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Wirtschaft und Menschenwürde

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Im Bewußtsein breiter Bevölkerungskreise ist nach wie vor wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlicher Fortschritt identisch. Auch in den Diskussionen um die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme wird immer wieder die Forderung laut, daß die Erhaltung und Ausweitung des wirtschaftlichen Wohlstands oberstes Ziel politischer Aktivität sein müsse. Daß wirtschaftliche Aktivität aber nur ein Teilbereich des gesellschaftlichen Tuns ist und somit stets von einer höheren Warte her relativiert werden muß, ist eine der Aussagen der Enzyklika Redemptor Hominis.

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Im Bewußtsein breiter Bevölkerungskreise ist nach wie vor wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlicher Fortschritt identisch. Auch in den Diskussionen um die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme wird immer wieder die Forderung laut, daß die Erhaltung und Ausweitung des wirtschaftlichen Wohlstands oberstes Ziel politischer Aktivität sein müsse. Daß wirtschaftliche Aktivität aber nur ein Teilbereich des gesellschaftlichen Tuns ist und somit stets von einer höheren Warte her relativiert werden muß, ist eine der Aussagen der Enzyklika Redemptor Hominis.

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Wer möchte bezweifeln, daß die Wirtschaft nicht eine Veranstaltung von Menschen für Menschen ist? Wenn es in der Wirtschaft „menschlich” zugeht, dann gibt es auch Humanität - Menschlichkeit, oder dynamisch ausgedrückt: es geht um mehr oder weniger Menschlichkeit, im Sinne von Gut und Böse nämlich. Papst Johannes Paul II. kommt in der Antrittsenzyklika Redemptor Hominis, in seiner Situationsschilderung des Menschen in der Welt von heute auf die Wirtschaft zu sprechen, eine Wirtschaft, die im Verein mit der Technik unter dem Gesetz des Fortschritts oder des Wachstums steht. Keine Rede ist vom Nullwachstum, aber die Betonung liegt auf dem „Mehr-sein” als auf dem „Mehr-ha- ben”, soll der Mensch nicht von dem bedroht werden, „was er selbst produziert”. Zur technischen Zivilisation gehört nach der Überzeugung des Papstes eine entsprechende Ethik.

Wie verbindet der Papst die Wirtschaft aber mit der Ethik? Welche wirtschaftsethischen Probleme sieht er? Er beruft sich auf eine Auffassung von Mensch und Gesellschaft, die ebenso philosophisch wie theologisch begründet ist. Von diesem Wissen um den Menschen kann der Papst wie von einem Fixpunkt ausgehen, wenn er sich mit anderen Menschen guten Willens sorgt um die Menschlichkeit und die Zukunft der Menschen auf dieser Erde. Es gibt ein Grundwissen um die Menschenwürde und es gibt objektive Normen zur Wahrung derselben. Dann aber gibt es auch objektiv gültige Lösungen der Zeitprobleme.

Im Zentrum derProbleme sieht der Papst die ungeahnten Möglichkeiten dieses industriellen Zeitalters, die „gegenständliche Welt” zu beherrschen und Güter in Fülle zu produzieren. Die Gefahr aber ist, daß der Mensch von den „Mitteln und Instrumenten” dieser Kultur durch Zerstörung bedroht wird. „Der Mensch darf nicht Sklave der Dinge, Sklave der Wirtschaftssysteme, Sklave der Produktion, Sklave der eigenen Produkte werden. Eine Zivilisation von rein materialistischem Charakter verurteilt die Menschen zur Sklaverei.”

Aurelio Peccei hat in seinem kürzlich erschienenen „Plädoyer für einen neuen Humanismus” (Die Qualität des Menschen, Stuttgart 1977) die Geschichte des Club of Rome ge schrieben und berichtet, daß am Ursprung der Idee quantifizierter Weltmodelle die Absicht bereits feststand, die drohende Weltkatastrophe streng wissenschaftlich zu beweisen, um durch diese Schocktherapie eine „tiefgreifende Erneuerung”, eine globale „Gewissenserforschung” zu bewirken. Damit erweist sich der Club of Rome und seine Forschungen - wenigstens im Verständnis seines Präsidenten - als nicht zuletzt moralische Veranstaltung! Inzwischen ist der Ruf nach einer „neuen Ethik” immer allgemeiner geworden, weniger aber sind die Ordnungen in Sicht getreten, woher sie kommen soll. So findet sich der Papst in „bester Gesellschaft”. Doch was hat er zu bieten?

Der Vorrang der Ethik vor der Technik ergibt sich aus dem Primat der menschlichen Person über den Dingen, aus der Uberordnung des Geistes über die Materie. Die Personwürde des Menschen ist auch der Grund, daß der Mensch auch nie „Objekt von gesellschaftlichen Organisationen” werden darf. Erst die Sinnantwort auf die Frage nach dem Menschen, der Primat des Sinnes vom Personalen her, verbürgt ein Leben in Würde und ist die Voraussetzung, daß Programme-seien sie politische, wirtschaftliche, soziale oder staatliche - ihren Zweck erreichen. Vor den Programmen steht die sittliche Ordnung, stehen die Forderungen der Gerechtigkeit und der sozialen Liebe.

Auf dem Hintergrund derselben übt der Papst seine Sozialkritik.

Seine Kritik trifft eine Konsumgesellschaft im Überfluß, während weite Schichten anderer Hunger leiden. Ungerecht erscheint ihm, wenn die Strukturen und Mechanismen im Bereich der Wirtschaft ohne sittliches Kalkül, aber unter politischen Machteinflüssen stehend als Abläufe nur betrachtet werden. Daher nennt der Papst als Symptome moralischer Unordnung: Mißbrauch von Reichtum, die Inflation, die Arbeitslosigkeit, die Vergeudung von Ressourcen, Energie und Lebensraum.

Aber Johannes Paul II. läßt es nicht bei moralischen Appellen bewenden. Er kennt die wirtschaftlichen Gesetze, die in Übereinstimmung zwar mit der menschlichen Solidarität stehen müssen, die aber dann ihr Eigengewicht haben. Er nennt den Welthandel z. B., wo es Wettbewerb, also Markt, geben müsse. Von der Solidarität her sind auf dem Weltmarkt, um ihn „gesund” funktionsfähig zu machen, Interventionen nötig, Umverteilung und Kontrolle, „damit die Völker, die noch auf dem Weg ihrer Entwicklung sind, … wirksam vorankommen können”. Der Papst ist aber ausdrücklich für Freiheit, auch im Welthandel! Der wirtschaftliche

Fortschritt wird integriert gesehen in einerti gesamtmenschheitlichen Fortschritt. „Das notwendige wirtschaftliche Wachstum mit seinen ihm eigenen Gesetzmäßigkeiten muß in die Perspektive einer ganzheitlichen und solidarischen Entwicklung der einzelnen Menschen und Völker einbezogen werden.”

Die Kirche steht heute als rein moralische Autorität eindeutig auf seiten der Freiheit und der Menschenrechte. Darum ist der Kern der päpstlichen Aussagen denn auch den Menschenrechten gewidmet. Es gibt keine Mechanismen, die in sich schon wirksam die Menschenrechte sichern könnten, wenn nicht die freie sittliche Entscheidung des Menschen selbst wieder dahinter steht. Aller anderer Kampf um die Menschenrechte würde sie im Gegenteil verlieren. Wer sie totalitär verordnen will oder von anderen also sittlichen Gesetzen erwarten will, führt die Freiheitsrechte ad absurdum! Wer es mit dem Menschen und seinem Recht emst meint, kann nur wieder auf den Menschen vertrauen, auf die Ökumene des Geistes, der Vernunft und der Verantwortung, aber nicht auf die Ökonomie allein und auf die sozialökonomischen Verhältnisse.

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