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Der bayrische Löwe ist heiser

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Die Münchner Lüdwig-Maximilians-Universität ist mit 22.284 ordentlich Studierenden und 890 Gasthörern im eben begonnenen Sommersemester die größte Universität der Bundesrepublik. Etwa 1300 Professoren, Dozenten und Lehrbeauftragte bilden den Lehrkörper; der wissenschaftliche Mittelbau umfaßt mehr als 1700 Assistenten und Konservatoren, und in Verwaltung und Instituten sind rund 5000 nichtwissenschaftliche Beamte, Angestellte und Arbeiter tätig.

Bei der Staatswirtschaftlichen Fakultät herrscht sowohl für Betriebs-wie auch für Volkswirte der Numerus clausus. Die bestehenden Vorlesungen und Übungen sind überbelegt, und Gastprofessuren vermögen die Vakanz mancher Lehrstühle nur notdürftig zu überbrücken. Das Modefach Soziologie ist förmlich überrannt, und die zwei Lehrstühle sind haushoch überfordert. Die aus dieser Situation sowie aus der politisch aktiven Einstellung der Studenten beinahe zwangsläufig resultierenden Mitbestimmungsansprüche dieser letzteren haben am soziologischen Institut Experimente in Gang gebracht, die wohl soziologisch interessant, aber für ein termingerechtes Studium der Soziologie nicht unbedingt fruchtbar sein müssen.

Eine oft katastrophale Uberfüllung besteht auch an der medizinischen Fakultät, in die trotz des Numerus clausus angeblich noch immer Studenten auf Hintertüren hineingelangen und die Verhältnisse noch mehr verschlimmern. Erbitterung löste die zeitliche Überbeanspruchunig der Medizinailassistenten an den Univer-sitätsküniken aus, der dann nach langem Hin und Her durch das Kultusministerium ein erster Riegel vorgeschoben wurde: das Wochenmaximum ist jetzt auf 47 Arbeitsstunden (!) festgelegt. Um auch die Lehre zeitlich etwas besser zu koordinieren, steht in der Fakultät die Einführung des „Blocksystems“ zur Diskussion. Danach würden sämtliche Abteilungen wochenweise nur eine bestimmte Krankheit besprechen.

in der die Schere zwischen notwendigen Investitionen und den bewilligten Mitteln — oft von Institut zu Institut verschieden — ganz besonders auseinanderklafft, scheint die Sektion Physik den einzig gangbaren Weg gefunden zu haben. Nachdem die Professoren ihren Bereich auf der Basis kollegialer Zusammenarbeit in ein Departement amerikanischen Stils umfunktioniert hatten konnten sie einen Bedarfsplan für die nächsten Jahre aufstellen, der dann auch prompt vom Ministerium genehmigt wurde. Ein Mangel der Fakultät wird u. a. beim Institut für pharmazeutische Arzneimittellehre deutlich: Die hauptsächlich mit Mitteln der deutschen Forschungsgemeinschaft beschafften teuren Anlagen stehen beinahe sechs Monate im Jahr ungenützt. Für Pharmakologie, Biologie und Botanik besteht zudem der Numerus clausus.

Die einzige Fakultät, die nicht an Überfüllong leidet, ist die der Theologen.

Die größte Fakultät, die der Philosophie, mit 6896 Studenten ist erst kürzlich in zwei geteilt worden: Philosophie I mit den Fächern Philosophie und Geschichte, Philosophie II — mehr lehrarntsbezogen — mit Philologie und Kulturwissenschaft. Entscheidend für diese Umgruppierung waren die allzu hohen AusfaQMffern: eine Studienabbruch-quote von etwa 55 Prozent, eine Durchfallrate von 40 Prozent und eine Durchscbniittsstudiendauer von 13 Semestern für Lehramtskandidaten.

Eine Umoriantierung des Studiums, wie sie in etwa von den Studenten neben der allgemeinen Mitbestimmung gewünscht würde, strebt folgendes an: „exemplarisches Studieren“ und damit Erwerb der zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Stoff notwendigen methodischen Fähigkeiten und eine entsprechende Änderung der Prüfungsordnungen; weitgehende Einschränkung des Vorlesungsbetriebs zugunsten von Übungen und Seminaren; verstärkte Bil-dungsinivestitiohen an Stelle der Studienbeschränkung durch Zwischenprüfung und Zwangsexmatrikulation.

Wenn sich nun die Universität München in dieser inneren Situation mit deim neuen bayrischen Hochschulgesetz zu beschäftigen hat, so ist es nur zu verständlich, daß der von außen herangetragene, einschneidende Gesetzesenitwurf unterschiedliche und meist ablehnende Aufnahme findet.

Die Universität eines JEcfc, Reuchlin, Apian und Aventinus, eines Guardini t Lersch und Preiser steht vor dem größten Umbruch ihrer beinahe 400jährigen Geschichte. Das Hochschulgesetz, das vermutlich gegen den Willen der Universität Verfassungsnorm werden wird, dürfte nur einiges ändern können. Das meiste muß als Verfasisungswirkiichkeit der Ludwig-Maximiiiians-Universität erst von unten — alimälhlich — nachwachsen.

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