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Die Universität wurde lebenskräftig

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Von nun an wuchs die Universität nach innen und nach außen. Am 25. Juli 1920 erfolgte die kanonische Anerkennung durch den Apostolischen Stuhl mit der Erlaubnis, in den theologischen Wissenschaften die akademischen Grade des Lizenziates und Doktorates zu verleihen. Am 1. Oktober 1928 erhielt die bis jetzt „Lubliner Universität“ genannte Hochschule ihren offiziellen Titel „Katholische Universität Lublin“. Am 19. Mai 1934 trat die Wissenschaftliche Gesellschaft der „KUL“ ins Leben, und am 28. Dezember 1934 wurden die bisherigen Hilfsorganisationen in den „Verein der Freunde der KUL“ zusammengefaßt. Am 27. Juni 1938 erteilte der polnische Sejm das Öffentlichkeitsrecht; ausgestattet mit allen Rechten akademischer Schulen, durfte fortan die „KUL“ die akademischen Grade des Magistrats und Doktorats auf allen Fakultäten verleihen (bis jetzt fanden die Prüfungen vor einer staatlichen Kommission statt). Die Fakultäten waren bis zum Krieg folgendermaßen geordnet: 1. Theologie (Exegese, Apologetik, Dogmatik, Moraltheologie, Theologie der Ostkirche, Kirchengeschichte, Philosophie, Pädagogik). 2. Kanonisches Recht. 3. Recht und Sozialökonomische Wissenschaften. 4. Humanistische Wissenschaften (Philosophie, klassische Philologie, Geschichte, polnische und romanische Philologie, Institut für Pädagogik). 1928 kam noch die Sektion für Germanistik hinzu, die bis 1930 bestand und im Jahre 1938 ihre Arbeit wieder aufnahm. Die Studentenschaft wohnte in Studentenheimen, die Theologen im Konvikt. Dieser hoffnungsvollen Entwicklung machte der zweite Weltkrieg ein Ende.

Verfolgung und neuer Beginn

Am 17. September 1939 wurde Lublin von den Deutschen besetzt, am 6. Oktober wurde die Universität beschlagnahmt. Der 9. November ist als „dies ater“ in die Annalen der Universität eingegangen: alle in Lublin anwesenden Professoren und einige Studenten wurden verhaftet. Am 17. wurde die Suspendierung aller Fakultäten ausgesprochen. Die Universität war aber bereits zu lebenskräftig, um derartigen Prüfungen zu erliegen: Schon am 1. Dezember begannen die Vorlesungen in geheimen Zirkeln, die allerdings durch die Erschießung der Professoren Michal Niechaj und Czeslaw Martyniak am 23. Dezember und den Abtransport der eingesperrten Professoren in verschiedene Konzentrationslager für zwei Jahre unterbrochen, im Dezember 1941 aber wiederaufgenommen und bis Kriegsende auf allen Fakultäten weitergeführt wurden.

Der Weg aus den Katakomben ...

Das Jahr 1944 leitete einen neuen Abschnitt in der Geschichte der KUL ein: Die nationalsozialistische Bedrückung fand durch die militärische Niederlage der Deutschen ihr Ende, der Kommunismus kam durch den militärischen Sieg der Russen ins Land. Der Weg aus den Katakomben gestaltete sich zunächst hoffnungsvoll. Das Polnische Komitee der Nationalen Befreiung erteilte die Erlaubnis zur Wiedereröffnung der Hochschule. Am 3. November fand bereits die feierliehe Inauguration des neuen akademischen Jahres statt, die „KUL“ war die erste und auf lange Zeit die einzige Universität östlich der Weichsel, die noch im Krieg ihre Arbeit aufgenommen hatte. Zu dem noch vorhandenen und ergänzten Lehrerstab kamen Professoren staatlicher Hochschulen hinzu, deren Stammanstalten infolge der Kriegshandlungen noch geschlossen waren. Mit 803 Hörern begann das Studienjahr 1944/45, im Jahre 1947/48 waren es bereits 2016, im Jahre 1951/52 war der Höchststand von

3095 Hörern erreicht (die Vorkriegszahlen sind wegen Vernichtung der Archive durch die Besatzungsbehörde nicht bekannt). Der Studienbetrieb wurde erweitert durch eine Sektion für Kunstgeschichte, ein Institut für Höhere Religiöse Bildung (Laienkatecheten), das Studium für wirtschaftliche und soziale Probleme auf dem Land, eine Zentralstelle für Kirchenarchive Bibliotheken und Museen. Am 10. November 1946 wurde e'ine neue Fakultät eröffnet für „Christliche Philosophie“.

Rückläufige Bewegungen spiegeln das Geschehen im Land: Seit dem Schuljahr 1952/53 läßt die Höreranzahl nach (1952/53: 2274, 1957/58: 1352), am 1. September 1952 werden einige Professoren suspendiert, die im Jahre 1956 wieder eingestellt werden durften, am 1. Oktober 1952 werden die Fakultäten für Recht und Sozialökonomische Wissenschaften und das „Studium für Wirtschaftliche und soziale Probleme auf dem Land“ geschlossen, ebenso am 1. Oktober 1956 die Sektion Pädagogik auf der Humanistischen Fakultät, dafür wird ein Lehrstuhl für Kirchenmusik auf der Theologischen Fakultät eröffnet, im Schuljahr 1961/62 wird die Abteilung für Germanistik geschlossen.

Der gegenwärtige Stand

Gegenwärtige Gliederung und gegenwärtiger Stand der „KUL“ sind aus dem Jahresbericht 1961/62 ersichtlich. Vier Fakultäten: 1. Theologische Fakultät. Sie gliedert sich in zwei Abteilungen: a) normaler Ausbildungskurs, b) höherer Kurs für Spezialausbildung in Bibelwissenschaften, Dogmatik, Moral, Apologetik, Kirchengeschichte und Pastoral. Der Theologischen Fakultät ist das Institut für Kirchenmusik angegliedert. 2. Fakultät für Kanonisches Recht. 3. Fakultät für Christliche Philosophie mit den Spezialabteilungen für a) Theoretische Philosophie, die sich gliedert in Philosophiegeschichte, Logik, Wissenschaftslehre, Erkenntnistheorie, Metaphysik und Theodizee, b) Praktische Philosophie, die sich gliedert in Ethik, Sozialphilosophie, Rechtsphilosophie, Wirtschaftsphilosophie, Soziologie, Sozialethik und Methodologie der Sozialwissenschaften, c) Naturphilosophie, die i sich gliedert in Philosophie der belebten Natur, Philosophie der unbelebten Natur, Biologie, Physik und Chemie, d) Philosophie-Psychologie. 4. Fakultät für Humanistische Wissenschaften mit den Abteilungen für polnische, englische, romanische (germanische geschlossen) und klassische Philologie, Geschichte, Kunstgeschichte. Der Ausbildungsstab umfaßte 25 3 Kräfte: 58 Professoren (interessant ist, daß sich im Professorenkollegium etwa sechs Bischöfe befinden), 148 Assistenten,

47 Lektoren, Laboranten und Bibliothekare, 1736 Studierende.

Die Spenden der Armen

Die „KUL“ braucht zur Aufrechterhaltung ihres Betriebes jährlich etwa 30 Millionen Zloty. Für die Finanzierung kommen auf: 1. Kirchliche Sammlungen, die etwa 13 Millionen einbringen. Im Jahr finden fünf Sammlungen statt, davon drei in der Kirche und zwei vor der Kirche im Kirchenbezirk. 2. Der Verein der Freunde der „KUL“ bringt etwa 3,5 Millionen Zloty ein. Die Mitgliederanzahl beträgt gegenwärtig 65.000, als untere Grenze des Mitgliedsbeitrages wurde der Betrag von 18 Zloty festgesetzt. Der Verein wurde, wie oben berichtet, im Jahre 1934 gegründet und im Jahre

1946 neu registriert. Nach staatlichen Bestimmungen kann Mitglied nur ein in Polen lebender polnischer Bürger sein. Wenn auch die Auslandspolen mithelfen, so dürfen sie nicht Mitglieder des Vereins der Freunde der „KUL“ sein. 3. Zuwendungen von Seiten des Episkopats. Praktisch arbeitet die „KUL“ mit einem ständigen Defizit.

Die Studenten erhalten finanzielle Hilfe durch eine großzügige Stipendientätigkeit, die etwa 80 Prozent aller Studenten umfaßt.

Existenz und Arbeit der „KUL“ müssen unser Interesse finden und höchste Bewunderung erwecken. Einst im Herzen Polens gelegen, ist die „KUL“ durch den Ausgang des zweiten Weltkrieges an die Peripherie Polens, in unmittelbare Nachbarschaft Rußlands gerückt. Befindet sie sich dort auf verlorenem Posten? Gewiß wäre es für eine kommunistische polnische Regierung riskant, die „KUL“ einfach zu beschlagnahmen und zu schließen, wie es die Nationalsozialisten taten. Die Deutschen waren schließlich Aggressoren, aber wenn es die eigene Regierung täte? Die Monatsschrift „Polen“ (1961, Nr. 9, S. 1) schrieb an die Adresse des Auslandes: „Beweis für die Freiheit und religiöse Toleranz in Polen ist die Tätigkeit der Katholischen Universität Lublin.“ Diese „Freiheit und religiöse Toleranz“ für die Tätigkeit der „KUL“ wird so lange andauern, bis der Katholizismus als ernstzunehmender Faktor angesehen wird.

Und die Zukunft?

Als einzige Universität in Polen muß die „KUL“ jährlich etwa drei bis vier Millionen Zloty Einkommensteuer zahlen. Rückwirkend ab 1952 wird eine Steuerschuld von 20 Millionen Zloty verlangt. Über die tatsächliche Forderung besteht eine große Unsicherheit, weil manchmal ein Steuernachlaß gewährt wird, eine endgültige Regelung steht noch bevor. Ungeheuer schwer ist es, neue Professoren zu berufen, während die alten vor der Zeit vom Staat emeritiert werden (im Berichtsjahr 1961/62 waren es sieben). Die Studentenanzahl wird vom Staat limitiert, ebenso die Mitgliedszahl des Vereins der Freunde der „KUL“. Diese Entwicklung bietet düstere Aussichten für die Zukunft, sie ist zu bedauern, denn die „KUL“ hat sich in den 44 Jahren ihres Bestehens zu einem hervorragenden polnischen und überhaupt europäischen Kulturzentrum entwickelt. Für uns selbst ist die „KUL“ von eminenter Wichtigkeit, denn durch ihre Insellage im Ostblock und die im Christentum gründende weltanschauliche Sicherheit fällt ihr die einmalige Chance zu, auch in unserem Namen die Vertreter materialistischer Ideologien zu einem „Dialog“ einzuladen.

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