6637002-1957_22_01.jpg
Digital In Arbeit

Ein Testfall

Werbung
Werbung
Werbung

Letzter Zeit hat sich im österreichischen Sozialismus eine Richtung zur Geltung gebracht, von der sich freilich noch erweisen muß, inwieweit sie aus taktischen und strategischen Gründen ein anderes Gesicht als das bisherige parteioffiziöse trägt — und inwieweit sie mit einigen Persönlichkeiten des Sozialismus identifiziert werden darf, mit Männern, die heute genau wissen, daß die Masse und die Völker nur durch eine bejahende, konstruktive Politik für alle auf die Dauer zu gewinnen und zu halten sind. Diese Richtung ist offensiv auf Einbrüche in Gebiete abgestellt, die lange dem politischen Gegner überlassen blieben. In Oesterreich kommt dies gegenwärtig am sichtbarsten zum Ausdruck in dem Werben um Freischaffende, um geistige Arbeiter und Akademiker. Der Appell an diese war bereits in einigen Aufrufen zur Bundespräsidentenwahl sehr deutlich vorgetragen worden und wurde, was vermerkt sein will, auch von einigen Persönlichkeiten unterzeichnet, die weder nach ihrer Herkunft noch ihrem Werke, nach im Lager des älteren Sozialismus, ja des Sozialismus überhaupt, beheimatet sind.

Im österreichischen Sozialismus sind jüngst Angreifer mit allen ihnen zur Verfügung stehenden parlamentarischen und publizistischen Mitteln gegen die Bestellung des früheren Unterrichtsministers Dr. Ernst Kolb zum Ordinarius und Inhaber der Lehrkanzel für Staatsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht an der Universität Innsbruck Sturm gelaufen. Ihr Angriff gilt dem aufrechten christlichen Mann, der die öffentlichen Interessen des Staates und die religiösen Anliegen der Kirche und der christlichen Bevölkerung gleichermaßen zu betreuen verstand. Er mißfiel dabei als Minister und Staatsmann manchen Herren der sozialistischen Linken. Hofft man vielleicht in ihm eine ganze Tradition zu treffen, um nebenbei freisinnigen Akademikern, die einen ihrer vornehmsten Vertreter als Kandidaten für denselben Lehrstuhl nominiert hatten, gefällig zu sein?

Da die Persönlichkeit Dr. Kolbs unangreifbar ist — der gegenwärtige Bundespräsident hat ihn einmal in einer Parlamentsdebatte als „Par- sifalnatur" angesprochen, halb anerkennend, halb spöttisch —, versucht man nun mit „sachlicher" Argumentation die parteipolitische Ablehnung zu decken. Diese „sachliche“ Ablehnung ist nun ein dankenswertes Muster der Unsachlichkeit, das vorgezeigt zu werden verdient. Es will sich darauf berufen, daß Dr. Kolb nicht habilitiert und bisher nicht im akademischen Lehrfach tätig gewesen ist. Nun ist es eine in allen freien Ländern bestehende Uebung, daß angesehene sachkundige Persönlichkeiten auf Lehrkanzeln berufen werden und niemand im akademischen Leben daran Anstoß nimmt, weil die Hohen Schulen und die Oeffentlichkeit die Nutznießer dieser Blutauffrischung durch den Zuzug aktiver, initiativ schaffender Persönlichkeiten sind. In unserem kleinen Oesterreich sind gegenwärtig an die vierzig Professoren unserer Hochschulen tätig, die ohne Habilitation und ohne vorhergehende Lehrtätigkeit an einer Hohen Schule ihre Professuren erhielten.

Aus ihrer Zaftl seien hier nur einige hervorragende Fachleute und Wissenschaftler vorgestellt:

An der Universität Wien: an erster Stelle der Präsident der Oesterreichischen Akademie der Wissenschaften Hofrat Professor Dr. Richard Meister: er steht an der Spitze einer erlesenen Zahl nicht habilitierter Professoren; an der Theologischen Fakultät sind es die Professoren Heinzei (kath.) und Egli und Zerbst (evang.); an der Philosophischen Fakultät die Professoren Enzinger, Gottschalk, Kraus, Kühn. Lehrl, H. F. Schmid; in der Medizin der erst vor kurzem in den Ruhestand getretene Professor Lindner, ein Ophthalmologe von Weltruf; an der Wiener Technik die Professoren Engelhardt, Boltenstern, Eisenmenger. Kirste, Petter, Zwirzina, an der Hochschule für Bodenkultur Kühn, Rehrl, Zei- linger, Mugei; an der Hochschule für Welthandel Rector magnificus Wirk

In Graz sind es an der Philosophischen Fakultät der Universität Altrektor Professor Eder und Dr. Weidner; an der Montanistischen Hochschule Leoben Professor Platzer (von einer Gruppe als Kandidat für die Bundespräsidentenwahl vorgeschlagen), Seidel und Eisenberg. In Innsbruck wird diese an Zahl und Rang bedeutende Schar an der Juridischen Fakultät der Universität von Professor Con- danari, angeführt, an der Philosophischen von Wolfgang Grödner. Die hier Genannten gehören verschiedenen politischen Richtungen an. Wenn nun so viele durch die vom Sozialismus herkommenden Präsidenten Renner und Körner ihre Bestellung erhielten, warum soll gerade der eine, der nunmehr zur Debatte steht, nicht ernannt werden? Das einzige sachliche Argument der Einwendung fällt also in sich selbst zusammen.

Nun ein Wort zu der beruflichen Qualifikation der an die Innsbrucker Universität berufenen Persönlichkeit: Eine Lehrkanzel für Staatsrecht, Verwaltungslehre und österreichisches Verwaltungsrecht kann keine geeignetere Persönlichkeit finden als einen Mann, der wie Ernst Kolb sich in vielen Zweigen der österreichischen Verwaltung in Stadt, Land, Bundesministerium, in führenden Funktionen eine weitreichende Erfahrung erworben und durch eine bedeutende Lehrtätigkeit und publizistische Arbeit seine Vertrautheit mit der Organisation der gewerblichen Wirtschaft Vorarlbergs, als Leiter der Rathauskanzlei Bregenz, als Minister für Handel und Wiederaufbau 1948 bis 1952, als Unterrichtsminister 1952 bis 1954, als Bundesrat und Landesstatthalter eine selten mannigfaltige Erfahrung erworben und als Lehrer und Vortragender am Gewerbeförderungsinstitut und der Ingenieurschule Bregenz, auf einer ganzen Reihe von Tagungen im In- und Ausland, nicht zuletzt bei den Salzburger Hochschulwochen seinen Namen weit über die Grenzen unseres Landes hinaus bekannt gemacht hat.

Der österreichische Sozialismus wird nun doch wohl — sagen wir — durch eine Gutmachung begangener Irrtümer zu zeigen haben, wie ernst es ihm mit einem neuen Weg zu Begegnung und Zusammenarbeit und loyaler Verständigung innerhalb der Volksgemeinschaft zu tun ist. Es kommt daher der Bestellung Ernst Kolbs die Bedeutung eines .Testfalles zu.

Wort und Tat steht jetzt bei unseren Sozialisten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung