie zu ermöglichen, indem es die entsprechenden An-erkennungs- und Entfaltungsbedingungen verantworteten Handelns institutionell gewährleistet. Es steht so gesehen unter der unbedingten sittlichen Anforderung der Gerechtigkeit, menschliche Freiheit im äußeren Zusammenleben nach allgemeinen, für alle gleichermaßen verbindlichen Gesetzen zu ermöglichen.

Diese sittliche Qualität des Rechts ist angesichts der politisch-sozialen Realitäten unserer Welt keineswegs eine selbstverständliche Gegebenheit, sondern ein normatives Leitprinzip der Gerechtigkeit, das immer wieder gegenüber allen Formen der Bedrohung von Humanität kritisch zur Geltung gebracht werden muß. Dazu bedarf es allerdings der Gesinnung der Verantwortlichkeit für das Recht auf selten der Bürger, die ihren Ausdruck in einer Haltung kritischer Loyalität zum bestehenden Recht findet.

Sie umfaßt zum einen die Bereitschaft, rechtliche Anforderungen als prinzipiell sinnvoll zu akzeptieren und ihnen aus innerer Uberzeugung Gehorsam zu leisten. Denn das Recht kann, so weitreichend seine formellen Garantien auch sein mögen, seine Funktionen nur dann erfüllen, wenn es prinzipiell getragen ist von diesem gelebten, durch solidarische Verantwortlichkeit geprägten Ethos. Zum anderen ist mit kritischer Loyalität die Bereitschaft angesprochen, bestehende Institutionen in Frage zu stellen und auf ihre Veränderung im Hinblick auf mehr Gerechtigkeit hinzuwirken.

Gemessen an diesen Anforderungen zeigen sich an unserem gegenwärtigen Rechts- und Gesellschaftssystem beträchtliche Verantwortungsdefizite, für die die sattsam bekannten Skandale der letzten Zeit ein beredtes Zeugnis bieten. Diese Defizite manifestieren sich sehr deutlich am Phänomen der Entkoppelung von Verantwortungsethos und Recht. Sittliche Verantwortung wird im wesentlichen privatistisch auf den Bereich von Ehe-, Familien-und Nachbarschaftsbeziehungen, also insgesamt auf das Verhalten in kleinen Gruppen beschränkt, während das Verhalten innerhalb rechtlich-politischer Institutionen davon nicht erfaßt wird.

Recht dient in dieser Perspektive vordringlich der instrumehtel-len Steuerung des Sozialsystems innerhalb eines ethisch neutralisierten Bereiches, mit dem Ziel, die hochkomplexen Bedingungen des modernen Wirtschaftslebens, der technisierten Umwelt und der bürokratischen Apparate möglichst störungsfrei zu regulieren. Man bedient sich so gesehen des Rechts nicht unter sittlich-praktischen, sondern unter strategischen Gesichtspunkten zu dem Zweck, im Zeichen eines wohlfahrtsstaatlich geprägten Anspruchsdenkens partikulare Interessen so weit wie möglich durchzusetzen. Eine Bezugnahme auf die sittliche Dimension verantworteter Freiheit ist aus einer solchen Sicht des Rechts heraus nicht mehr möglich.

Dem christlichen Glauben ist in dieser Situation ein weites und wichtiges Betätigungsfeld eröffnet. Das christliche Liebesgebot erschöpft sich ja keinesfalls im individualethischen Appell zu praktizierter Nächstenliebe, sondern stellt darüber hinaus die Forderung, in allen sozialen Bezügen für die Rechte des Menschen einzutreten, hat also notwendig auch eine rechtlich-institutionelle Dimension. In diesem Sinne gilt es, aus dem Gądanken christlicher Solidarität heraus gegen die vorhandenen Verantwortungsdefizite anzukämpfen, sei es im Eintreten für strukturelle Veränderungen, sei es im permanenten Hinwirken auf eine ethisch fundierte und solcherart verantwortete Rechtsgesinnung.

Der Autor, einer der Hauptreferenten der Tagung, ist außerordentlicher Professor für Rechtsphilosophie an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät in Wien.

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