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Neubau der Organisationen der Hochschulen

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Die Forderungen, die die revoltierenden Studenten zu diesem Punkt der Reform erheben, haben die beharrenden Kräfte in Hochschule, Staat und Gesellschaft am heftigsten schockiert. Dabei verlangen die Hochschüler am Ende des 20. Jahrhunderts oft nicht mehr, als den Scholaren in Paris und in Bologna schon im 12. und 13. Jahrhundert gegeben worden ist, zum Beispiel die Gleichberechtigung in der äußeren Ordnung des Zusammenwir kens der Lehrenden und Lernenden. Erst die jüngsten Exzesse der Ultras haben die Erinnerung geweckt, daß im Mittelalter an italienischen Universitäten die Rektoren Studierende gewesen sind, die in den Schoiairenverbindungen die Jurisdiktion ausgeübt haben. Wo dies geschah, lag in ihrer Hand zuweilen auch die Verwaltung der äußeren Studienangelegenheiten. Allerdings hatten diese Scholarenverbindungen und ihre Rektoren keine Ingerenz auf das Unterrichts- und Prüfungswesen.

Die in der heutigen Krisis stek- kende Tendenz der Lösung: Mitsprache und Mitentscheidung bedingen Mitverantwortung, läßt es dringend geboten erscheinen, bestimmte Funktionen der bisherigen autonomen studentischen Selbstverwaltung und der autonomen Hochschulverwaltung in gemeinsamen Organen zusammenzufassen, in denen sich das Repräsentativsystem der Lehrkanzelvorstände, der Dozenten und Assistenten sowie der Studenten zu aktualisieren hätte. Daß innerhalb dieser Körperschaften kein Majorz- system nach den Verhältniszahlen der Hochschüler, Dozenten und Lehrkanzeivorstände gelten könnte, liegt auf der Hand; ebenso, daß die licentia docendi, dann das Prüfen und Graduieren nicht von den, davon betroffenen Hochschülern geleitet werden kann, sondern daß hierin eine geistige Instanz in ihrem Vorrang zu wahren ist. Je mehr die Hochschüler an diesem Punkt Mitkompetenzen fordern würden, desto mehr gerieten sie in neue Schatten des Etatismus. Für die Verwaltungsautono- mie und für die wissenschaftliche Autonomie ergibt sich in der Ausgangslage der jetzigen Auseinandersetzungen der Verhandlungen dort eine Linie des Gesprächs, wo das Modell einer Hochschiule, die eine dem Staat zugewandte und eine dem Staat abgewandte Seite besitzt, grundsätzlich anerkannt wird.

Die Vorbereitung für die Studien an der Hochschule

Die Abkürzung des Hochschulstudiums, jedenfalls die entschiedene Ablehnung einer eventuellen Verlängern, macht einen wichtigen Bestandteil der Reform aus. In der BRD wurde vorgeschlagen, das höhere Schulwesen um eine Scbulstufe zu kappen (von neun auf acht Stufen). In Zusammenhang damit verlautete Professor Dahrendorf, der neuer-dings auch in der FDP politisch hervorgetreten ist, man müsse das Projekt der Reform von polemischen Zuspitzungen befreien und die Veränderungen im Hochschullbereich selber setzen.

Es geht bei dieser Frage um die

Verwirklichung des Kurz Studiums. Ein solches Stadium setzt voraus, daß nicht gleichzeitig in dem der Hochschule vorangehenden Schulwesen Einsparungen stattfinden, die zwangsläufig dazu führen, daß der Hochschule keine Aufgaben erspart, sondern neue aufgebürdet werden. Nach dem Scheitern der nach 1945 da und dort unternommenen Versuche, die Allgemeinbildung neuerdings vom höheren Schulwesen auf das Hochschulwesen zu verlegen, wird vom höheren Schulwesen zu fordern sein, da sie in Hinkunft in den drei Richtungen (1) Humanistische Bildung, (2) Moderne Naturwissenschaften, (3) Fremde Sprachen und Kulturen, das unterschiedslos vermitteln, was bisher stückweise und unterschiedlich in Gymnasien, Realgymnasien und Realschulen gelehrt worden ist. Das aber verlangt mehr Zeit und Muße, als bisher den österreichischen Mittelschulen zugestanden hat. Abzulehnen wäre jedenfalls, das 9. Schuljahr im Pflichtschulwesen als Endstation des allgemeinbildenden Schulwesen zu belassen (anstatt als Anfang einer Berufsausbildung bis zum 18. Lebensjahr); und ein 9. Schuljahr im höheren Schulwesen als einen unzulänglich ausgestatteten neunten Waggon an die acht bisherigen Waggons einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Mittelschule anzuhängen. Nach den ursprünglichen Plänen Richard Meisters sollte die neunte Stufe der höheren Schule mit der Vermittlung zusammenfassender Einsichten auch das Ende der antiquierten Form der Matura mat sich bringen.

Zu wenig und zu viel.

Wie rasch ändern sich die Zielsetzungen der Hochschulreform!

1950 verlautet der damalige Wiener Ordinarius für Statistik, es sei höchste Zeit, „dem törichten Drang nach Hochschulstudium um jederf Preis ein Ende zu setzen“ und den jungen Akademikern. gründlich# Einsichten in ihre schlechten Berufsmöglichkeiten zu verschaffen.

Zehn Jahre später, um 1960, beginnen die Mathematiker der industriellen Konzerne damit, im Interesse der Produktivitätssteigerung für einen gigantischen out put an graduierten Fachexperten in den achtziger und neunziger Jahren die Statistiker zu basteln.

Ende der sechziger Jahre distanziert sich die Revolte der Studenten von solchen mathematischen Experimenten der Technokraten.

Die Revolte hat die Krise des Bildungssystems im herrschenden Industriesystem der Technokraten bloßgelegt. Es kommt jetzt auf die Solidarität der Gebildeten an. Wenn es wieder so kommen sollte, daß die einen Gebildeten Pläne und Memoranden verfassen, sie leidenschaftlich vortragen,

andere Gebildete an anderer Stelle diese Materialien analysieren, werten und widerlegen, und schließlich akademisch gebildete Experten in den Parlamenten, politischen Parteien und Interessenverbänden das Destilat neuerdings auf eine materielle Interessenlage radizieren, dann wäre die Krise der Hochschule zu Ende; Die Hochschule wäre dann wieder ein Lyzeum, wie zu Zeiten Ferdinands des Gütigen.

Nur in einer freiheitlichen Gesell-, schaft kann die Hochschule frei sein. So gefährlich es wäre, wenn die Ordnung in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft unter das Diktat akademisch gebildeter Auguren geraten würde, so gefährlich ist es, daß man jetzt den Gebildeten eine Existenz zwischen hypermodernen Maschinen und völlig veralteten Einrichtungen des Bildungswesens zumutet.

Die Hochschule wird auch in der jetzt ingang befindlichen Revolte keine freischwebende Intellektael- lenrepublik werden, die ohne geordnete Beziehungen zu Staat und Gesellschaft auskommt. Aber sie ist noch weniger eine „Fabrik des neuen Menschen“ für das Industriesystem. Dieser Sinn des Aufstandes vom Frühling 1968 dürfte nicht vertan werden.

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