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Exodus der Exoten

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Eine kulturpolitische Sensation in Prag: die ,,17.-Novernber-Universi-tät“, die am 15. September 1961 gegründet und eröffnet wurde und 13 Jahre lang als Ausbildungsstätte für farbige Studenten und Gasthörer aus den Entwicklungsländern diente, wird im Juni 1974 endgültig geschlossen werden. Studenten, die am Ende des laufenden Schuljahres noch nicht graduieren, werden nach Moskau transferiert. Zweifellos ein ungewöhnlicher Vorgang, sogar in Sowjeteuropa, wo das Studieren Parteiprivileg ist und mit entsprechender politischer Haltung und Leistung immer aufs neue verdient werden muß.

Der Name der besagten Universität erinnert an den „Aufstand der Prager Studenten gegen die deutschen Nazis vom 17. November 1939“. .Ursprünglich hatte diese Exoten-Universität drei Fakultäten: • eine sprachwissenschaftliche,

• eine naturwissenschaftliohe und

• eine sozialwissenschaftliche.

Das Hauptziel war, Hörer aus den Entwicklungsländern auf Hoch-schulebene soweit vorzubereiten und zu trainieren, daß sie auch an anderen tschechoslowakischen Instituten weiterstudieren konnten.

Als Muster galt dabei die „Patrice-Lumumba-Universität“ in Moskau, wo tausende Studenten aus der Dritten Welt jährlieh geschult werden. Die CSSR sollte Gelegenheit haben, einen Teil dieser Arbeit zu übernehmen. Der politische Slogan hiefür lautete: „Befreiung von der Kolonialherrschaft.“

Die Prager Hochschule begann 1961 mit 1254 Hörern aus 73 Ländern. Es herrschte ein wahres Sprachwirrwarr. Ein Höhepunkt wurde im Jahr 1967 mit 2050 Studenten erreicht. 1120 Hörer kamen aus arabischen Ländern, 470 aus Schwarzafrika, 347 aus Asien und 230 aus lateinamerikanischen Staaten.

Die erste Aufgabe der Universität war es, den Ausländern die notwendigen tschechischen Sprachkenntnisse beizubringen und ihre Grundkenntnisse in den Naturwissensehaften zu erweitem. Wenn der Hörer die entsprechende Grundprüfung absolviert hatte, konnte er an einer der anderen zwei Fakultäten inskribieren. Im Jahre 1966 wurden dann plötzlich die naturwissenschaftliche und die technische Fakultät aufgelassen. Hörer dieser Fächer mußten an anderen tschechoslowakischen Universitäten immatrikulieren. In der letzten Zeit schließlich wurden außer den Vorbereitungsfächern nur noch Sozialwissenschaften an der Prager Exoten-Universität gelehrt.

Die 17.-November-Universität blieb während der ganzen Studienzeit „Basis“ für die Ausländer, unabhängig davon, an welcher anderen Hochschule sie ihre Studien später fortsetzten und vollendeten. Dies bedeutete nicht nur eine intensive ständige Kontrolle und politische Indoktrination, die Universität sorgte auch für Aufenthaltsgenehmigungen, verlangte schriftliche Meldungen über die jeweiligen Tätigkeiten der Studenten und organisierte eine enge Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen kommunistischen Jugendverband. Natürlich wurden entsprechende Anstrengungen unternommen, um aus den Hörern verläßliche Marxisten-Leninisten zu machen. Man versuchte, ihnen die Überlegenheit des osteuropäischen Systems einzuprägen, wobei die Tschechoslowakei die instruktiven Beispiele zu liefern hatte. Diese Art von „Progressivität“ gefiel jedoch nicht allen Ausländern. Einige widersetzten sich sogar der offenen politischen Bearbeitung.

In den Anfangsjahren war die politische Indoktrinierung weniger intensiv, da in den Ursprungsländern selbst eine rigorosere parteipolitische Auslese vongenommen worden war. Im Laufe der Jahre veränderte sich aber das politische Klima in zahlreichen Entwicklungsländern; die neuen Machthaber versöhnten sich mit den früheren Kolonialherren und näherten sich dem westlichen Lebensstil, dessen Vorteile und Bequemlichkeiten auf breite Schichten der Jugend eine immer größere Anziehungskraft ausübten. Die farbigen Studenten betrachteten immer kritischer die Lebensverhältnisse, die persönliche Unfreiheit, den politischen Druck in den Gastländern, in diesem Fall der CSSR. Der Dekan der Prager Universität, Frantisek Kopecky, stellte öffentlich fest, daß „die Studenten unter den Einfluß verschiedener Ideologien“ geraten seien. Maoismus und Katholizismus beeinflußten die Fremden.

Die „Farbigen-Universität“, wie Bevölkerung und einheimische Studenten sie spöttisch nannten, war im Lande niemals populär. Gegen Ende der sechziger Jahre, als Prag auch auf anderen Gebieten immer umfassendere Hilfe an die Unterentwickelten leisten mußte, wurden viele kritische Stimmen laut und es wurde die Frage aufgeworfen, ob die CSSR sich eine derart kostspielige Hochschule überhaupt leisten könne.

Vor einem Jahr wurde nun der Rektor dahingehend informiert, daß „substantielle Schritte“ unternommen werden müßten, um eine bessere Selektierung der Hörer zu erreichen, deren gründlichere Vorbereitung zu verwirklichen und den Kreis der einbezogenen Entwicklungsländer zu erweitern. Zuletzt verstärkte sich jedoch die Auffassung, daß die Anstrengungen und finanziellen Lasten mit dem Erfolg nicht in Einklang zu bringen seien. Und so kam es jetzt zum Todesurteil für die Universität — nach eingehenden Konsultationen mit zuständigen Moskauer Instanzen, versteht sich.

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