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Preise und gebundene Wirtschaft

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Hochschulwochen der verschiedensten Art werden allsommerlich in Österreich abgehalten. Alpbach, Salzburg, Krems- miinster, Jedes hat seine besondere Note. Einen ganz eigenen Charakter tragen auch die Sommerhochschulkurse der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft für Oberösterreich, die nun heuer zum dritten- mal in Bad Ischl veranstaltet worden sind. Sie unterscheiden.sich von anderen ähnlichen Einrichtungen schon dadurch, daß sie, immer mehr über den Kurscharakter hinauswachsend, zu einem wissenschaftlichen Kongreß geworden sind. Damit soll nicht etwa gesägt sein, daß sie dem Studenten nichts zu bieten hätten. Im Gegenteil: die etwa 100 Studierenden, die sie mitmachten, werden manches Wertvolle mit nach Hause genommen haben. Aber es war nicht in erster Linie eine studentische Angelegenheit, was sich auch darin zeigte, daß der größere Teil der etwa 400 Teilnehmer eben nicht Studenten waren: es trafen sich in Ischl die meisten nationalökonomischen Professoren Österreichs und mehrere hervorragende ausländische Gelehrte mit Männern der Verwaltung und der wirtschaftlichen Praxis aus den verschiedenen Parteien, mit Mitgliedern der Kämmern, der Ministerien, der Landesregierungen, der städtischen Verwaltungen, mit Unterneh- . mern, Arbeitern und Bauern. Es war ein Kreis, wie er schon lange in Österreich nicht zusammengekommen war. Das Zentralproblem der freien oder gebundenen Wirtschaft stand im Vordergrund. Ihm waren zwei volle Tage gewidmet. Als Vorbereitung dazu wurde am ersten eigentlichen Verhandlungstag über die Tendenzen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Europas gesprochen, während in den Vorträgen des letzten Tages, die die Probleme des europäischen Bauerntums im 20. Jahrhundert zum Gegenstand hätten, die Fragestellung des Zentralproblems auch noch stark nachklang.

Die Untersuchung der Entwicklungstendenzen wurde eröffnet durch Professor D e g e n f e L d - S c h ö n b u r g (Universität Wien), der die Frage aufwarf, wie sich die Wirtschaft bei Bevölkerungsmehrung und -minderung entwickle. Wenn er zum Ergebnis kam, daß die Bevölkerungsvermehcung eine . Steigerung von Produktivität und Wohlstand mit siela bringe, so konnte er auf die tatsächliche Entwicklung hinweisen, aber auch auf die großen Gefahren, die sich aus Geburtenrückgang und Bevölkerungsminderung für die Wirtschaft ergeben.

Professor Theodor Pütz (Universität Innsbruck) wandte sich der Produktionsund Handelspolitik zu und betonte in sorgsamen Ausführungen die Verbundenheit der europäischen Länder, aber auch die Gefahren, die ihnen drohen. Eine einheitliche europäische Wirtschaftspolitik sei notwendig. Demontierungen und ähnliche Störungen der europäischen Wirtschaft müssen aufhören…

Dr. Benedikt Kautsky (Zürich) gab ein farbenreiches Bild der weltwirtschaftlichen Entwicklung, besonders unter dem kolonialpolitischen Gesichtspunkt, das auch, da, wo man ihm nicht ganz zustimmte, hohes Interesse erregen mußte. Seine Ausführungen gipfelten im lebhaften Verlangen nach Freihandel.

Professor Anton Taut scher (Universität, Graz) zeigte in seinen aus der modernen Literatur gut belegten Darlegungen die im Laufe der Zeit vollzogene Umfangs- erweitrrung und die damit verbundene Wesenswandlung der Staatswirtschaft.

Die Vorträge dieses Tages behandelten so vier zusammenhängende, aber doch gesonderte Gebiete, die den Auftakt für die Untersuchung der Probleme freier und gebundener Wirtschaft bildeten. Professor Hans Mayer (Universität Wien), der schon am Beginn der Tagung den Problemkomplex umrissen hatte, legte nun am Beginn des zweiten Verhandlungstages in theoretischen Ausführungen dar, wie bei freier Verkehrswirtschaft jeder so viel vom Sozialprodukt erhält, als von seiner Mitwirkung abhängig ist. Es ist nun wichtig, daß dieser Kreislauf nicht gestört werde; jedoch muß dafür gesorgt werden, daß der Arbeitslohn nicht unter das Existenzminimum sinke. So kommt es zu einer Synthese zwischen freier und gebundener Wirtschaft. Volle Planwirtschaft würde wegen des Mangels an Freiheit zu großen Gefahren führen.

Professor Wilhelm Röpke (Institut des haute® Etudes, Genf) hob hervor, daß es vor allem darauf ankomme, die für die Wirtschaft notwendigen Ordnungs- und Antriebskräfte zu ermöglichen. Zwei Prinzipien stehen sich hier entgegen: Freiheit und Befehl. Der Kollektivismus, bei dem Befehl der Motor sei, führe notwendig zur Unfreiheit. Im besonderen hob Röpke die großen Gefahren hervor, die aus ihm für die internationalen Gemeinschaften erfließen. Er müsse in Mangel und Unordnung münden. Doch erscheint auch Röpke, bei aller Entgegensetzung der beiden Prinzipien, eine Mischung nicht ausgeschlossen. Nur eine chemische Verbindung sei nicht möglich.

Professor Hans Bayer (Universität Innsbruck) legt unter vielfacher Heranziehung der neuesten Literatur großen Wert darauf, zu betonen, daß es eine freie Wirtschaft im Sinne des bekannten Modells nicht gebe, es bestehen immer wenigstens unvollkommene Monopole. Daher sei eine geplante Wirtschaft zu erstreben, wobei jedoch, soweit möglich, freie Konkurrenz zu erhalten sei'.

Professor Dobretsberger (Universität Graz) leitete den dritten Verhandlungstag mit der Feststellung ein, daß die freie Wirtschaft schwere Mißstände nicht zu lösen vermocht habe. Wenn er als Belege dafür das Krisenproblem, die Arbeitslosigkeit seit 1900' und die internationalen Spannungen anführte, so mußte er den Beweis für die Verursachung dieser Erscheinungen durch die wirtschaftliche Freiheit freilich schuldig bleiben. Dobretsberger folgerte aus seinen Darlegungen, daß für unsere Zeit Bindungen zu erstreben seien, während für andere Zeiten mehr Freiheit angemessen sein mochte. Heute gebe es große Gebiete, die nicht der Wirtschaftsführung, sondern der Wirtschaftsverwaltung zugehören. In ihnen sei die private Initiative schädlich. Banken, Versicherungswesen, pharmazeutische Industrie, Verkehrswesen zählen dazu.

In höchst geistvoller Weise erklärt Professor Götz Briefs (Georgetown University, Washington, USA) das Werdet! der modernen Wirtschäftsgedanken aus dem ökonomischen Liberalismus, als dessen „metaphysischen Milchbruder“ er den Sozialismus bezeichnete. Dem alten Liberalismus mit seinem Optimismus sei als sekundäre Phase der -Gruppenliberalismus gefolgt, in dem an Stelle der isolierten Individuen deren Verbände in Kartellen und Gewerkschaften getreten seien, die einen Kampf um die Macht führen. Freie Konkurrenz sei ein bloßes Randphänomen g e w o r d e n. Diese Phase werde nunmehr durch den „tertiären Liberalismus“ abgelöst: die Macht geht von den Organisationen an den Staat über: man kommt zur totalitär gebundenen Wirtschaft. Demgegenüber sei eine gruppenhafte Selbstverwaltung möglich und zu erstreben.

Der Vortrag Professor Ri ch a r d Kerše h a g 1 s, des Rektors der Wiener Hochschule für Welthandel, war der Untersuchung der Frage gewidmet, welche Rolle das Geld in der freien und gebundenen Wirtschaft spielt. Der Redner zeigte, wie das Geld seinen Wesenscharakter in der gebundenen Wirtschaft ändert, und machte darauf aufmerksam, daß die planmäßige, nicht mehr marktmäßige Bestimmung der Preise zur Vergütung individueller Kosten führe; damit aber habe die Verbilligung der Produktion ein Ende. Es bestehe die Gefahr, daß das Geld gemünzte Willkür werde. Jedenfalls sei die Freiheit der Person auch von der Geldseite her bedroht,

Ein spezielles Gebiet hatte sich auch Professor Karl Oberparieiter (Hochschule für Welthandel, Wien) herausgegriffen, der die Stellung des Handels in der heutigen Wirtschaft und insbesondere in der Planwirtschaft behandelte. Er machte dabei sehr interessante Angaben über die Handelsspanne und ihre nicht gerechtfertigte Erstarrung und wies auf die Gefahren hin, die aus der Ausschaltung der Konkurrenz entstehen.

Am letzten, den bäuerlichen Problemen gewidmeten Tag, sprach Professor’ Franz Gschnitzer, Rektor der Universität Innsbruck, über das bäuerliche Recht,

das er als „gelebtes Recht“ dem städtischen Juristenrecht gegenüberstellte. Zwei heute wichtige Probleme dieses Rechts unterzog er einer näheren Betrachtung, das Recht der Höfe, bei dem er Anerbenrecht und Realteilung schied, und das derzeit so wichtige Landarbeiterrecht, dessen Zugehörigkeit zum bäuerlichen Recht er stark unterstrich.

Einen für uns besonders interessanten Überblick über die Bauernprobleme unseres schweizerischen Nachbarlandes gab sodann Professor Oskar Howald von der Technischen Hochschule in Zürich, der gleichzeitig als Leiter des Schweizerischen Bauernsekretariats eine wichtige Funktion im Wirtschaftsleben der Schweiz ausübt. Eingangs wandte er sich gegen die Versuche, die den Bauernstand zum Verschwinden bringen wollen, mochte es sich nun um die Proletarisierung durch kollektivistische Agrarreform handeln oder um die Umwandlung der Bauern in „business farmer"durch kapitalistische Mechanisierung in den USA. Sodann wurden die wichtigsten bäuerlichen Probleme und die Versuche zu ihrer Lösung in der Schweiz vorgeführt. Überall wurde auf die Mitwirkung von Staat und Genossenschaften hingewiesen, aber immer dabei die Wichtigkeit der Selbsthilfe betont. Das gilt auch von der Preispolitik. So kommt Howald zum Ergebnis: Bindungen sind notwendig, aber sie sollen nur so weit gehen, daß noch Konkurrenz des freien Marktes möglich bleibt. Er schloß mit einem treffenden Bild: der Staat soll das Klima schaffen, aber Organisation und Betrieb schaffen das Wetter.

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