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Den Weg zum politischen Handeln öffnen

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Die Politische Büdung ist zu einem unverzichtbaren Bestandteil ganzheitlicher Menschenbildung geworden. Der Mensch ist ein ganzheitliches Wesen, bei dem zwischen eigenem leiblichen und seelisch-geistigen Bereich unterschieden werden kann. Beide Bereiche dürfen jedoch nicht isoliert voneinander betrachtet werden, denn sie stellen eine untrennbare Einheit dar.

Im Interesse einzelner menschlicher Lebenszwecke wirkt der Mensch als Ganzheit auf die ihn umgebende Welt. Dabei bewegt er sich auf verschiedenen Gebieten, die Eduard Spranger in die idealtypischen Lebensbereiche des ökonomischen, sozialen, politischen, theoretischen, ästhetischen und religiösen Menschen eingeteilt hat. Aus diesen Lebensbereichen mit ihren spezifisch-menschlichen Aufgaben empfängt wie zu jeder Zeit, so auch heute Bildung und somit auch Politische Bildung ihre Sinnrichtung und inhaltliche Bestimmung.

Doch für die Bildung als Formung und Gestaltung leiblichen und Seelisch-geistigen Seins des Menschen wurden diese Lebensbereiche in den verschiedenen geschichtlichen Epochen recht unterschiedlich bewertet. Manche dieser Bereiche wurden als besonders bildungsbedeutsam angesehen, andere wieder fanden kaum Beachtung oder blieben überhaupt aus dem Bildungsraum ausgesperrt. So vertrat Wühelm von Humboldt, der Begründer des neuhumanistischen Bildungsideals, das auf die Bildungsfrage bis in die Gegenwart stark nachwirkt, die Auffassung, daß vor allem durch die Beschäftigung mit Sprachen und der Dichtkunst und durch das Studium der Geschichte der Mensch gebildet werde. Diese Auffassung trug wohl dazu bei, daß Fragen der Politischen Bildung zu lange vernachlässigt wurden.

Unter dem Druck der industriellen Revolution, der gesellschaftlich-politischen Veränderungen, der demokratischen Bewegung, des Fortschritts in den Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften und der Politikwissenschaft mußte man allmählich, wenn zunächst auch recht zögernd, die Notwendigkeit einer Politischen Bildung anerkennen. Und heute scheint Politische Büdung bereits zu einer wohl noch umkämpften, aber recht komplexen Kernfrage der gesamten Büdung geworden zu sein. Sie ist letztlich Ausdruck jener Herausforderungen, welche die Lebensbereiche Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Politik an jeden Menschen als verantwortungsbewußten Mitgestalter stellen. Darum ist schon der Jugend in einer von Vorurteilen und Parteinahme gleichermaßen freien Sachlichkeit jenes politische Wissen zu vermitteln, das sie fähig und bereit macht, Mitverantwortung an der politischen Wirklichkeit der Industriegesellschaft zu tragen. Hierbei sind folgende Dimensionen besonders zu beachten:

• der wirtschaftliche, gesellschaftlich-staatlich-rechtliche und der politische Aspekt der menschlichen Existenz,

• die Möglichkeiten und Grenzen menschlichen Handelns und Gestal- tens in Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Politik,

• die Möglichkeiten und Grenzen des Handelns von Wirtschaft, Gesellschaft, Staat und Politik in seiner Be- zogenheit auf den Menschen.

Damit jedoch Politische Bildung nicht zu einer unreflektierten, platten Beschreibung wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Erscheinungen reduziert wird, vordergründigen ideologischen Schlagworten anheimfällt oder im politischen Irrationalismus aufzugehjeq droht, bedarf ,?je, des Rückhaltes in jenen Wissenschaften, welche die wirtschaftlich-gesellschaftlich-politische Wirklichkeit erforschen. Diese Rückbindung der Politischen Büdung an die Wissenschaft ist auch deshalb gefordert, weü die Öffentlichkeit sie aus Gründen einer möglichen ideologischen Indoktrination und Manipulation des Menschen mit Argwohn betrachtet.

Politische Büdung erschöpft sich aber keinesfalls in Kenntnissen über die politische Wirklichkeit. Daher genügt es nicht, der Jugend als dem künftigen Träger der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Ordnung nur Wissen zu vermitteln. Neben die Kenntnisvermittlung, die mit der Entwicklung der Fähigkeit verbunden sein muß, sich von Fall zu FaU selbst politisches Wissen zu erarbeiten, tritt daher die Forderung nach Aneignung mitmenschlicher Verhaltensweisen und Umgangsformen wie Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit dem Mitmenschen gegenüber sowie sachliches, tolerantes und gerechtes Verhalten gegenüber Andersdenkenden. Das Einüben solcher Haltungen und Verhaltensweisen ist bereits in der Schule unter Beachtung des Prinzips der Altersgemäßheit in Ansätzen möglich. Durch die Schulgesetzgebung wurde dafür eine reichhaltige Palette von Möglichkeiten geschaffen. Es ist Aufgabe der Schule unserer Zeit, diese Möglichkeiten in Anspruch zu nehmen und planmäßig Situationen zu schaffen, die zur Übung solcher Verhaltensweisen herausfordern.

Die entscheidendste und wohl am schwierigsten zu verwirklichende Forderung echter Politischer Büdung besteht aber darin, dem Jugendlichen, gestützt auf sein Wissen und kritisches politisches Urteüsvermögen, den Weg zum richtigen politischen Handeln zu eröffnen. Damit verlagert sich aber das Gewicht von der wissensmäßigen Beurteilung der politischen Wirklichkeit und der in ihr liegenden Möglichkeiten des Handelns apf die Frage nach Sinn und Ziel menschlichen Lebens. Hier kommt das Ethos der Politischen Bildung in Sicht.

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