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Wo seid Ihr?

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Als man anfangs Oktober durch die Straßen der Stadt Kassel ging, stieß man immer wieder auf Plakate mit der Frage: Christen, wo seid Ihr? Die evangelische Kirche hielt gerade eine Glaubenswoche ab und suchte mit dieser Frage ihre Angehörigen wachzurütteln. Dieselbe Frage könnte man mit nicht viel weniger Berechtigung an die Katholiken richten. Durch unsere Straßen und Plätze wälzt sich ein unaufhörlicher Men-schenstrom, der doch nur von diesseitigen Sorgen, Ängsten und Süchten getrieben zu sein scheint. „Katholiken, wo seid Ihr?“ Diese Frage könnte man mit noch mehr Enttäuschung an jene richten, von denen man mit noch mehr Recht einen aufbauenden Einfluß auf die Umwelt erwarten müßte. Man hat sich gefragt und man fragt sich noch: Wo sind sie alle, die zehn-tausende Männer und Frauen, die durch unsere Ordensschulen gegangen sind? Man hat diese Frage zumal zur Zeit der verschiedenen Umbrüche des letzten Vierteljahrhunderts gestellt.

Nun ist es sicher nicht so, wie es sogar Kritiker des eigenen Lagers hinstellten, daß das Bildungsbemühen hunderter Anstalten und tau-sender Lehrer umsonst gewesen ist und es besser wäre, die dort „vergeudete“ Kraft sonstwo einzusetzen. Eine Gesellschaftsanalyse würde sicher zu einem anderen Ergebnis kommen.

Was wäre gerade unsere Bundeshauptstadt Wien ohne das Wirken unserer drei Dutzend katholischen Lehr- und Erziehungsanstalten geworden? Der überzeugendste Beweis für die Leistungsfähigkeit dieser Anstalten auf dem Gebiet religiöser und allgemein-menschlicher Tüchtigkeit ist die erbitterte Gegnerschaft eben der Gegner der Religion. In allen Ländern und zu allen Zeiten war doch die Beseitigung des katholischen Schulwesens der Programmpunkt Nr. 1 im Kulturplan aller offenen oder verkappten Kirchenfeinde. Es ist bei uns nicht anders.

Doppelte Wachsamkeit aber ist jetzt wieder geboten, da die Schulfrage im Brennpunkt der Auseinandersetzung steht.

Trotz aller Anerkennung, die wir der bisherigen Wirksamkeit der katholischen Schulen im Dienste unseres Volksganzen zollen dürfen, haben wir doch Grund, mit dem Gesamtergebnis ihrer Erziehungstätigkeit nicht ganz zufrieden zu sein. Es kehrt die Frage wieder: „Katholische Schüler und Schülerinnen, wo seid Ihr?“ Sicher haben unsere Schulen auf ungezählte Lebensläufe und Einzelschicksale überaus segensreich eingewirkt, und sicher bewähren sich die Abgänger unserer Bildungsanstalten im öffentlichen und häuslichen Leben, aber der volle Erziehungserfolg ist ausgeblieben, weil es nicht gelungen ist, die in der ersten Erziehung begründete Gemeinschaft über das Schulalter hinaus fortzuführen. Ich habe dieses Versagen in der Zeitschrift „Unsere Schule“ so zu kennzeichnen versucht: „Im großen und ganzen dürfen wir wohl annehmen, daß die meisten unserer ehemaligen Schüler im Leben ihren Mann stellen. Immerhin geht von ihnen keine eindeutige Beeinflussung unseres öffentlichen Geschehens aus. Sie stellen nur schwache Einzelrinnsale dar, die dahin und dorthin verlaufen; sie wachsen nicht zu einem großen Strom zusammen, der mächtig aufbauend auf unser Volk und seine Zukunft einwirkt... Wie stark könnten erst die katholischen Altschüler den Gang des Weltgeschehens bestimmen, wenn sie sich zu einer einheitlichen übervölkischen Organisation zusammenschlössen? In den verschiedenen Ländern und Erdteilen leben doch weit mehr als 2 0 Millionen ehemaliger katholischer Schüler und Schülerinnen.“ Welch entscheidenden Einfluß könnten sie infolge ihrer Zahl, ihrem Bildungsgrad und ihren Stellungen auf die werdende europäische Völkerfamilie, auf die ganze Menschheitsfamilie ausüben. Sie könnten mitbestimmen, welcher Geist diese Gemeinschaften beseelen wird.

Etwas anderes liegt noch näher. Fast in allen Ländern stehen die kirchlichen Lehranstalten in einem schweren Daseinskampf; bei uns ist es geradezu ein Ringen um Sein oder Nichtsein. Wie könnten da die Altschüler als Helfer und Retter ihrer sicher über alles geschätzten Schulen auf den Plan treten! Wir denken dabei nicht einmal zuerst an geldliche Unterstützung als an die rechtliche Verteidigung. Was können nicht einige tausend Menschen durchsetzen, wenn sie sich klug, mutig und beharrlich um die Erreichung eines Zieles Mühen! Und dieses Ziel wäre sicher des Schweißes der Edlen und Dankbaren wert.

Diese und ähnliche Überlegungen haben dieses Jahr zur Gründung des Weltbundes aller katholischen Altschüler und Altschülerinnen auf dem Eucharistischen Kongreß in München geführt. In Auswirkung dieser erfreulichen Initiative haben die Altschüler der katholischen Schulen in Österreich auch an einen Zusammenschluß gedacht. Die ersten Vorbesprechungen haben stattgefunden und zu einer seltenen Einmütigkeit geführt. Weil aber in allen menschlichen Dingen nicht die Erörterung, sondern die Tat das endgültig Entscheidende ist, und zwar die rasche Tat, soll bereits am 2. Dezember hier in Wien der Versuch zu einer ersten Sammlung der alten Garden der Schotten, Kalksburger, Piaristen, Schulbrüder, Marianisten und all der weiblichen Lehrorden gemacht werden. Das Schottenstift hat gerne seine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt. Es werden also am Freitag, dem 2. Dezember, um 18.15 Uhr ein gottesdienstlich umrahmter, richtunggebender Vortrag gehalten und dann im Prälatensaal zweckdienliche Besprechungen gepflogen werden. Dazu werden außer den ehemaligen Schülern und Schülerinnen auch die Lehrkröper, die Elternvereine und überhaupt alle Freunde der katholischen Schule freundlichst eingeladen. Das Erfreulichste und von der Stunde Gefordertste wäre, wenn hier der Anfang für die Erstellung einer kampftüchtigen katholischen Schulfront gemacht würde.

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