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Wisch im Kuvert

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Nun wird es also keine feierliche Rektorsinauguration und keine Pro- motionsfeiem mehr geben. Endlich ist es gelungen, die allerletzten Zeichen und Formeln einer altehrwürdigen Tradition abzuschaffen und den langersehnten Beweis zu liefern, daß man das alles nicht mehr braucht. Schließlich ersparen wir uns jetzt eine ganze Menge Zeit. Anstatt sich anläßlich einer Rektorsinauguration einmal im Jahr zwei Stunden lang einer schönen Zeremonie zu erfreuen, anstatt einen Rechenschaftsbericht des Prorektors und eine tieffundierte, wissenschaftliche Inaugurationsrede des neuen Rektors anzuhören, haben wir jetzt für „Sit-in“ und Happenings zwei Stunden gewonnen. Und ganz besonders werden sich die frischgebackenen Doktoren freuen, daß sie nach jahrelangem, mühevollem und mit Erfolg abgelegtem Studium nun nicht mehr 30 Minuten aufwenden müssen, um sich vom Rektor ihrer Universität das Doktordiplom aushändigen zu lassen. Wozu haben wir die Post? Die soll künftighin den Wisch im Briefkuvert zustellen. Für die Portospesen schlagen wir eine allgemeine Sammlung vor. Hurra, hurra, die Wiener Universität ist endlich modern geworden und alle Nöte sind gelöst?

Nichts gegen den Vorschlag der Studentenschaft, anläßlich des Wechsels im Rektorat einen Diskussionstag abzuhalten. Natürlich soll gerade aus diesem Anlaß den Studenten die Möglichkeit geboten werden, in freier Rede ihre Meinung zum Studium im allgemeinen und zum bevorstehenden Studienjahr im besonderen ihre Meinung zu sagen. Das halten wir für einen sehr konstruktiven Vorschlag unserer Studenten und bedauern, daß auch das nicht stattfln- det. Im übrigen, Eure Magnifizenz, es ist unrichtig zu sagen, daß beide Veranstaltungen abgesagt wurden. Absagen kann man nur, was schon besteht. Abgesagt also wurde nur die Rektorsinauguration! Wer sagt im übrigen, daß diese gestört worden wäre, wenn man den Wunsch der Studenten, diesen Diskussionstag betreffend, erfüllt hätte?

Außerdem, wer sind die Störenfriede? Doch nachgewiesenermaßen eine lächerlich kleine Minderheit. Die große Tapferkeitsmedaille hat man sich mit diesem Rückzieher jedenfalls nicht verdient. Schade, sehr schade. Hoffentlich beweist man an den anderen österreichischen Hochschulen mehr Konsequenz in der Bewahrung von gutem und schönem Hergebrachten. Und mehr Mut, nicht einmal vor Königsthronen, sondern vor einer Radauminderheit!

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