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Schwedische Schulreform

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Schweden, das seit langem über ein tüdh-tiges Schulwesen verfügt und schon seit Jahr, zehnten keine Analphabeten mehr hat, steht trotzdem vor einer durchgreifenden Schulreform. Darum ist auch das Interesse für diese Schulreform außerhalb Schwedens groß.

Ein tiefer Ernst war schon den Vorarbeiten aufgeprägt. Die ersten vorbereitenden Schritte wurden in einer auch für Schweden außenpolitisch gefährlich gespannten Zeit unternommen. Es war in dem kritischen Jahr 1940, als der damalige Kultusminister B a g g e eine große Schulkommission berief, die sich fast ausschließlich aus Pädagogen zusammensetzte. In den dieser Körperschaft gegebenen Richtlinien hieß es wörtlich:

„In einem kleinen Land wie dem unsrigen, wo es an Quantität fehlt, muß diese durch Qualität wettgemacht werden. Wir stehen vor einer Zukunft, die' uns schwere Prüfungen bringen kann, und der Selbsterhaltungstrieb gebietet uns, alle geeigneten Mittel anzuwenden, um unsere Widerstandskraft und unsere Möglichkeiten als selbständige Nation zu stärken, um der Belastung, die kommen kann, begegnen zu können. Wir müssen uns bereits jetzt trotz aller Sorgen des täglichen Lebens darauf einriditen, alle geistigen Reserven unseres Volkes zu pflegen und zu entwickeln. Auf sie müssen wir vor allem unser Vertrauen für die Zukunft setzen. Da ist wohl das Nächstliegende, die geistige und physische Erziehung der Jugend zu verbesser n.“

Minister B a g g e übernahm selbst die Leitung der Kommission, die 1944 mit ihrem ersten Bericht herauskam. Bagge gehört der konservativen Partei an. Als im Sommer 1945 eine sozialdemokratische Regierung die Staatsführung übernahm, löste Tage Erlander Bagge im .Amte ab und setzte eine neue Schulkommission ein, die sich aus Politikern zusammensetzte. Nach dem Tode des Ministerpräsidenten Per Albin Hansson wurde Erlander selbst schwedischer Ministerpräsident, und er überließ nun das Reformwerk dem neuen Kultusminister Josef Weijne. Die neue Schulkommission sah bald, daß sie ohne den Beistand erfahrener Pädagogen nicht auskam. Heikle Fragen für die Beurteilung des schwedischen Schülermaterials, wie: Wann ist die Jugend für bestimmte Fächer reif? Wie ist die Durchschnittsintelli-gcnz? erheischten Beantwortung. Die Kommission betraute Professor John Elmgren von der Hochschule Göteborg mit diesen Untersuchungen. Ihr Ergebnis wird im diesjährigen Sommer vorliegen. Das Grundprinzip der neuen Schulreform lautet, auf eine kurze Formel gebracht: Demokratisierung der S c h u 1 e. Sie soll sich zunächst in einer Erleichterung der wirtschaftlichen Lasten für den Besuch einer höheren Schule ausdrücken. Bisher stammten die Schüler der schwedischen Gymnasien und der höheren Lehranstalten durchwegs aus den wohlhabenden Kreisen des Landes. Für den Kleinbauern und Handwerker auf dem Lande sind mit dem Studium der Söhne in der Stadt zu große Kosten verbunden. Ein Zimmer mit Pension bekommt man in Schweden nicht unter 1000 Kronen im Jahr und nicht jedermann kann für den Schulbesuch eines Kindes so viel opfern.

Schon während der Ministerzeit Erlanders wurde deshalb ein großzügiges Stipendiensystem ausgebaut. Im jetzigen Schuljahr wurde an alle begabten Landkinder, die außer Hause in einem Pensionat wohnen müßten, um eine höhere Schule besuchen zu können, ein Stipendium von 500 Kronen ausbezahlt. Weitere Stipendien bis zum Höchstbetrage von 540 Kronen werden an a 11 e b e-gabten, unbemittelten Schüler gegeben, wobei der Wohnort der Eltern keine Rolle spielt, sondern nur ihre Einkommensverhältnisse. Die bisherige siebenjährige allgemeine Schulpflicht (vom 7. bis 14. Lebensjahr) soll nun auf neun Jahre verlängert werden.

Noch nicht einig ist man sich über den Plan, die fünfjährige Mittelschule, die in Schweden Realschule heißt, mit der Volksschule zu verschmelzen. Die praktischen Schwierigkeiten sieht man darin, daß in den oberen Schulklassen für begabte und weniger begabte “Kinder und auf das spätere Studium und auf das praktische Erwerbsleben abgestellte Erziehungslinien verfolgt werden müßten. Auf jeden Fall soll die englische Sprache vom fünften Schuljahr an allgemein als Pflichtfach eingeführt werden. Man nimmt an, daß damit der bisherige Unterschied zwischen „Gebildeten“ und „Ungebildeten“ verwischt werden würde.

Das Prinzip der Arbeitsschule, der Mitbetätigung jedes einzelnen Schülers im Unterricht, soll stärker betont werden. Das Ziel soll die Heranbildung selbständig und kritisch denkender, tatkräftiger und gemeinschaftliebender Menschen sein. Nur bei solchen Mitbürgern stehe die Demokratie auf festem Grund. -

Neben der neuen Reformschule will man Versuchsschulen errichten.

Dem Ausländer mag es auffallen, daß von der Stellung der Religion in dieser Schulreform in den jetzigen Planungen nicht gesprochen wird. Jedem Kenner des Nordens ist das klar: Die Stellung der Religion ist im Norden völlig unproblematisch. Die Religion (etwa 98 Prozent des schwedischen Volkes sind Lutheraner) ist im Norden etwas so ein über allen Parteienstreit erhabenes Gut, eine Institution, wie etwa die Monarchie in den skandinavischen Staaten. Nur mit diesem läßt sie sich annähernd vergleichen. Wie der König das Symbol des Staates, die lebendige Verkörperung des Staatsgedankens darstellt, so' ist die Religion die unangreifbare höhere, sittliche Ordnung auch für denjenigen Nordländer, der innerlich keine starke Bindung zur Religion hat. Es würde einem Schweden niemals einfallen, seinen König oder die Kirche anzugreifen. Er weiß, daß diese die Fundamente seines Daseins in der Gemeinschaft sind, sie sind ihm heilig auch im weltlichen Sinne des Wortes. Darum können auch Untersuchungen über das Ausmaß des Religionsunterrichts in Schweden niemals prinzipiellen Charakter erhalten.

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