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Niveau, Zeitnähe, Rassentoleranz…

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Die „New York Times“ bringt in ihrer internationalen Ausgabe vom 30. März 1952 auf der ersten Seite unter großer Aufmachung einen Bericht über den auffallenden Zustrom der amerikanischen Jugend zur katholischen Privatschule. Die Einschreibungen in den römisch- katholischen Schulen haben, so heißt es dort, im diesjährigen Schuljahr mit vier Millionen Schülern eine Rekordhöhe erreicht- •

Erstmalig hat die Zahl der in katholischen Elementary Schools (Volksschulen) eingeschriebenen Schüler und Schülerinnen die Drei-Millionen-Grenze überschritten. In den Secondary Schools (Mittelschulen) sind es über 611.000. Die katholischen höheren Lehranstalten haben etwa

350.0 Studenten. Im Schuljahr 1941/42 hatten die katholischen Volksschulen 2,257.113 Schüler und die katholischen Mittelschulen 430.929. Demzufolge hatten daher die ersteren einen Schülerzuwachs von 35 Prozent innerhalb der letzten zehn Jahre, die letzteren sogar einen solchen von 42 Prozent zu verzeichnen. Falls dieser rapide Zuwachs in demselben Ausmaß anhalten sollte, können für das Jahr 1960 fünf Millionen Einschreibungen erwartet werden.

Diese Ziffern der „New York Times“ können in ihrem besonderen Gewicht erst erkannt werden, wenn sie mit dem Zuwachs der Einschreibungen in öffentlichen Schulen in ungefähr demselben Zeitabschnitt verglichen werden. Im Jahre 1949 hat das Office of Education solche Ziffern veröffentlicht, die für die späteren Jahre natürlich nur geschätzt sind, aber doch recht zutreffend sein dürften, da sie ja auf statistischen Angaben der Heranwachsenden vorschulpflichtigen Jahrgänge beruhen. Das Office of Education hat für das Jahr 1952 22,9 Millionen Einschreibungen in öffentlichen Volks- und Mittelschulen erwartet, was gegenüber 21 Millionen im Jahre 1942 einen Zuwachs von nur etwa neun Prozent bedeutet. Sollte dagegen der von der „New York Times“ festgestellte Zustrom zu katholischen Schulen unverändert anhalten und sollten sich die Erwartungen des Office of Education erfüllen, so würden die Einschreibungen an katholischen Schulen im Jahre 1960 etwa 18 Prozent derer an öffentlichen Schulen betragen, im Vergleich zu 12,2 Prozent im Jahre 1940. Solange diese Ziffern nicht auch mit den entsprechenden Daten der nichtkatholischen Privatschulen verglichen werden, können daraus natürlich nur Tendenzen herausgelesen werden.

Innerhalb der letzten zehn Jahre haben an den katholischen Schulen auch hinsichtlich der Revidierung und Modernisierung der Lehrpläne tiefgreifende Änderungen stattgefunden. Im allgemeinen dürfen diese Schulen die Einrichtungen mitbenützen, die bezüglich des Gesundheitsdienstes, der Verpflegung und der Transporteinrichtungen den Schülern öffentlicher Schulen zur Verfügung stehen. Um den durch den großen Zustrom verursachten Anforderungen gerecht werden zu können, ist bereits ein umfangreiches Ausbauprogramm des katholischen Schulwesens in Durchführung begriffen, dessen Gesamtkosten mit 250 Millionen Dollar veranschlagt sind. Eine der Hauptschwierigkeiten sei der Lehrermangel in den katholischen wie in den öffentlichen Schulen. Die katholischen Ordensschulen sind daher genötigt, auch Laien als Lehrer anzustellen. Von den heuer in diesen Schulen beschäftigten 109.118 Lehrern sind 97.068 Ordensleute. Vor zehn Jahren waren es zusammen nur 88.444 ! Heute gibt es i n den Vereinigten Staaten insgesamt 11.5 19 katholischeSchulen: 8845 Volks-, 2296 Mittelschulen und 378 Colleges und Universitäten.

Die .New York Times“ weiß weiter zu berichten, daß nur ungefähr 60 Prozent der katholischen Kinder im schulpflichtigen Alter katholische Schulen besuchen, 40 Prozent hingegen öffentliche. Dies hat wohl in der großen Streuung der Katholiken in den USA seine Ursache, die für ihre Kinder oft keine katholischen Schulen in ihrer Reichweite haben. Abschließend betont das Blatt die allgemein guten Beziehungen der katholischen zu den öffentlichen Schulen und das reibungslose Zusammenarbeiten beider Systeme. ,

Dieser Bericht beleuchtet schlagartig das große Vertrauen der amerikanischen Öffentlichkeit zu den katholischen Lehranstalten. Dieses Vertrauen verdanken sie vor allem ihrem anerkannt hohen Niveau. Wenn man auf der Überfahrt irgendwo auf dem Atlantik auf die Frage nach dem Reiseziel antwortete: .Philadelphia, Chestnut-Hill College , so war es geradezu typisch, wenn man dann auch von nichtkatholischen Amerikanern hören konnte, daß das eine sehr bekannte Schule sei, dieser oder jener Bekannte dort graduiert hätte und überhaupt die katholischen Schulen zu den besten seines Landes gehören.

In der Totalität der Erziehung sind die katholischen Schulen Amerikas den europäischen voraus. In ihren Lehrplänen ist weiter Raum für Technik, Politik und Wirtschaft, für staatsbürgerliche und soziale Erziehung, in ihren Programmen ist Raum für Gastfreundschaft für ausländische Studenten und Hilfsaktionen für Europa und Korea, für vielerlei Club- Activities und vor allem Raum für Sport. Die Fußballmannschaft der Notre Dame University der Jesuiten gehört zu den berühmtesten Schulmannschaften zwischen dem Pazifik und dem Atlantik. Jener amerikanische Offizier war durchaus keine Besonderheit, der durch den Einfluß seiner Schulfreunde konvertierte. Das katholische College aber hatte er gewählt — weil es sich durch die Pflege des Sports öinen Namen gemacht hatte.

Besondere Bedeutung hat das katholische Schulwesen auch für die E i n- gliederung der Neger in die bürgerliche Gesellschaft. In Philadelphia ist es die Schule des St. Ignatius Convents, deren ausschließliche Aufgabe die Erziehung von Negerkindern aus den Slums ist. Daß es eine Quäkerin war, die auf diese Schule aufmerksam machte, zeugt für den Ruf dieser Schule ebenso wie für die typisch amerikanische Toleranz. Sister Mary, die die sauberen und modernen Räume zeigte, kam aus Kanada. Die Begeisterung für die soziale Sendung dieser Schule hatte sie zum Eintritt in diesen Orden bewogen. Selbst in Philadelphia, das neben New York und Chikago den Ruf einer hervorragenden Schulstadt genießt, mangelt es in den Slums an genügend Schulen. In St. Ignatius müssen daher bis zu vier Klassen in einem Schulraum unterrichtet werden. Die Catholic University of America in Washington kann den Ruhm für sich in Anspruch nehmen, den ersten Negerstudenten zum Studium zugelassen zu haben. Besondere Bedeutung haben die katholischen Schulen wegen dieser ihrer wesensgemäßen Rassentoleranz in den Südstaaten. Das American Year Book aus 1949 hebt in einem Artikel über das Rassenproblem in den Staaten hervor, daß sich die katholischen Bischöfe von St. Louis und New Orleans ausdrücklich gegen die Rassentrennung in den katholischen Schulen ausgesprochen haben und daß das Catholic Committee of the South die Katholiken in den Südstaaten aufrief, sich für die Beseitigung des Systems der getrennten Schulen für Weiße und Farbige einzusetzen. Wenn es eine soziale Macht in den USA verhindern kann, daß die Rassenfrage zur Katastrophe für das Land wird, dann ist es wohl die katholische Kirche.

Der Bericht der „New York Times“ ist das Ergebnis einer von dem Blatt selbst veranstalteten Enquete über katholische Erziehung in 94 der 126 katholischen Diözesen, das sind 75 Prozent. Daß sich die größte und bedeutendste amerikanische Zeitung so brennend für diese Frage interessiert, zeigt den Eintritt der katholischen Kirche in die amerikanische Öffentlichkeit, der allenthalben im gesellschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten wahrzunehmen ist.

In Princeton hat Jacob V i n e r, einer der tonangebenden amerikanischen Außenhandelstheoretiker, spontan berichtet, wie seine Kollegen bei der vorjährigen Jahresversammlung der American Economic Society, der Organisation der Lehrer in wirtschaftlichen Fächern, mit großer Verwunderung festgestellt haben, daß es auch eine Catholic Economic Society gibt und daß diese eine sehr rege Tätigkeit entwickelt. Seine Landsleute, meinte Viner sogar, seien erst langsam daran, die Leistungen zu entdecken, die die katholische Sozialwissenschaft in Europa vollbracht hatte. Die Studie der „New York Times gehört, wie die Äußerung dieses berühmten, nichtkatholischen amerikanischen Nationalökonomen, in dieselbe Linie wie das Interesse Hollywoods für religiöse Filmstoffe, das Auftreten bedeutender Konvertiten im kulturellen Leben und die Diskussion um die diplomatische Vertretung der USA beim Heiligen Stuhl. Alle diese Symptome zeigen den Pegelstand des Aufstieges einer Kirche, die die gewaltigen Reserven einer Laienbewegung noch gar nicht geweckt hat und überdies durchaus noch alle Charakterzüge einer Diasporakirche trägt.

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