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Ein Ethos gegen die Ideologie?

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Auf einer Pressekonferenz, die am 25. Jänner in der Wiener Universität stattgefunden hat, wurde ein Buch des „Institutes für Friedensforschung" an der katholischen theologischen Fakultät vorgestellt. Überdies wurde die Gründung eines „Universitätszentrunis für Friedensforschung" bekanntgegeben. Da der Schreiber dieser Zeilen Mitautor des genannten Buches ist, sei ihm gestattet, einige Überlegungen über den gesamten Fragenkreis einer wissenschaftlichen „Friedensforschung" anzustellen, die sich ihm bei der Pressekonferenz geradezu aufdrängten. Es ist ja selbstverständlich, daß ein neuer wissenschaftlicher Aspekt noch manche Unklarheit mit sich bringt und manche persönliche Meinungsverschiedenheit zu klären sein werden.

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Auf einer Pressekonferenz, die am 25. Jänner in der Wiener Universität stattgefunden hat, wurde ein Buch des „Institutes für Friedensforschung" an der katholischen theologischen Fakultät vorgestellt. Überdies wurde die Gründung eines „Universitätszentrunis für Friedensforschung" bekanntgegeben. Da der Schreiber dieser Zeilen Mitautor des genannten Buches ist, sei ihm gestattet, einige Überlegungen über den gesamten Fragenkreis einer wissenschaftlichen „Friedensforschung" anzustellen, die sich ihm bei der Pressekonferenz geradezu aufdrängten. Es ist ja selbstverständlich, daß ein neuer wissenschaftlicher Aspekt noch manche Unklarheit mit sich bringt und manche persönliche Meinungsverschiedenheit zu klären sein werden.

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Zwei Fragen, scheint uns, sind vor allem zu überleben, die eine betrifft das wissenschaftliche Verfahren einer „Friedensforschung". Die andere betrifft die politischen Implikationen. Man wird Friedensforschung doch kaum ohne den Gedanken einer politischen Realisierung des Friedensstrebens betreiben können. Die Friedensproblematik erwächst heute aber aus einer politischen Weltsituation, die neue Aufgaben stellt. Sie müssen fast ohne geschichtliche Erfahrungen bewältigt werden, das heißt aber auch, daß sie bewältigt werden müssen aus grundlegenden überzeitlichen Prinzipien.

In der Meinungsvielfalt über die grundlegenden Prinzipien und die praktische Realisierung friedlichen Zusammenlebens will man nun versuchen, die Einheit in wissenschaftlichem Denken, Planen und Diskutieren zu begründen. Zur Vermeidung drohender Vernichtungskonflikte will man auf der Ebene eines — angenommenen oder vorausgesetzten — sachbestimmten Wissenschaftsethos ins Gespräch kommen. Im Bereich der „westlichen" Welt und ihrer Traditionen ist dies durchaus verständlich. In ihr ist die Sachbezo-genheft wissenschaftlichen Denkens beheimatet. Die Sacherfordernisse, die „Eigengesetzlichkeiten", werden, wenn auch auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedener Durchschlagskraft, als objektive, weithin zwingende sinnvolle Gesetzmäßigkeiten erkannt.

Neben dieser einigenden Tradition abendländischen Denkens wirken aber auch zwei spaltende Kräfte auf die Problematik einer „Friedensforschung" ein. Zunächst die Ideologien.

Das Wort ist, wie alles, was sich auf die Kräfte der Politik bezieht, bis zur Unbrauchbarkeit zerrieben. Wir wollen hier — im Sinne Hannah Arendts oder Eric Voegelins — den Terminus Ideologie von zwei Aspekten her verstehen, die zugleich ihre geschichtliche Kraft begreiflich machen können. Danach stellen die in der Gegenwart wirksamen Ideologien einerseits angebliche Entschleierungen des Sinnes der Geschichte in wissenschaftlicher Verkleidung dar. Inhaltlich sind sie Erlösungslehren einer säkularisierten christlichen Welt. So tragen sie eine sonderbare Glaubenskraft — aber ohne Liebe und ohne Barmherzigkeit — in das soziale Leben, mit ihr zugleich aber auch Missionswillen: Neuschaffung des Menschen und der Gesellschaft vermittels der erbarmungslosen Beseitigung alles und aller Nichtkonformen. Anderseits, im Unterschied zur Wissenschaft, knüpft ideologisches Denken nicht an die objektiven Sachzusammenhänge an, sondern nimmt seinen Ausgangspunkt von einer Wunschhypothese, der vorgefaßten Konstruktion einer endgültig heilen Welt. Wenn die Aussicht auf diese von der Wirklichkeit fraglich gemacht wird, muß man natürlich mit etwas Terror nachhelfen.

Die zweite Kraft ist die — nun ideologisch getarnte — Tendenz zur staatlichen Machtexpansion. Das nennt man dann „Imperialismus" — der jeweils anderen. Aus einem staatlich organisierten, ideologisch gegründeten Machtwillen kann schwerlich innerer oder äußerer Friede erwachsen. Denn der Träger ideologisch gegründeter Macht ernennt sich selbst zum Träger und Künder letzter Wahrheit. Daraus er-fließen sämtliche gewünschten Vollmachten.

Es ist nicht erstaunlich, daß unter der Wirksamkeit dieser Voraussetzungen die Fragestellungen einer wissenschaftlichen „Friedensforschung" in immer tiefere Regionen vorstoßen muß, um die immer umfassenderen Zusammenhänge in den Blick zu bekommen. Es war eine wichtige Feststellung, die in der erwähnten Pressekonferenz gemacht wurde, daß nämlich bei einer wissenschaftlichen Behandlung des Friedensproblems eine ganze Fülle von Fachwissen und alle Wege des Denkens über den Menschen ins Spiel gebracht werden müssen, wohl einschließlich des Wissens um und des Denkens über die Geschichte.Daraus aber ergibt sich wohl, daß auch die Probleme einer Friedensordnung, wie dies in den Sozialwissenschaften schon lange betont wird, ihre letzte Verwurzelung in einer philosophischen Anthropologie finden müssen. Wo die fundamentalen Friedensideen nicht klar aus solcher Mitte heraus ausgebreitet werden, können die Diskussionen zwischen den verschiedenen Richtungen schwerlich fruchtbar, geschweige denn sinnvoll werden. (Wir sprechen von wissenschaftlicher Klärung, nicht von den tastenden Versuchen der Politik.) Darüber, freilich, daß der Friede durch die Verhinderung organisierter Gewaltanwendung gesichert werden muß, wird kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen. Hier liegt sicherlich eine Aufgabe der Politik. Aber diese Aufgabe ist zunächst nur eine vorläufige. Denn hinter all dem müßte das Prinzip einer Friedensordnung stehen, einer menschengerechten Ordnung mit all der Vielfalt, deren wir uns heute bewußt sind. Pax opus iustitiae. ★

In diesem Gedanken der Menschengerechtigkeit liegt der Kern der Fragen und der Kern der Gegensätzlichkeiten. Gewiß, Gewalttätigkeit zu verhindern ist aller Mühe wert, zumal die Konflikte von heute mit Gewalt überhaupt nicht gelöst werden können. Da aber eine Friedensordnung, wie jede Ordnung unter Menschen, auch das Element der Macht enthalten muß, gibt es wohl keinen Weg zu- einer Friedensordnung, der nicht zu den Fragen des politischen Ethos und des Ethos der Macht führte. Dieses Ethos aber ruht notwendig auf einer Vorstellung über den Menschen, über seine soziale Wesenheit und sein Stehen in dem Strom der Geschichte. Eine solche Vorstellung kann man nur der gewissenhaften, mühevollen, erfah-rungsbeladenen und vorsichtigen Betrachtung der menschlichen Natur entnehmen, nicht aber der ideologischen Hypothese eines selbstkonstruierten Zukunftsmenschen.

Diese kurzen Überlegungen führen uns zu jenen Themen, mit denen sich eine wissenschaftlich aufgebaute „Friedensforschung" befassen muß. Sie liegen auf mehreren Ebenen:

1. Da Friede nur als dauernder Zustand erstrebt werden kann, beruht er notwendig einerseits auf der Anerkennung des Friedens als Wert, anderseits auf einer Ordnung, die dem Friedenszustand Dauer zu verleihen vermöchte. Der Wert aber, der dem Frieden als dauerndem Zustand Bestand geben kann, ist die Gerechtigkeit. So muß denn die menschengerechte Ordnung sowohl auf einem Bleibenden aufruhen als auch dem geschichtlichen Wandel zu entsprechen suchen. Gewiß keine leichte Aufgabe. Gerechtigkeit ist immer zu erstreben, ist nie vollendet. Sie muß als Ordnung Ausdruck übergeschichtlicher Grundlage und gleichzeitig geschichtlichen Wandels sein.

Daraus ergeben sich wichtige und, wie wir glauben, sehr aktuelle Überlegungen. Wo immer das „richtige soziale Bewußtsein" als Kampfbewußtsein begriffen werden will, in dem Sinne etwa, als sei der „Klassenkampf" die soziale Haltung und die soziale Wertgesinnung, die dem Menschen natürlich ist, dort wird auch echtes Friedensstreben unmöglich. Das gilt um so mehr, wenn hinter dem Klassenkampf als Grundsatz eine expansive staatliche Macht steht. Von einer solchen Haltung aus kann jeder Revolutionskrieg als „gerechter Krieg" bezeichnet werden. Ebenso gäbe es jederzeit eine „gerechte" gewaltsame Unterdrückung. Man kann schließlich zu der für jede Friedensgesinnung höchst bedenklichen These kommen, daß Staaten und Völker, die sich gegen den angeblich durchleuchteten Sinn der Geschichte vergehen, immer mit Recht bekriegt werden könnten ,— soweit dies Erfolg zu versprechen scheint. Denn der Sinn der Geschichte liege ja darin, daß sich das Vorläufige und Ungerechte durch Kampf und Revolution von selbst ins Endgültige und Gerechte erlöst.

Dieses Beispiel wurde nur der Aktualität halber gewählt, weil es eines der schwierigsten Probleme eines Friedensdialoges sichtbar macht. Selbstverständlich gibt es hoch allzu viele andere Haltungen, die dem Frieden entgegenstehen. Man denke nur an den Nationalismus oder an ein pervertiertes Machtethos im staatlichen, ein mangelndes Gruppenethos im innerstaatlichen Bereich.

2. Das führt zum Zweiten. Es wäre Aufgabe der „Friedensforschung", alle jene Kräfte zu durchleuchten, die den Bestand des Friedens dauernd bedrohen. Ganz allgemein gesprochen: alle jene Kräfte und Tendenzen, die das übergeschichtlich Bleibende in der menschlichen Natur nicht sehen — die etwa den Menschen als determinierte Funktion eines zwingenden Geschichtsprozesses ansehen, nicht als freien verantwortlichen Träger der Ordnung —; und solche, die dem Wandel in der Geschichte nicht zu entsprechen vermögen, die im Bleibenden den Ansatz zum Wandel nicht sehen und so zum Anlaß für die Greuel der Revolution und für die großen Ver-irrungen werden, die wir in Vergangenheit und Gegenwart durchleben.

3. Da der Friede Friedensordnung ist, sind auch die formenden Kräfte der sozialen und politischen Institutionen nicht gleichgültig. Soziale und politische Institutionen, die primär auf gegensätzlichen Interessen beruhen, müßten sich auf ihre Gemeinwohlbindung — im nationalen wie im menschheitlichen Sinn — besinnen. Dabei darf man nicht in ein utopisches Denken verfallen. Interessenorganisationen sind etwas durchaus Natürliches. Darum bedarf es ja auch immer einer das Gemeinwohl sichernden — Verzeihung! — Autorität. So wird es Aufgabe der „Friedensforschung" sein, in der Analyse der gegenwärtigen sozialen und politischen Lage jene Ordnungen und Institutionen aufzuzeigen, die ihrer Anlage nach in den Dienst am Frieden gestellt werden können.

4. Die „Friedensforschung" muß sich schließlich auch mit den institutionellen und technischen Möglichkeiten einer, wenigstens äußerlichen, Friedenssicherung befassen. Als wissenschaftliches Vorgehen freilich sollte sie niemals die tieferen geistigen Zusammenhänge übersehen. So nützlich die bisher bestehenden Institutionen der Friedenssicherung sein mögen, sie stehen alle im Sog der Machtpolitik, und sie stehen unter dem Druck revolutionärer Ideologie. Diesen Druck durch „Appease-ment" besänftigen zu wollen, wäre naiv und ein schlechter Dienst am Frieden. Ohne einen geistigen Standpunkt, der auch den entgegengesetzten in der. Tiefe seiner grundsätzlichen Begründung und in der Tiefe seines historischen Anlasses zu erfassen vermag, wird ein Friede in Freiheit nicht erreichbar sein. Wenn aber in diesem Zusammenhang von einem christlichen Standpunkt gesprochen werden soll, sollte man, mindestens neben anderen Gesichtspunkten, vom Schicksal, das allen Religionen in manchen Ländern bereitet wird, weniger bereitwillig absehen.

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